Wer den Kiosk für Apps in seinem Smartphone nach Bewegungsprogrammen durchforstet, findet mittlerweile zahlreiche Angebote. Wie bewerten Sie als Sportwissenschaftler solche Programme?
Ingo Froböse: Gerade zu den jetzigen Zeiten mit Inflation und steigenden Preisen ist es sehr wichtig, dass so ein Angebot nicht zu viel kostet. Es muss niedrigschwellig gestaltet sein, damit sich Menschen eine App installieren und sie auch nutzen. Ist das gegeben, kann es ein Erfolg sein – wir haben in der Corona-Pandemie gesehen, dass etwa 17 bis 20 Prozent mehr Online-Angebote zum Thema Gesundheit abgerufen wurden. Mit so einem Bewegungsprogramm per App können Menschen ihre Alltagsaktivitäten flexibel und unabhängig gestalten.
Viele Arbeitnehmer:innen sitzen schon den ganzen Tag vor dem Bildschirm und dann auch noch der Sport auf dem Smartphone – ist das wirklich gut?
Wenn es mir wegen des Bildschirms nicht gelingt, beim Sport den Kopf frei zu kriegen, dann ist das tatsächlich ein Problem. Aber Apps oder Online-Sportkurse können ja so gestaltet sein, dass man sich auch etwas vom Bildschirm löst.
Was sind die Vorteile von Online-Sportangeboten?
Der größte Vorteil ist natürlich, dass ich sie nutzen kann, wann ich möchte: Die Flexibilität ist groß. Es können damit all jene Menschen erreicht werden, die nicht in einen Verein gehen wollen oder in ein Fitnessstudio. Und jene, die lieber allein Sport treiben.
Und was sind die Nachteile?
Das Problem bei Online-Angeboten ist, dass niemand kontrolliert, wie ich die Übungen ausführe. In der Turnhalle kann der Trainer mir zusehen und sagen, ob es so gut war oder nicht. Das fehlt bei einer App.
Für wen Bewegungsapps geeignet sind – und für wen nicht
Besteht denn eine Gefahr, dass falsch ausgeführte Übungen uns schaden?
Es ist in der Tat so, dass eine falsch ausgeführte Übung zu Verletzungen führen könnte. Gibt es in dem Programm in den ersten Stunden eine Einführung in die Bewegung, lässt sich das Risiko aber minimieren. Das größere Problem aus meiner Sicht ist, dass sich der Trainingseffekt nur einstellt, wenn ich auch die richtige Belastung auswähle, also für jeden individuell die richtigen Übungen und die nötige Anzahl an Wiederholungen bestimmt werden.
Auch immer mehr Senior:innen mit 60 oder 70 Jahren nutzen ein Smartphone. Sind sie auch eine Zielgruppe für Sport-Apps?
Die Nutzung von derartigen Programmen verbreitet sich immer weiter, und auch 70-jährige sind mittlerweile bei den Sport-Apps unterwegs. Natürlich muss ein digitales Bewegungsangebot für Senior:innen anders aussehen als eines für Kinder.
Wem würden Sie vor dem Nutzen einer App mit Bewegungsangeboten den Check beim Arzt oder der Ärztin anraten?
Ich finde es wichtig, dass es bei Bewegungskursen per App zum Einstieg eine Fragerunde und einleitende Hinweise gibt. Dort sollten die Vorerfahrung und gesundheitliche Vorbelastungen erfragt werden. Bei bestimmten Krankheiten kann ein Hinweis eingeblendet werden, der Nutzende der App auffordert, erst eine Arztpraxis aufzusuchen, bevor sie mit den Übungen der App starten.
Welche Sportarten eignen sich überhaupt als Online-Angebot?
Alle gymnastischen Übungen, die mit der Beweglichkeit von Gelenken zusammenhängen und kräftigend wirken, eignen sich. Auch Tanz, der durch eine Choreografie die Koordination fördert, ist gut. Ebenso kann ich per App Muskelaufbau betreiben und Rückenschmerzen vorbeugen.
Wie wir Bewegung in den Alltag integrieren
Wer in die Apps-Stores guckt, findet viele Sport- und Bewegungsapps. Auf welche Punkte sollten Nutzer:innen achten, um eine gute App zu erkennen?
Wie schon angesprochen, sollte es vor dem Start des Programms eine Befragung zu Alter, Geschlecht, Vorerfahrungen, Problemen, Erkrankungen geben. Außerdem sollten die Interessen und Trainingsziele der Nutzenden abgefragt werden – so können verschiedene Programme ausgegeben werden oder unterschiedliche Intensitäten bei den Übungen. Es ist auch sehr wichtig zu schauen, wer dahintersteckt. Es sollten immer Personen vom Fach sein – mit einer akademischen Qualifikation.
Für wen eignet sich eher Sport in der Gruppe?
Generell natürlich für alle Teamsportler:innen – Fußball, Handball oder Volleyball lässt sich natürlich nur in der Gruppe spielen. Sport in der Gruppe eignet sich auch für jene, denen soziale Kontakte und eine soziale Eingebundenheit wichtig sind. Es ist aber auch kein Entweder-oder. Häufig ergibt es sich, dass ich einerseits im Verein Sport treibe und das Training zu Hause mit Online-Angeboten ergänze.
Und wie schaffen wir es, uns im Alltag mehr zu bewegen?
Bewegungspunkte sammeln heißt so viele Schritte wie möglich machen. Treppensteigen ist ein ganz wunderbares Herz-Kreislauf-Training. Statt mit dem Auto oder dem Bus kann ich Wege zu Fuß gehen oder auf das Rad umsteigen. Außerdem sollten Menschen in Bürojobs jede Stunde die Inaktivität auf dem Stuhl unterbrechen und sich recken und strecken.
Und jeder muss sich etwas für die Freizeit überlegen: Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt mindestens 150 Minuten Herz-Kreislauf-Training pro Woche. Und zweimal in der Woche Muskeltraining in Form von Gymnastik mit dem eigenen Körpergewicht – das geht auch per App.

Wie können auch echte Sportmuffel in Bewegung kommen?
Das ist eine der größten Schwierigkeiten. Wer neu beginnt, sollte sich immer kleine Ziele setzen, die innerhalb von sechs bis acht Wochen erreichbar sind. Danach sollte ich mich belohnen, weil nach dieser Zeit eigentlich immer ein Motivationstief kommt. Und mir immer wieder neue kleine Ziele setzen. Die Zeit für Sport sollte fest in den Terminkalender eingetragen werden, um etwas Struktur zu bekommen. Am Anfang ist es gut, sich mit dem Partner oder der Partnerin zu verabreden oder mit dem Kind zu tanzen. So hat man auch eine soziale Verpflichtung, was es für einige leichter machen kann.
Die besten Übungen, um fit zu bleiben
Welche Sportarten sind für Menschen, die viel bei der Arbeit sitzen, am besten?
Es ist wichtig, das Herz-Kreislauf-System zu aktivieren, also walken, radeln oder joggen. Das ist sicherlich das Beste, was man tun kann. Je älter man wird, desto bedeutender werden Muskulatur und die Muskelmasse: Wenn wir viel sitzen, verlieren wir Muskelmasse und Muskelkraft. Das ist die größte Gefahr für unsere Mobilität. Insofern sollten wir Ausdauertraining zwei- bis drei Mal die Woche betreiben und es um Muskeltraining ergänzen.
Vor allem Büroarbeiter haben oft mit Rückenproblemen zu kämpfen. Was können sie auch zwischendurch am Schreibtisch machen, um die Beschwerden zu lindern?
Man kann zum Beispiel beim Telefonieren herumgehen und ab und an auch Aufgaben im Stehen erledigen. Dazu braucht es keinen höhenverstellbaren Schreibtisch, dazu kann der Laptop im Homeoffice auch mal in ein Regal gestellt werden. Außerdem sollte man zwischendurch mal aufstehen, gehen und Streckbewegungen nach rechts, links, oben und unten machen.
Ganz wichtig ist die Dehnung des Bauches. Das geht im Sitzen so: Man lehnt sich ganz weit nach hinten und nimmt die Arme mit. Eine ganz wunderbare Übung ist der Hacker: Dabei setze ich mich aufrecht hin, die Oberarme liegen am Körper an, am Ellbogen ist der Arm gebeugt, der Daumen der flach geöffneten Hand zeigt nach oben, und ich führe für 30 Sekunden ganz schnelle, kleine Hackbewegungen aus. Wenn ich das mache, ist das ganz wunderbar für die Rückenmuskulatur. Das sollte ich jede Stunde für ein paar Minuten machen, damit der Rücken profitiert.
Die besten Yoga-Posen für Anfänger – mit Variationen für jedes Level

Was sind Ihrer Meinung nach die drei besten Übungen, die jeder in seinen Wochenplan einbauen sollte, um sich fit zu halten?
Die wichtigste Übung ist die Kniebeuge, weil sie Oberschenkel und Gesäß trainiert: Man sitzt auf dem Stuhl, geht dann mit dem Po hoch, stellt sich hin und geht wieder runter und tippt mit dem Hintern kurz auf die Sitzfläche. Für Bauch und Rücken ist die folgende Übung gut: Ich beuge den Oberkörper nach vorne und lege ihn auf den Oberschenkeln ab. Danach gehe ich wieder hoch und lehne mich nach hinten – wie eine Pendelbewegung. Die dritte Übung ist der Liegestütz: Für Fortgeschrittene geht es auf den Boden – Fußspitzen und Hände stützen sich auf, und der Oberkörper ist gerade über dem Boden. Er wird hoch- und runtergedrückt. Ansonsten kann man sich auch mit den Armen auf dem Schreibtisch abstützen und mit dem Oberkörper hoch- und runtergehen.