Es beginnt meist als Teenager: Die Betroffenen werden schlechter in der Schule und im Sport. Sie nehmen ab, ohne dass sie es wollen. Immer häufiger haben sie Durst und müssen entsprechend oft auf die Toilette. Diese Symptome sind typisch für Diabetes vom Typ 1.
In Deutschland gibt es rund 250.000 Menschen mit Typ-1-Diabetes. Was in ihrem Körper falsch läuft, ist einfach zu beschreiben: Ihre Bauchspeicheldrüse produziert kein Insulin mehr. Dieses Hormon ist ein lebenswichtiger Türöffner im Energiehaushalt: Insulin hilft vielen Zellen des Körpers, Zucker aufzunehmen - denjenigen Brennstoff, den die Zellen brauchen, um zu überleben.
Fehlt Insulin, gelangt der Zucker nicht mehr in die Zellen der Muskeln, stattdessen bleibt er im Blut und sammelt sich dort an. Dadurch verliert der Körper sehr viel Wasser. Gleichzeitig mobilisiert der Organismus seine Fettreserven und verwandelt sie in Energie. So entstehen Säuren im Blut. Bekommt der Betroffene dann kein Insulin, wird er bewusstlos - der Körper kämpft ums Überleben.
Schuld an dem Drama ist meist das Immunsystem
Es gibt mehrere Gründe, warum die Bauchspeicheldrüse nicht richtig funktioniert. Meist liegt es am körpereigenen Abwehrsystem. Es richtet sein Waffenarsenal gegen die eigenen Zellen. Im Fall von Diabetes vom Typ 1 gegen diejenigen Zellen der Bauchspeicheldrüse, die Insulin herstellen. Das Immunsystem stuft diese so genannten Beta-Zellen fälschlicherweise als Eindringlinge ein und attackiert sie, bis sie zerstört sind.
Warum das Immunsystem diesen Vernichtungsfeldzug startet, ist noch nicht bis ins Detail geklärt. Wissenschaftler vermuten, dass Viren die Körperabwehr in die Irre leiten, zum Beispiel solche Viren, die Masern, Röteln oder Mumps auslösen können. Allerdings gibt es noch andere Ursachen für die Zuckerkrankheit. Bei einer bestimmten Variante des Typ-1-Diabetes, bei Diabetes vom Typ 1B, stellen die Zellen der Bauchspeicheldrüse ihre Insulinproduktion ohne erkennbaren Grund ein. Allerdings spielen bei beiden Varianten der Zuckerkrankheit die Gene eine gewisse Rolle.
Entscheidend: die richtige Menge Insulin
Menschen mit Diabetes vom Typ 1 sind ein Leben lang auf Insulin angewiesen. Wie viel Sie davon spritzen müssen, hängt von Ihren Lebensgewohnheiten ab, von Ihrem Alter und Ihrem Stoffwechsel. Wenn Sie ständig auch nur ein bisschen zu wenig spritzen, wirkt sich das fatal auf Ihren Körper aus: Das Blut überzuckert immer wieder und greift Adern, Nieren, Nerven und Augen an. Wenn es ganz schlimm kommt, versagt die Niere, die Augen erblinden, Gliedmaßen sterben ab und müssen amputiert werden, das Herz erleidet einen Infarkt. Wenn Sie ganz vergessen, Insulin zu spritzen, besteht die Gefahr einer schweren Überzuckerung. Dann können Sie sogar ins Koma gleiten.
Das andere Extrem ist die Unterzuckerung. Sie entsteht, wenn Sie dem Körper mehr Insulin geben, als er braucht, beispielsweise vor dem Sport. Ihrem Gehirn geht dann der Treibstoff aus. Das merken Sie daran, dass Sie nervös und unkonzentriert werden, vielleicht auch aggressiv. Möglicherweise wirkt Ihre Haut blaß und andere Menschen nehmen Sie als verwirrt wahr. Sie reden vielleicht Unsinn und finden sich nicht mehr zurecht. Wenn Sie bei den ersten Anzeichen einer Unterzuckerung nicht sofort etwas Süßes trinken oder essen, werden Sie bewusstlos.
Heilen lässt sich Diabetes vom Typ 1 noch nicht: Das tägliche Spritzen wird für die Betroffenen lebenslang Gewohnheit bleiben. Doch gut behandelt können sie ein nahezu normales Leben führen.
Symptome
Durst, Durst, Durst
Zu Beginn der Krankheit tut nichts weh, und auch sonst gibt es nichts zu beklagen. Das ändert sich, wenn immer mehr Insulin produzierende Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse zugrunde gehen. Dann steigt der Zuckerpegel im Blut. Und das merken die Betroffenen an großem Durst. Denn der Zucker vermischt sich mit Wasser und entzieht es so dem Körper. Daher ist auch der Mund meist ausgetrocknet, genau wie die Haut.
Außerdem fühlen sich Zuckerkranke oft müde und schlapp. Es fehlt ihnen an Energie, weil der Zucker aus dem Blut ohne Insulin nicht in ihre Zellen kommt. Ihr Körper versucht deshalb, aus den Fettreserven Treibstoff zu gewinnen: Sie nehmen ab. Wird die Krankheit nicht oder schlecht behandelt, müssen die Betroffenen außerdem ständig zur Toilette gehen - in der Sprache der Medizin Polyurie genannt, häufiges Wasserlassen. Steigt die Zuckerkonzentration im Blut über einen bestimmten Wert, filtern die Nieren den Zucker aus dem Blut und scheiden ihn über den Urin aus.
Mit Insulin können Sie den Zuckerpegel im Blut fast auf Normalmaß bringen. Wenn Sie Ihre Insulindosis nicht an Ihr Essen und Ihre körperliche Aktivität anpassen, kann das auf lange Sicht gesehen Ihren Nerven und Adern schaden. Manchmal greift Zucker, der in rauhen Mengen durchs Blut kreist, auch die Nerven des Verdauungstraktes und des Kreislaufsystems an: Darm und Magen bewegen sich nicht mehr richtig, Puls oder Blutdruck reagieren nicht wie gewohnt.
Oft können die Nieren den Blutdruck nicht mehr kontrollieren: Sie versagen ihren Dienst. Der zu hohe Blutdruck schadet auch den kleinen Äderchen in den Augen. Die Betroffenen können dann nicht mehr richtig sehen oder werden im schlimmsten Fall sogar blind. Selbst vor dem Sexualleben macht Diabetes nicht Halt: Er kann Männern wie Frauen die Orgasmusfähigkeit rauben.
Diagnose
Bei Verdacht auf Diabetes misst die Ärztin als erstes Ihren Blutzuckerwert. Sie entnimmt Ihnen einen Tropfen Blut aus der Fingerspitze oder dem Ohrläppchen, tupft das Blut auf einen Teststreifen und schiebt es in ein elektronisches Messgerät. Wenige Sekunden später piepst es und spuckt das Ergebnis aus. Für dessen Bewertung ist entscheidend, wann die Ärztin das Blut bei Ihnen abgezapft hat: ob vor oder nach einer Mahlzeit. Nach dem Essen ist Ihr Blutzuckerwert nämlich höher als davor.
Es gibt drei verschiedene Tests, die der Arzt mit Ihnen machen kann. Jeder Test misst einen bestimmten Blutzuckerwert:
- Der Nüchtern-Blutzucker wird vor dem Frühstück überprüft. Übersteigt er einen Wert von 110 Milligramm pro Deziliter, deutet das auf Diabetes hin. Hat der Arzt nur einmal bei Ihnen einen bedenklichen Wert festgestellt, reicht das für die Diagnose aber noch nicht aus. Erst, wenn Ihr Wert ein zweites Mal zu hoch ist, heißt dass, Sie sind wahrscheinlich zuckerkrank.
- Der so genannte Gelegenheits-Blutzucker kann zu einem beliebigen Zeitpunkt geprüft werden. Übersteigt er 200 Milligramm pro Deziliter, ist er zu hoch. Der einzelne Wert sagt aber noch nicht viel aus, er ist nur eine Momentaufnahme.
- Beim Blutzucker-Belastungstest müssen Sie 75 Gramm Traubenzucker essen oder Zuckerwasser trinken. Zwei Stunden später nimmt die Ärztin Ihnen etwas Blut ab und untersucht es. Bei einem gesunden Menschen pendelt sich in diesem Zeitraum der Blutzucker wieder auf einen normalen Wert ein. Liegt Ihr Wert auch nach den zwei Stunden noch über 200 Milligramm pro Deziliter, haben Sie Diabetes.
Ist sich die Ärztin nicht ganz sicher, ob Sie Typ-1- oder Typ-2-Diabetes haben, kann sie das mit einem weiteren Bluttest abklären. Das Immunsystem eines Menschen mit Typ-1-Diabetes produziert charakteristische körpereigene Abwehrstoffe, so genannte Antikörper. Die Ärztin kann diese Hilfsheriffs des Immunsystems in Ihrem Blut nachweisen, zum Beispiel den Antikörper namens GAD-II. Die Antikörper sind übrigens lange da, bevor sich die Krankheit mit den ersten Beschwerden meldet.
Therapie
Mit Diabetes können Sie ein normales Leben führen - vorausgesetzt, Sie behandeln Ihre Stoffwechselstörung. Behandeln bedeutet: Es darf nie zu viel oder zu wenig Zucker in Ihrem Blut kreisen. Sie sollten es vermeiden, zu überzuckern oder zu unterzuckern. Und Sie sollten durch strenge Kontrolle Ihres Blutzuckerwertes verhindern, dass im Schlepptau der Krankheit Folgeschäden an Nieren, Nerven und Augen auftreten.
Zuckerkranke mit Diabetes vom Typ 1 brauchen dafür von Anfang an fremdes Insulin. Sie spritzen es in das Fettgewebe am Bauch oder in den Oberschenkel. Sie brauchen dafür nicht unbedingt eine Injektionsnadel, sondern können das Hormon auch mit einem so genannten Pen, einem Stift, oder mit einer Pumpe einspritzen. Das Hormon kann das Manko ihrer Bauchspeicheldrüse nahezu ausgleichen.
Sie können zwischen drei verschiedenen Insulin-Behandlungen wählen:
- der konventionellen Therapie, bei der Sie zweimal am Tag Insulin spritzen;
- der intensivierten Therapie - das heißt fünfmal täglich spritzen;
- der Therapie mit der Insulin-Pumpe.
Bei der konventionellen Therapie spritzen Sie sich vor dem Frühstück und vor dem Abendbrot Insulin. Bei dieser Art von Behandlung müssen Sie regelmäßig festgelegte Mengen essen. Wenn Sie mal schlemmen oder sich zwischendurch ein Stück Kuchen oder einen Müsliriegel leisten, müssen Sie das mit viel zusätzlich gespritztem Insulin oder mit viel Bewegung wieder ausgleichen.
Erlaubt Essen zwischendurch: kurz wirksames Insulin
Bei der intensivierten Therapie spritzen Sie täglich etwa vier bis fünf Mal Insulin. So sind Sie flexibler und können beispielsweise spontan mit Freunden essen gehen. Um den Grundbedarf zu decken, spritzen Sie morgens und abends ein langwirkendes Insulin. Vor den Hauptmahlzeiten steigen Sie auf ein kurzwirksames Insulin um, damit der Zuckergehalt im Blut nach dem Essen nicht zu sehr ansteigt. Die meisten Menschen mit Diabetes vom Typ 1 entscheiden sich für diesen Modus.
Mit der Insulinpumpe ahmen Sie die Arbeit der Bauchspeicheldrüse nach; das Gerät gibt mehrere hundert Mal am Tag Insulin ab. Es ist mit einem Schlauch und einer Kanüle mit Ihrem Körper verbunden. Zu Beginn der Therapie schreibt der Arzt genau auf, wie viel Insulin die Pumpe abgeben soll. Allerdings ist so ein Gerät sehr teuer, und die Kassen bezahlen es nur in bestimmten Fällen.
Egal, wie Sie sich Ihr Insulin zuführen, achten Sie darauf, dass Sie die Dosis Ihrem persönlichen Leben anpassen. Sonst kann die Krankheit weiter ihr Unwesen in Ihrem Körper treiben. Kontrollieren Sie daher täglich Ihren Blutzuckerwert. Zeigen Sie Ihrer Diabetologin auch regelmäßig Ihre Füße, lassen Sie sich in die Augen schauen und die Nieren prüfen. Vergessen Sie nicht, regelmäßig den HbA1c-Wert messen zu lassen.
Tipps
Machen Sie sich zum Experten für Ihren zuckerkranken Körper! Damit Sie wissen, was Sie tun und was Sie tunlichst lassen sollten. Helfen kann Ihnen dabei ein Schulungsprogramm. Die Krankenkassen bieten solche Disease-Management-Programme an.
Insulin und Traubenzucker sollten Sie immer bei sich haben: So können Sie auf eine Unter- oder Überzuckerung sofort reagieren. In ein Diabetes-Tagebuch tragen Sie neben den Ergebnissen der Blutzucker-Werte auch besondere Ereignisse ein wie Krankheiten, Unwohlsein oder Reisen. So können Sie erkennen, worauf Ihr Körper reagiert und wie sich Ihre Krankheit entwickelt.
Fallen Sie nicht auf die Werbung herein: Lebensmittel mit dem Aufdruck "für Diabetiker geeignet" sind es gar nicht. Sie enthalten statt Zucker meist so genannte Zucker-Austauschstoffe. Die beeinflussen den Zucker-Stoffwechsel zwar weniger als normaler Haushalts-Zucker, haben aber genau so viele Kalorien und können zudem zu Durchfall und Blähungen führen.
Menschen mit einer chronischen Krankheit wie Diabetes haben ihr Päckchen zu tragen: Oft drückt nicht nur die Krankheit selber, sondern auch die Verantwortung und die Selbstdisziplin bei der Behandlung. Entlasten Sie sich, indem Sie mit Ihrem Arzt, einer Psychologin oder einem guten Freund darüber reden!
Expertenrat
Ulrich Alfons Müller, Experte für Diabetes am Universitätsklinikum der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, antwortet
Kann ich vorbeugend etwas tun, um nicht an Typ-1-Diabetes zu erkranken?
Nein. Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmun-Erkrankung und nicht von den Lebensgewohnheiten der Betroffenen abhängig. Es gab zwar Versuche, das Immunsystem zu beeinflussen, aber das hat den Ausbruch der Erkrankung nicht verhindern können. Es gibt Beobachtungen über Zusammenhänge von Diabetes Typ-1 und Umweltfaktoren. Erkenntnisse darüber, wie die Krankheit verhindert werden kann, sind aber noch nicht verfügbar.
Muss ich mit Typ-1-Diabetes besonders auf meinen Körper achten?
Immer wieder ist zu lesen und zu hören: Diabetes könne zu Zahnfleischentzündung führen und die körpereigene Abwehr schwächen, Patienten mit Diabetes bekämen leichter eine Nebenhöhlen-, Nieren- oder Blasenentzündung sowie eine Pilzerkrankung der Haut: Doch das stimmt so nicht. Wenn die Blutzuckerwerte langfristig gut sind, ist die Gefahr von Infektionen nicht größer als bei Menschen ohne Diabetes. Nur wenn Sie sehr schlechte Blutzuckerwerte haben, schwächt das Ihre Abwehrkraft und erhöht das Risiko für Infektionen. Also sollten Sie in erster Linie auf gute Blutzuckerwerte achten.
Kann ich mit einem Typ-1-Diabetes Sport machen?
Bei Menschen mit Diabetes Typ-1 führen Bewegung und Sport zu Blutzucker-Schwankungen, Sie können schneller unterzuckern. Wenn Sie Freude an Sport haben, müssen Sie jedoch nicht darauf verzichten. Sie sollten nur einige Regeln beachten. Während und nach körperlicher Belastung benötigen Sie weniger Insulin. Bei länger dauernder Bewegung müssen Sie zusätzlich etwas essen, das Ihren Blutzucker wieder erhöht. Messen Sie unbedingt vor und während der körperlichen Belastung den Blutzuckerwert. Wie Sie Ihre Therapie an das Sportprogramm anpassen, lernen Sie im Behandlungs- und Schulungsprogramm für intensive Insulintherapie.
Muss ich mit Typ-1-Diabetes eine bestimmte Diät einhalten?
Nein, diese Zeiten sind vorbei. Neue Studien zeigen, dass sich die Ernährungs-Empfehlungen für gesunde Menschen und Patienten mit Typ-1-Diabetes kaum unterscheiden. Wer sich ausgewogen und gesund ernährt, braucht sich nicht einzuschränken. Gezuckerte Getränke sind allerdings nur für die Behandlung einer Unterzuckerung geeignet. Und auch auf Instant-Produkte sollten Sie besser verzichten. Durch den Herstellungsprozess erhöhen Sie den Blutzuckerwert schneller und stärker. Bereiten Sie Ihren Kartoffelbrei lieber selber zu - das schmeckt auch besser!
Forschung
Bislang ist Diabetes vom Typ 1 nicht heilbar. Aber weltweit arbeiten Forscher an möglichen Behandlungsmethoden. Einen interessanten Ansatz verfolgen Wissenschaftler der Universitäten in Nürnberg und Freiburg: Sie arbeiten mit Stammzellen, um das Spritzen von Insulin überflüssig zu machen.
Jochen Seufert und seinem Team ist es gelungen, Stammzellen aus der Bauchspeicheldrüse zu gewinnen und im Labor zu vermehren. Solche Stammzellen sind Vorläufer aller Zellarten des Organs. Um Zuckerkranken zu helfen, verfolgen die Wissenschaftler zwei Möglichkeiten. Zum einen untersuchen sie an Tieren, wie sie die gezüchteten Stammzellen in die Bauchspeicheldrüse schleusen können. Dort sollen sie sich zu Insulin produzierenden Zellen weiterentwickeln.
Zum anderen regen sie die Stammzellen an, in der Laborschale zu Insulin produzierenden Zellen heranzureifen. Später könnten diese reifen Beta-Zellen in den Körper von Zuckerkranken transplantiert werden. Die Forscher hoffen, auf diese Weise Diabetikern zu ermöglichen, auf das Spritzen zu verzichten.