Im Skandal um hormonbelastete Futtermittel hat sich innerhalb von nur einem Tag die Zahl der betroffenen Betriebe in Deutschland mehr als versechsfacht. Nach dem Fund des verbotenen Wachstumshormons MPA in Nordrhein-Westfalen wurden heute mehr als 1.800 landwirtschaftliche Betriebe gesperrt. In Nordrhein-Westfalen seien 1.544 Betriebe betroffen, in Rheinland-Pfalz 291 Betriebe, sagte die Düsseldorfer Agrarministerin Bärbel Höhn (Grüne). Außerdem sei das belastete Viehfutter an 26 Betriebe in Belgien, den Niederlanden und Luxemburg geliefert worden.
In Nordrhein-Westfalen stieg die Gesamtzahl der gesperrten Betriebe damit auf mehr als 1.700. Bärbel Höhn sprach angesichts dessen von einer neuen Dimension des Skandals. »Das verschlägt einem die Sprache.« Ein einziger Lieferant arbeite mit kriminellen Methoden, und Tausende von Bauern und Millionen Verbraucher seien betroffen.
Das verbotene Wachstumshormon wurde heute auch in Proben in Brandenburg nachgewiesen. In anderen Bundesländern dauerten die Untersuchungen verdächtiger Futtermittel an. Vor mehreren Tagen war MPA bereits in Futtermitteln in Niedersachsen nachgewiesen worden.
Das Bundesverbraucherministerium betonte, das mit der EU-Kommission und den Bundesländern vereinbarte Verfahren werde in allen betroffenen Mitgliedstaaten einheitlich angewendet. Alle Betriebe würden ermittelt, die eventuell MPA-belastetes Futter bekommen haben. Sie dürften keine Tiere zur Schlachtung geben und keine Milch liefern. Futterproben würden auf MPA getestet, bei positiven Befunden würden die Tiere stichprobenartig untersucht. Werde auch da kein MPA nachgewiesen, werde der Betrieb wieder freigegeben.
Zinsgünstige Kredite für betroffene Bauern
Das staatliche Veterinäruntersuchungsamt Krefeld hatte bei zwei Futtermittelherstellern aus Nordrhein-Westfalen in acht Rückstellproben von Melasse das Hormon MPA in Konzentrationen zwischen 0,015 und 0,2 Milligramm pro Kilogramm entdeckt. Die beiden Produzenten hatten nach Angaben Höhns insgesamt 400 Tonnen belastete Melasse dem Futtermittel beigemischt.
Die beiden Hersteller hätten sich selbst angezeigt, sagte Höhn. Ihnen sei kein Vorwurf zu machen. Sie hätten die Melasse von Juni bis Anfang Juli über einen Hamburger Makler direkt aus den Niederlanden bezogen. Melasse ist ein Abfallprodukt der Zuckererzeugung, das als Bindemittel und Geschmacksverstärker dem Futter beigemischt wird. Da die Melasse nur mit einem Anteil zwischen ein und vier Prozent in das Futter eingearbeitet wurde, sei die MPA-Belastung nur gering, sagte Höhn. Die belieferten Höfe hätten als Vorsichtsmaßnahme aber gesperrt werden müssen.
Das belastete Tierfutter sei zu 60 Prozent an Höfe gegangen, auf denen Rinder gehalten würden, vor allem Milchkühe, sagte Höhn. Die Milch dieser Tiere könne aber möglicherweise bereits am Freitag wieder zur Vermarktung freigegeben werden, weil die überwiegende Zahl der Wissenschaftler der Ansicht sei, dass die Hormone nicht über das Futter in die Milch übergingen. Wenn Stichproben-Untersuchungen dies bestätigten, könne die Milch freigegeben werden. Bund und Länder wollten darüber in einer Telefonkonferenz entscheiden.
Die Untersuchungskapazität in den staatlichen Labors in Nordrhein- Westfalen reiche aus, betonte Höhn. Sie kündigte an, sich bei der Landwirtschaftlichen Rentenbank dafür einzusetzen, dass die vom Hormonskandal betroffenen Bauern zinsgünstige Kredite erhalten.
Der Landwirtschaftsverband Rheinland, in dessen Bereich die Mehrzahl der in Nordrhein-Westfalen gesperrten Betriebe liegt, äußerte sich bestürzt über die Ausweitung des Skandals. Den gesperrten Betrieben drohten hohe Verluste, erklärte er.