Diskussion um Anti-Aids-Kampagne Aids-Hilfe fordert Stopp des Schockfilms

  • von Christine Kirchhoff
Die umstrittene Anti-Aids-Kampagne "Aids ist ein Massenmörder" sorgt weiter für Wirbel: Die Deutsche Aids-Hilfe hat ihren sofortigen Stopp gefordert und droht mit rechtlichen Schritten. Schock-Effekte seien in der HIV-Prävention völlig fehl am Platz.

Der Wirbel um die aktuelle Anti-Aids-Kampagne "Aids ist ein Massenmörder" des gemeinnützigen Vereins "Regenbogen" aus Saarbrücken geht weiter: Erschüttert über diese "ekelerregende" Kampagne hat die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) in einer Pressemitteilung den sofortigen Stopp der Kampagne gefordert und droht nun mit rechtlichen Schritten. In dem Video-Clip haben Frauen ungeschützten Sex mit Adolf Hitler, Josef Stalin oder Saddam Hussein. "Aids ist ein Massenmörder", heißt es. Solche krassen Aktionen seien nötig, um aufzurütteln, so Regenbogen-Vorsitzender Jan Schwertner. Er will die Kampagne nicht zurückziehen. "Im Moment sehe ich mich nicht dazu gezwungen."

"Die Aids-Prävention in Deutschland wird damit in ein völlig falsches Licht gerückt", kritisiert Jörg Litwinschuh von der Deutschen Aids-Hilfe in Berlin. In den vergangen Jahren habe man riesige Erfolge in der Aufklärungsarbeit erzielt - auch mit weniger schockierenden Aktionen.

Die wohl größte und bekannteste, dafür tatsächlich weniger provozierende Anti-Aids-Kampagne ist die der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Köln. Unter dem Motto "Mach's Mit" ist die Aktion seit Frühjahr dieses Jahres auf Plakaten, in Anzeigen und in einem TV-Spot zu sehen. Sie unterscheidet sich deutlich von der Aktion "Aids ist ein Massenmörder" - optisch und inhaltlich. Gezeigt werden Liebesorte, nüchterne Hotelzimmer, romantische Seeufer und plüschige Bordelle - Orte, an denen Menschen Sex haben. "Wir versuchen, die Menschen dort abzuholen, wo sie leben. Ohne Schockmomente, dafür mit sachlicher Information", sagt Marita Völker-Albert, Sprecherin der BZgA.

Schockbilder bewirken keine Verhaltensänderung

Anti-Aids-Kampagnen dürften weder drohen noch diskriminieren, sagt Völker-Albert: "Ein Schockmoment macht handlungsunfähig. Eine bewusste und stabile Verhaltensänderung, die Basis der Aids-Prävention, wird dadurch ganz bestimmt nicht erzielt." Auch Litwinschuh kann dies bestätigen: "Die Aufklärungsarbeit der vergangenen Jahre hat eindeutig gezeigt, dass Schockbilder wie die der "Aids-ist-ein-Massenmörder"-Kampagne kontraproduktiv wirken." Auch aus dem Ausland hagelt es Kritik. Wirksame Gesundheitskampagnen dürften ruhig schockieren, doch sorgten unverantwortliche Aussagen dafür, dass die Leute nicht mehr zuhörten, meint der britische National Aids Trust. Zudem fehle es an Hinweisen auf Schutzmaßnahmen wie Kondome. Gute Behandlungsmöglichkeiten in Europa nicht erwähnt.

HIV- und Aids-Prävention

Das HI-Virus begann sich Ende der 70er Jahre in Deutschland auszubreiten. Anfang der 80er Jahre kam es zu einem raschen Anstieg der HIV-Infektionen in den Risikogruppen: Männer mit einer großen Anzahl an gleichgeschlechtlichen Partnern und Drogenkonsumenten. Erste HIV-Antikörpertests wurden erst 1984 erprobt - Präventionskampagnen in dieser Zeit führten zu ersten Verhaltensänderungen und zu einem Rückgang der HIV-Neuinfektionen. Während der 90er Jahre schwankte die Zahl der HIV-Neuinfektionen um einen Wert von 2000, bis es zu Beginn des neuen Jahrtausends wieder mehr Menschen mit dem Virus ansteckten. Ende 2008 lebten zwischen 60.000 und 67.000 Menschen mit HIV/AIDS. Geschätzte 3000 von ihnen haben sich im Jahr 2008 infiziert, mit 2800 waren es ähnlich viele im Jahr 2007. Bei rund 1100 Menschen hatten sich die Viren 2008 so stark vermehrt, dass sie an Aids erkrankt sind - etwa 650 HIV-Infizierte starben im vergangenen Jahr.

Das Hauptziel der Aids-Prävention lautet deswegen: Die weitere Verbreitung von HIV und Aids verhindern. Die Bevölkerung soll über Übertragungsrisiken und Schutzmöglichkeiten informiert, die Solidarität in der Gesellschaft für Betroffene gestärkt werden. Auch die Stigmatisierung und Ausgrenzung von Betroffenen soll bekämpft werden. Im Mittelpunkt der Kampagnen steht meist immer noch der Schutz durch Kondome. Im Jahr 2009 hat die Bundesregierung die Mittel für die Aids-Prävention um eine Million auf 13,2 Million Euro erhöht.

Aids hat an Schrecken verloren

Die Macher der Kampagne sehen das anders. "Das öffentliche Interesse an Aids ist in den letzten Jahren massiv zurückgegangen", sagt Regenbogen-Vorsitzender Schwertner. Schock-Kampagnen seien die einzige Möglichkeit, um die Krankheit wieder in die Köpfen der Menschen zu bekommen, sagt Silz von der zuständigen Agentur "Das Comitee", die das Konzept für den Spot entwickelt haben. "Viel zu harmlos" sei beispielsweise eine weitere Aktion der BZgA, die mit Gemüse und Kondomen wirbt.

Eine Studie der BZgA zum Thema Aids zeigt tatsächlich: Seit 1980 hat die Wahrnehmung der Gefährlichkeit der Krankheit in der Bevölkerung deutlich abgenommen. "Seit es Medikamente gibt, um HIV und Aids zu behandeln, hat die Krankheit in den vergangenen Jahren an Schrecken verloren", sagt auch Litwinschuh. Dies bedeute aber noch lange nicht, dass es eine zunehmende Sorglosigkeit in der Gesellschaft gibt, so Korell. Persönliche Gesprächen mit Betroffenen zeigten dies täglich. "Auch wenn die Kampagnen der BzgA manchmal ein wenig altbacken wirken, ist dies doch eine gescheitere Art der Aids-Prävention", sagt er. Wichtig sei es, sachliche Informationen und eine klare Botschaft zu vermitteln.

Rekordverkaufsrate bei Kondomen

Erfreulich sei, dass der Verkauf von Kondomen steige, so Litwinschuh. Nach Angaben der "Deutschen Latex Forschungsgemeinschaft Kondome" stieg die Kurve der Absatzzahlen seit Beginn der Aids-Prävention stark an, 2008 wurde die Rekordverkaufsrate von 215 Millionen Stück erreicht. Auch ein weiteres Ergebnis der BZgA-Studie lässt hoffen: Das Basiswissen darüber, dass ein Infektionsrisiko bei Blutübertragung, ungeschützten Sexualkontakten und "Nadeltausch" besteht, hat zugenommen. 2008 lehnten 94 Prozent der Bevölkerung die Isolierung von Aids-Kranken ab. Zu Beginn der Aids-Prävention war nur etwa die Hälfte der Befragten der Meinung, dass es falsch sei, HIV-Patienten mit niemandem in Kontakt kommen zu lassen. "Das alles ist für uns eine Bestätigung, dass die Aids-Aufklärung wirkt", sagt Völker-Albert.

Das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin spricht bei den HIV-Neudiagnosen von einer Stagnation auf hohem Niveau: Seit 2007 scheint sich die Zahl bei etwa 3000 Fällen zu stabilisieren. "Die weiterhin hohe Zahl zeigt, dass Prävention und Forschung unverändert wichtig sind", sagte Jörg Hacker, Präsident des RKI, anlässlich des Weltaids-Tages 2008. Es bleibt keine Zeit auszuruhen, weiß auch Korell, Leiter der Hamburger Aids-Hilfe. Für 2009 wagt er eine vorsichtige Prognose: "Dieses Jahr verzeichnen wir einen leichten Anstieg der Syphilis-Erkrankungen - dies korreliert meist mit den HIV-Zahlen."

Mit DPA

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