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Ausbreitung des Erregers Spiel mit dem Risiko: Warum Corona-Partys purer Egoismus sind

Corona-Party: Jugendliche stoßen mit Dosenbier an
Private Feiern in Zeiten von Corona - keine gute Idee (Symbolbild)
© katleho Seisa / Getty Images
Im Internet kursieren Hinweise auf Corona-Partys: Treffen mit viel Spaß und Schnaps. Das Motto: "Lieber jetzt anstecken, dann hab’ ich’s hinter mir". Doch diese Lässigkeit kann nach hinten losgehen.
Von Constanze Löffler

Die Idee hat eine gewisse Logik: Ausgehen, Spaß haben und wenn man sich dabei das Coronavirus einfängt, kuriert man den Kater eben zeitgleich mit der Krankheit aus. Auch für den Fall, dass es einem richtig schlecht gehen sollte: Die Chancen auf ein Intensivbett stehen jetzt, am Anfang der Infektionswelle, doch noch gut, oder?

Gedanken solcher Art kursieren in den sozialen Netzwerken, im Freundeskreis und unter Kita-Eltern längst nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand. Antrieb ist die Annahme, dass über 80 Prozent der Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus völlig harmlos verlaufen. Doch Virologen warnen: Genau wie Masern von vielen fälschlicherweise als harmlose Kinderkrankheit mit ein bisschen Fieber und roten Pünktchen auf der Haut eingeschätzt werden, wird auch Covid-19 unterschätzt, sagt Martin Bachmann, Immunologe von der Universität Bern. Der Experte warnt vor den drastischen Folgen des Party-Leichtsinns: Eine Infektion mit Covid-19 kann tödlich enden. Für einen selbst – und vor allem für andere.

Nachfolger der Masern-Partys

In den 2000er Jahren gab es hierzulande bereits ähnlich gefährliche Party-Ideen. Damals waren es die Masern-Partys. Weil der Impfstoff gegen die Virusinfektion fälschlicherweise mit Autismus in Verbindung gebracht wurde, fingen Eltern an, ihre Kinder absichtlich anstecken zu lassen, um danach zeitlebens Ruhe vor der Krankheit haben. Der Denkfehler: Bei einem von 10.000 Masernkranken entzündet sich das Gehirn; eine potenziell tödliche Komplikation. Dazu kommen schwere Folgeschäden wie geistige Behinderungen, Lähmungen oder Sprachstörungen.

Trotz dieser weltweit bekannten Erfahrung, hatte Großbritanniens Premier Boris Johnson noch bis letzte Woche für sein Land eine Art Massen-Corona-Party geplant: Statt die Pandemie entschieden zu bekämpfen, erklärte die Regierung die sogenannte Herdenimmunität als Ziel. Vor allem jüngere Menschen sollten sich gezielt anstecken, die Krankheit durchlaufen, immun gegen das Virus werden und so verhindern, dass Risikogruppen sich infizieren. Die Idee dahinter: Infizierten sich etwa 60 Prozent der Bevölkerung, dann könnte Schutz für die ganze Gemeinschaft durch Immunität aufgebaut werden, hatte Gesundheitsexperte Patrick Vallance verkündet.  Diese Art von Herdenimmunität kennt man von anderen Erkrankungen, beispielsweise Grippe oder Masern. Wenn ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung geimpft oder immun ist, läuft sich das Virus tot – und kann auch Risikopatienten kaum erreichen.

Johnsons Vorgehen stieß in Fachkreisen jedoch auf herbe Kritik: Eine Gruppe von mehr als 200 Wissenschaftlern forderte in einem öffentlichen Brief wissenschaftliche Belege für das Vorgehen.  Auch die Sprecherin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Margaret Harris, stellte den Ansatz vergangenen Samstag infrage.  Man wisse noch zu wenig über das Virus, um solch ein Vorgehen zu rechtfertigen, sagte sie gegenüber der BBC.

Auch Jüngere betroffen

Tatsächlich hat dieser Umgang mit dem Virus zwei große Haken. Tatsache ist: "Selbst jüngere Menschen können gelegentlich von schweren Covid-19-Verläufen betroffen sein", sagt Bachmann. Vor allem dann, wenn ihr Herz nicht hundertprozentig fit ist. Ärzte aus Italien, die derzeit am stärksten betroffene Region in Europa, beobachten zunehmend bei jungen Patienten schwere Krankheitsverläufe. Auch in China starben junge Ärzte und Pflegepersonal an Covid-19. Li Wenliang, der chinesische Augenarzt, der Anfang Januar als einer der Ersten vor dem Ausbruch des Virus gewarnt hatte, war bei seinem Tod 34 Jahre alt.

Der Hintergrund: Covid-19 führt zu einer Virusinfektion der Lunge. Dabei kann sich Flüssigkeit in der Lunge sammeln, die den Gasaustausch zwischen Herz und Lungen schmälert. Der Sauerstoffgehalt im Blut sinkt, das belastet das Herz-Kreislauf-System. Das Herz muss schneller pumpen, um die Organe mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen. Herzfrequenz und Blutdruck steigen, Schwerstarbeit für das gesamte Herz-Kreislaufsystem. "Jemand, der sportlich trainiert ist, dessen Herz wird es ohne Weiteres mitmachen, dass es für ein paar Tage wirklich in einem höheren Takt schlagen und mehr Blut pumpen muss, auch im Ruhezustand", sagte der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité vor wenigen Tagen gegenüber NDR info. Anders ein Herz, das vorgeschädigt ist. Egal, wie alt jemand ist, kommt es bald an seine Leistungsgrenze. Wer beim Treppensteigen außer Puste kommt, gehört demnach in die Risikogruppe. Gerade junge Menschen wissen oft nichts von ihrer schwachen Pumpe. 

"Blüten einer egoistischen Gesellschaft"

Abgesehen davon ist die Idee ziemlich egoistisch. Vermutlich begibt sich kaum ein Partygänger nach durchtanzter Nacht für zwei Wochen in freiwillige Isolation zu Hause, um abzuwarten, ob das Halskratzen einsetzt. Bis zu 14 Tagen kann es dauern, bis sich Symptome einer Erkrankung mit Covid-19 zeigen. In dieser Zeit können Infizierte das Virus an jede beliebige Kontaktperson weitergeben. Viele entwickeln auch gar keine Beschwerden – und leben in dem Glauben, gesund zu sein besonders sorglos. Sie gehen munter vor die Tür, treffen Freunde, gehen Einkaufen – und infizieren unachtsam Dutzende, vielleicht Hunderte von Mitmenschen. Auf ihren Wegen werden sie auch ältere Menschen und Risikopatienten begegnen. "Wenn da in der Familie eine Infektion ist und man sich vorstellt, dass das dann auf die Großeltern übergeht, oder auf die Großeltern von Bekannten...", Virologe Drosten beendet den Satz nicht, sondern schlussfolgert schlicht: "Man sollte sich wirklich überlegen, ob man das bewusst herbeigeführt haben will."

Südkorea hat erlebt, welche fatalen Kreise die Infektion einer einzelnen infizierten Person zieht. Einen Monat lang hatte das Land die Corona-Krise im Griff, zählte nur 30 Menschen, die sich an Sars-CoV-2 angesteckt hatten. Bis "Patient 31" kam. Die Frau verteilte das Virus in den zweieinhalb Wochen bis zur Diagnose vermutlich an über 1000 Menschen, vornehmlich in gut besuchten Gottesdiensten.

Nur mit harten Maßnahmen gelang es Südkorea über Isolation der Menschen und strenge Kontrollen das Virus einzudämmen – und zwar bevor das Gesundheitssystem zusammenbrach. Corona-Partys konterkarieren durch die forcierte Ausbreitung solche Mühen und können dazu führen, dass das Gesundheitssystem kollabiert. Und wie der Fall Italien zeigt, auch zu mehr Toten führen, weil lebensrettende Beatmungsgeräte schlicht nicht mehr zur Verfügung stehen.

Auch wenn Clubs und Bars schon geschlossen sind - noch haben wir in Deutschland keine Ausgangssperren. Menschen können die unverantwortlichen Virenpartys feiern. Das Robert Koch-Institut (RKI) kann nur eindringlich warnen: "Es ist nicht sinnvoll, anstatt in einen Club zu gehen, zu einer großen Party zu sich nach Hause einzuladen oder zu anderen Festen zu gehen, bei denen sich viele Menschen treffen", erklärte RKI-Vize-Präsident Lars Schaade auf einer Pressekonferenz am Montagvormittag in Berlin und appellierte an die Vernunft: "Bitte tun Sie das nicht. Bleiben Sie möglichst zu Hause."

Das empfiehlt auch Martin Bachmann von der Universität Bern: Corona-Partys hätten ein nicht kalkulierbares Risiko, so der Immunologe, der mit seinem Start-up Saiba Biotech einen Impfstoff gegen Corona entwickelt und bereits erfolgreich an Mäusen getestet hat. Eine Herdenimmunität, sei natürlich durchaus erstrebenswert, sagt Bachmann. Aber im 21. Jahrhundert sollte dieses Ziel durch Impfungen und nicht durch durchlebte Krankheiten und viele Tote gesichert werden, so der Experte.

Am Wochenende hat auch Boris Johnson eingesehen, dass seine Idee der Herdenimmunität nicht die hellste war – und vermutlich vielen Briten das Leben kosten wird. Verspätet kam die Kehrtwende: Der Inselstaat fängt nun auch an, das öffentliche Leben einzuschränken. Um die Verbreitung des Virus zu verlangsamen. 

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