Corona-Pandemie Omikron-Impfstoff für BA.4/BA.5 in EU zugelassen – was das bedeutet

Forschende suchen nach passen Impfstoffe an
In der EU ist nun auch ein angepasster Omikron-Impfstoff für die Sublinien BA.4/BA.5 zugelassen (Symbolfoto).
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Nun sind in der EU die angepassten Omikron-Booster für die Subvarianten BA.1 und auch für BA.4/BA.5 zugelassen. Auf welcher Grundlage die Entscheidung beruht und welcher Impfstoff besser ist.

In den USA hat ein angepasster Corona-Impfstoff für die Omikron Sublinien BA.4 und BA.5 bereits am 31. August eine Notfallzulassung erhalten. Nun hat auch die Europäische Kommission den auf die Omikron-Sublinien BA.4 und BA.5 angepassten Impfstoff des Herstellers Biontech/Pfizer zugelassen (12. September 2022). Was bedeutet das?

Die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) hatte zuvor die Zulassung des Vakzins für Menschen ab 12 Jahren empfohlen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sagte gegenüber dem "Handelsblatt", dass der angepasste BA.4/BA.5-Impfstoff schon nächste Woche in Deutschland ausgeliefert werden soll. Es handelt sich dabei um einen bivalenten Impfstoff. Es bedeutet, dass der Impfstoff Moleküle zur Herstellung des Spike-Proteins des ursprünglichen Coronavirus und der Omikron-Subvarianten BA.4/BA.5 enthält. Das Spike-Protein benötigt das Virus, um in die Körperzellen einzudringen.

BA.4/BA.5-Impfstoff sollen besser schützen

Im Gegensatz zur Ursprungsvariante des Coronavirus haben die Omikron-Varianten einige Mutationen am Spike-Protein – so gelingt es dem Virus, die Immunität des Körpers gegen das ursprüngliche Coronavirus zu umgehen. "Die bivalenten Impfstoffe zielen darauf ab, eine breitere Immunisierung gegen Covid-19 bereitzustellen", erklärte Biontech-Grüner Uğur Şahin in einer Mitteilung des Unternehmens.

Erst kürzlich hatte die EU bereits zwei weitere angepasste Omikron-Impfstoffe zugelassen. Dabei handelte es sich ebenfalls um bivalente Vakzine der Hersteller Biontech/Pfizer und Moderna. Sie sind auf die Omikron-Subvariante BA.1 angepasst. Doch diese Variante spielt für das Infektionsgeschehen hierzulande längst keine Rolle mehr. Laut aktuellem Wochenbericht des Robert Koch-Instituts gehen 96 Prozent der Infektionen auf das Konto von BA.5. Ein sehr geringer Anteil ist durch die Subtypen BA.2 und BA.4 ausgelöst worden.

Der Sinn von bivalenten Vakzinen

Warum die angepassten Impfstoffe sowohl den Bauplan für die Omikron-Subtypen BA.1 beziehungsweise BA.4/BA.5 enthalten und des Wildtyps liegt daran, dass man sich so einen besseren Schutz verspricht. Denn: Momentan dominiert in Deutschland zwar der Omikron-Subtyp BA.5, doch das Coronavirus hat sich in der Vergangenheit schon oft verändert und niemand weiß, wie künftige Covid-19-Varianten aussehen werden. Theoretisch ist es also denkbar, dass neue Varianten entstehen, deren Spike-Protein dem des Wildtyps ähnlicher ist als den Omikron-Subtypen BA.1 und BA.4/BA.5.

Die EMA informiert darüber, dass die angepassten Impfstoffe genauso funktionieren wie der ursprüngliche Corona-Impfstoff. Der Körper bekommt je den Bauplan geliefert, um Antikörper gegen das ursprüngliche Coronavirus beziehungsweise die Omikron-Subtypen BA.1 oder BA.4/BA.5  zu produzieren. Kommt der Körper dann in später in Kontakt mit dem Virus, erkennt die Immunabwehr den Erreger wieder und kann schnell und gezielt angreifen. Die mRNA-Moleküle aus den Impfstoffen verbleiben nicht im Körper, sondern werden kurz nach der Impfung abgebaut.

Es sind in Europa zwei Omikron-Booster zugelassen (zwei an BA.1 angepasste Impfstoffe und einer auf BA.4/BA.5 ). Welcher Impfstoff ist also besser? Uğur Şahin sagte im Interview mit dem "Spiegel": "Grundsätzlich ist zwischen den beiden Impfstoffen kein gewaltiger Unterschied. Beide haben in Untersuchungen gezeigt, dass sie im Vergleich zum ursprünglichen Impfstoff eine klar überlegene Antikörperantwort auf Omikron produzieren. Gleichzeitig haben wir deutliche Hinweise, dass ein BA.5-Impfstoff eben noch besser gegen BA.5 wirkt. Es gibt aber auch Meinungen, dass in einigen Monaten eine Variante auftauchen könnte, die wieder näher an BA.1 liegt."

Wirksamkeit einer vierten Spritze mit Omikron-Booster

In der klinischen Studie des Herstellers Biontech/Pfizer mit über 1200 Proband:innen, die bereits eine Grundimmunisierung erhalten hatten und in der Untersuchung verschiedene Booster erhielten, zeigte sich, dass der angepasste bivalente BA.1-Impfstoff im Vergleich mit dem bisherigen Vakzin zu einer neunfach höheren Neutralisation von Coronaviren der Omikronvariante führte. Auch wenn der Impfstoff auf die Omikron-Subvariante BA.1 optimiert ist, schützt er besser vor einer Infektion mit BA.4/BA.5 als der ursprüngliche Impfstoff: Er zeigt eine vierfach verbesserte Wirkung gegen die Varianten BA.4 und BA.5 – im Vergleich mit einem nicht angepassten Impfstoff.

Eine Impfung mit einem angepassten Omikron-Impfstoff kann den Schutz vor einer Infektion erhöhen – es ist aber auch keine Wunderwaffe. Es pusht sozusagen den bisherigen Schutz, der schon durch die vorangegangen Corona-Impfungen aufgebaut wurde. "Bei den angepassten Impfstoffen handelt es sich nicht um eine neue Art von Superschild, vergleicht man sie mit den Impfungen, die man schon hatte",  sagte John Moore, Impfstoff-Experte von Weill Cornell Medicine in New York gegenüber "Nature".

Auch wenn durch die Omikron-Variante meist milde Verläufe verursacht werden, sind Impfungen wichtig, um sich vor schweren Krankheitsverläufen und/oder einer Behandlung im Krankenhaus zu schützen. Eine Studie aus den USA hat Daten aus 13- US-Bundesstaaten von Januar 2021 bis April 2022 verglichen. Die Forschenden wollten dabei herausfinden, wie hoch das Risiko für Erwachsene ab 18 Jahren ist, mit einer Omikron-Infektion im Krankenhaus behandelt werden zu müssen und welche Rolle dabei der Impfstatus spielt.

Das Ergebnis: Ungeimpfte wurden 10,5 Mal häufiger im Krankenhaus behandelt als Menschen mit einer zweifachen Impfung. Auch der Booster spielt noch eine Rolle: So mussten zweifach Geimpfte 2,5 Mal häufiger in Kliniken eingewiesen werden als geboosterte Menschen. Zum Zeitpunkt der Studie war auch in den USA noch kein auf Omikron angepasster Impfstoff zugelassen.

Empfehlung der Stiko steht noch aus

Eine Empfehlung der Ständigen Impfkommisson (Stiko) für die angepassten Omikron-Impfstoffe gibt es noch nicht. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach schrieb auf Twitter, dass die Stiko bereits an neuen Empfehlungen arbeite.

Bisher empfiehlt das Gremium allen ab 60 Jahren einen zweiten Booster. Auch für Menschen ab fünf Jahren, die ein erhöhtes Risiko für schwere Erkrankungen haben, empfiehlt die Stiko eine den erneuten Booster mit dem ursprünglichen Corona-Impfstoff. Frühestens sechs Monate nach der letzten Impfung oder einer überstandenen Covid-19-Infektion sollte die Impfung verabreicht werden.

Grundlage der Zulassung für angepasste Omikron-Impfstoffe

Die Grundlage für die Zulassung der Impfstoffe, die auf BA.1 und BA.4/BA.5 angepasst sind, unterscheiden sich etwas voneinander. Für die Zulassung mit dem BA.1-Impfstoff von Biontech/Pfizer und dem von Moderna begründet die EMA ihre Zulassungsempfehlung mit den Ergebnissen der klinischen Studien am Menschen der beiden Hersteller.

Für die BA.4/BA.5 angepassten Impfstoffe stützt sich die Behörde bei ihrer Zulassungsempfehlung zum einen auf die klinischen Studien zum BA.1-Impfstoffe und auf Labor- und Tierversuche für den angepassten BA.4/BA.5-Impfstoff. Eine klinische Studie für den angepassten BA.4/BA.5-Impfstoff von Biontech/Pfizer wurde Anfang September begonnen und die Ergebnisse sollen noch im Herbst verfügbar sein.

Die EMA teilte dazu mit: "Abgesehen davon, dass sie mRNA enthalten, die auf verschiedenen, aber nahe verwandten Omikron-Sublinien beruhen, haben der angepasste bivalente BA.1-Impfstoff und der BA.4/BA.5-Impfstoff dieselbe Zusammensetzung."

Notfallzulassung in den USA Ende August

Auch in den USA beruht die Notfallzulassung der angepassten Omikron-Impfstoffe für BA.4/BA.5 auf klinischen Studiendaten zum angepassten BA.1-Vakzin, Daten zu den Millionen Menschen, die bereits eine Covid-19-Impfung erhalten haben und auf nicht-klinische Daten für BA.4/BA.5-Booster, wie der Chef der US-Amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA Robert Califf auf Twitter im August schrieb.

An der Notfallzulassung in den USA ohne Daten am Menschen gab es auch Kritik. In einer Tierstudie wurden vorläufige Daten zur Wirksamkeit des BA.4/BA.5- Impfstoffes gewonnen. Die Forschenden testeten monovalente und bivalente Impfstoffe. Dabei wurden insgesamt 32 Mäusen in vier Gruppen zu je acht aufgeteilt. Ihnen wurde je nach Gruppe der ursprüngliche Corona-Impfstoff, der bivalente auf BA.4/BA.5 angepasste Impfstoff, der nur auf die Omikron-Variante BA.1 und der nur an die Omikron-Variante BA.4/BA.5 angepasste Impfstoff verabreicht. In dieser Untersuchung konnte nachgewiesen werden, dass der BA.4/BA.5 angepasste Impfstoff als Booster bei Tieren eine erhöhte Immunreaktion im Gegensatz zum ursprünglichen Covid-19-Impfstoff zeigt.

Bekanntes Vorgehen von Grippeimpfungen

Die Frage, ob auf Varianten angepasste Corona-Impfstoffe erst nach der Durchführung von jeweils neuen klinischen Studien zugelassen werden sollten, wurde unter Impfexpert:innen schon länger diskutiert.

Denn: Es ist eine Risikoabwägung – wird für die Zulassung der angepassten Impfstoffe auf klinischen Daten bestanden, dauert es länger, bis die Impfstoffe auf dem Markt verfügbar sind. Die Folge könnte sein, dass bis zur Zulassung schon eine andere Variante dominierend ist. Biologe Ulrich Elling sagte zu dieser Frage im Interview mit dem stern: "Ohne optimal angepassten Impfstoff wird es zu mehr Krankheitsfällen kommen und somit mit Sicherheit auch zu schweren Verläufen und Todesfällen."

Das Vorgehen, dass angepasste Impfstoffe ohne jeweils neue umfangreiche Testung zugelassen werden, ist bei den modifizierten Grippeimpfstoffen üblich, wie Ulrich Elling erklärte. Auch Immunologe Carsten Watzl sagte im Gespräch mit dem Science Media Center, dass der jährlich angepasste Grippeimpfstoff nicht noch in Studien an Menschen getestet wird.

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