Blackberry-Sucht Panik vor der virtuellen Finsternis

  • von Eva Wolfangel
Eine ernsthafte Form von Abhängigkeit greift in Zusammenhang mit Blackberry, Wlan und Internet um sich, berichten Forscher aus Kanada - dem Land der Blackberry-Erfinder. Auch die Deutschen gelten als sehr anfällig für solche Abhängigkeiten, warnen Psychologen.

Sonntagmorgen, 9 Uhr, ist Frühstückszeit bei Familie M. Ein Familienritual, das keiner stören darf. Doch neuerdings gilt das nicht mehr. Zeigt sein Blackberry beim Aufstehen keine neue Nachricht, wird Peter M. unruhig. "Während des Frühstücks schaue ich alle zwei Minuten nach, ob es nicht doch etwas Neues gibt." Bis seine Frau auf den Tisch haute und "wenigstens ein gemütliches Frühstück am Wochenende" forderte: "Du benimmst dich wie ein Junkie!", schimpfte sie. Und der zerknirschte Ehemann musste ihr Recht geben - um gleich wieder auf das Display zu schielen. "Es ist wie eine Sucht, es lässt einen nicht in Ruhe", bekennt der Manager.

Als Sprecher eines großen Unternehmens will Peter M. minütlich auf dem Laufenden sein, auch am Wochenende, und im Zweifelsfall sofort reagieren. Dabei erwartet selbst sein Chef keineswegs solchen Eifer. "Crackberries", so das neue Wort für Blackberry-Süchtige, gefährden nicht nur ihre Ehe. Sie leiden unter einer ernstzunehmenden Krankheit, so das Ergebnis einer kanadischen Studie. "Disconnect anxiety" - die Panik, vom Netz abgeschnitten zu sein - so nennen die Forscher des privaten Marktforschungsinstituts Solutions Research Group (SRG) die neue psychische Störung, die sie der nahezu flächendeckenden Verfügbarkeit von mobiler Kommunikation zuschreiben. Erstmals wurden im Land des Blackberry-Erfinders RIM die Auswirkungen dieser Sucht untersucht. Die Symptome, behaupten die Soziologen, ähnelten einer Drogensucht. "Wenn Sie Ihren Blackberry oder ihr Handy vor der Dusche ablegen, sind Sie sicherlich davon betroffen", sagt der SRG-Präsident Kaan Yigit.

Jeder Zweite nutzt den Blackberry sogar auf dem Klo

Mehr als 3000 Kanadier aller Altersstufen und Gesellschaftsschichten haben die auf Medien und neue Technologien spezialisierten Forscher im vergangenen Jahr befragt und dabei unter anderem herausbekommen, dass jeder zweite Blackberry-Besitzer sein Gerät selbst auf der Toilette benutzt. Sieben von zehn Handybesitzern sagen von sich selbst, dass sie ihr Telefon immer bei sich haben, mehr als 40 Prozent nehmen ihren Laptop mit in den Urlaub.

Gleichzeitig glaubt allerdings die Hälfte aller Kanadier, dass Geräte wie Blackberrys ihre Besitzer mehr an die Arbeit ketten, als dass sie ihnen eine Erleichterung sind. Wer permanent erreichbar ist, von dem wird auch erwartet, prompt auf Anfragen aller Art zu reagieren - sei es am Wochenende, nachts oder im Urlaub. Ruhe macht die Betroffenen aber auch nicht glücklich: Verkündet das Gerät einmal einige Stunden keine neue Nachricht, plagen sie Zweifel wie "Bin ich noch wichtig?" oder "Hat man mich vergessen?"

Hilflosigkeit beim Netzausfall

Süchtige reagieren empfindlich darauf, wenn sie aus technischen Gründen vom Netz abgeschnitten sind, so die Beobachtung der kanadischen Forscher. Die Betroffenen fühlen sich verloren und hilflos, wenn ihr Gerät einmal ausfällt. Nachdem im Februar das Blackberry-Netz in Kanada und den USA flächendeckend für drei Stunden ausgefallen war, berichteten einige Nutzer von regelrechten Panikattacken "Wie gelähmt" fühlten sie sich, ließen Manager die Journalisten aus ihrer virtuellen Finsternis wissen, "alle durchleben eine Krise, weil ihr Blackberry nicht funktioniert", kommentierte der liberale Abgeordnete Garth Turner. Das kanadische Einwanderungsministerium wies nach ersten Berichten über die Sucht seine Mitarbeiter an, Smartphones am Feierabend und im Urlaub auszuschalten.

Bei vielen Betroffenen mischen sich berufliche Sorgen mit der Angst, in Notfällen allein zu sein. "Diese Menschen bezeichnen ihr Handy als Rettungsleine und fühlen sich sicherer, wenn sie eines dabei haben", schreiben die Wissenschaftler. Ein Teilnehmer der Studie beschreibt, wie er im kalifornischen "Death Valley" unterwegs war und feststellte, dass sein Handy keinen Empfang hatte. "Ich habe mich noch nie so hilflos gefühlt. Ich saß in einem Mietwagen, hätte eine Autopanne haben können. Was hätte ich dann tun können? Zwei Steine aneinander reiben und ein Feuer entfachen? Nach Hilfe schreien?"

Ein anderer berichtet von seiner Hilflosigkeit im Urlaub in Kambodscha, wo er keinen Blackberry-Empfang hatte. Vier Tage hielt er es aus, dann bat er seine Ehefrau, mit ihm zurück nach Hongkong zu fliegen, um die verpassten Nachrichten zu empfangen. "Ich saß im Flughafen und hatte eine Flut an E-Mails." Er war einerseits erleichtert, endlich wieder "im Netz" zu sein, andererseits überforderte ihn die Menge an Mails, die scheinbar alle darauf warteten, von ihm beantwortet zu werden.

Chatten vorm Schulbeginn

Jüngere Teilnehmer nennen vor allem soziale Gründe, weshalb sie ihr Handy nie ausschalten oder im Schnitt alle paar Minuten auf ihr "Facebook", eine Internetplattform wie StudiVZ oder Xing, schauen. Mehr als 150 "Freunde" hat der durchschnittliche kanadische Jugendliche auf seiner Facebook-Seite verzeichnet - die meisten können sich nicht mehr vorstellen, ohne die Chats zu leben. "Du stehst morgens im Schlafanzug im Bad, die Zahnbürste im Mundwinkel, und kannst schon mit deinen Freunden kommunizieren", schwärmt einer der befragten Jugendlichen. Wer um acht in die Schule kommt und noch nicht mit den Klassenkameraden gechattet hat, muss fürchten, bereits etwas verpasst zu haben. Dieses Phänomen setzt sich fort in der Angst der Manager, Nachrichten zu verpassen, wenn sie nicht alle paar Minuten auf ihre Smartphones schauen.

Auch wenn in Deutschland Blackberrys noch nicht so verbreitet sind wie in Kanada, gelten die Deutschen als besonders anfällig für die irrationalen Ängste, "aus der Welt zu fallen", wie der Psychologe Stephan Grünewald vom Kölner Rheingold-Institut, einem psychoanalytisch arbeitenden Markt- und Medienforschungsinstitut, beobachtet hat. Die neuen medialen Alleskönner verstärkten die deutsche Grundhaltung, ständig aktiv sein zu müssen: "Wir befinden uns in einem Zustand tätiger Besinnungslosigkeit", beschreibt Grünewald das Phänomen, "am Ende des Tages weiß man oft gar nicht mehr, was man eigentlich getan hat."

Die multimediale Ablenkung diene auch dazu, ungelösten Fragen des Lebens aus dem Weg zu gehen - die auf die Menschen einprasseln, wenn Ruhe einkehrt. "Sobald man wieder ins Hamsterrad einsteigt, sind diese Fragen nicht mehr da", erklärt der Psychologe und Autor des Buches "Deutschland auf der Couch" die anziehende Wirkung der kleinen Geräte auf anfällige Zeitgenossen.

Gesunder Umgang mit der Technik

Sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien, fordert psychische Stärke. Dafür ist es nicht nötig, die kleinen Geräte zu verdammen. Vielmehr ist ein gesunder Umgang gefragt, der dafür sorgt, dass man sich nicht von der Technik bestimmen lässt, betont Grünewald. "Einfach mal abschalten", dafür plädiert selbst der Chef von Blackberry-Hersteller RIM, Jim Balsillie, der sein Gerät grundsätzlich nach 22 Uhr ausschaltet, um seine Ruhe zu haben.

Phasen der Ruhe und des Müßiggangs sind wichtig und aus psychologischer Sicht einer der produktivsten Zustände, sagt Grünewald: "Aus der Langeweile entspringen die kreativsten Ideen." Wer hingegen ständig im Stand-By-Modus lebt, betreibe Raubbau an seiner Kreativität. Dass inzwischen selbst Toiletten mit Wlan-Empfang versehen werden, hält er für bedenklich: "Es ist kein Witz, dass die besten Ideen auf dem stillen Örtchen entstehen."

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