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Zähne Die neue Medizin des Beißens

Kranke Zähne können gefährlich für den gesamten Organismus werden. Sie zu schützen ist deshalb das oberste Gebot der modernen Zahnmedizin.
Von Sven Rohde

2005 wurde die Fußballmannschaft des 1. FC Köln von einer rätselhaften Verletzungskrise heimgesucht. Der Verteidiger Lukas Sinkiewicz zog sich zwei Muskelfaserrisse innerhalb von zwei Monaten zu. Sein Kollege Markus Feulner, Mittelfeldspieler, wurde über Wochen von seiner Achillessehne geplagt. Und schließlich der Stürmer Michael Lejan: Dessen Muskelfaserriss im Oberschenkel wollte und wollte nicht ausheilen, blöd für einen Spieler, der sich neben Deutschlands Jungstar Lukas Podolski im Sturm beweisen will.

Die Erklärung für diese Verletzungsmisere lieferte nicht der Orthopäde, sondern der Zahnarzt: Alle drei Spieler litten unter Entzündungen an Zähnen oder Kiefer. Muskelfaserrisse wegen eines vereiterten Zahns? Probleme mit der Achillessehne wegen einer Kieferentzündung? Der Vereinsarzt Dr. Paul Klein erklärt das so: Bakterien könnten sich vom Entzündungsherd aus über den Blutkreislauf im Körper verteilen und dort Schwachstellen angreifen.

Herz-Kreislauf-Beschwerden als Folge von Zahnentzündungen

Das ist längst nicht das einzige Übel, das von der Mundhöhle in den Körper gelangt: Nierenleiden, Gelenk- und Kopfschmerzen sowie Herz-Kreislauf-Beschwerden können die Folgen von bakteriellem Befall an Zähnen und Zahnfleisch sein. Parodontitis kann das Risiko einer Frühgeburt erhöhen und Diabetes verschlimmern. Wissenschaftler von der Columbia-Universität in New York wiesen sogar einen Zusammenhang zwischen Bakterien, die Zahnfleischerkrankungen verursachen, und verengten Blutgefäßen nach. Ihre Warnung: Entzündetes Zahnfleisch kann ein Hinweis auf ein erhöhtes Herzinfarktrisiko sein.

Verblüffend? Nicht wirklich. In unserem Körper ist nahezu jeder Teil über Blutgefäße, Nerven und Muskeln mit dem Ganzen verbunden. Lippen, Zähne, Zunge, Zahnfleisch, Schleimhäute, Kiefer - sie alle bilden ein perfekt aufeinander eingespieltes System. Die Mundhöhle ist dabei nicht nur eine Art Transitbahnhof für viele lebenswichtige Substanzen, sondern auch ein Indikator für unsere Gesundheit. Viele Krankheiten wie etwa Infektionen zeigen sich hier, auf Schleimhaut, Zahnfleisch und Zunge. Wir atmen durch den Mund und artikulieren uns mit ihm.

Stehen die Zähne falsch, sind damit nicht selten Sprachfehler und eine Anfälligkeit für Erkältungen verbunden. Tagsüber sichern die Zähne uns das Überleben und einen wichtigen Teil unserer Lebensqualität, indem sie die Nahrung zerkleinern. Nachts knirschen viele von uns damit, wenn der Stress zu sehr plagt und die Seele aus dem Gleichgewicht gekommen ist. Und schließlich ist die Zahnreihe, die wir beim Reden, Lächeln oder Lachen den Mitmenschen präsentieren, nichts weniger als eine Visitenkarte, ja, in manchen Kreisen ein Statussymbol. Es gibt viele Gründe, sich gut um die Zähne zu kümmern.

Zahnschmelz ist die härteste Substanz

Das muss schon in der Kindheit beginnen. Zähne sind zwar für ihre Aufgaben von der Natur bestens ausgestattet, und ihre Oberfläche, der Zahnschmelz, ist die härteste Substanz, die der menschliche Körper bilden kann. Der Kiefer und die Zähne eines Erwachsenen sind so stark, dass sie problemlos ein Gewicht von 80 Kilogramm halten können. Den Händen ist es unmöglich, ein Steak zu zerteilen, für intakte Zähne eine leichte Übung. Doch sie müssen während eines 50-jährigen Daseins auch mehr als 20 Tonnen Nahrung in annähernd hunderttausend Mahlzeiten zerkleinern - eine Aufgabe, die ohne regelmäßige Pflege und Wartung nicht zu bewältigen ist. Denn der Zahnschmelz kann sich nicht regenerieren: Ein abgebrochenes oder von Karies zerfressenes Stück Zahnschmelz ist unwiederbringlich dahin.

Da kann der einzige Verbündete, den die Natur den Zähnen zur Seite gestellt hat, nichts ausrichten: Der Speichel reinigt die Zähne und enthält Mineralstoffe, die beginnender Karies entgegenwirken können. Auch neutralisiert er Säuren in der Mundhöhle, die den Zahnschmelz angreifen (das Putzen zur Nacht ist deswegen so wichtig, weil nachts viel weniger Speichel produziert wird, Säuren also ungehemmter ätzen können). Trotzdem: Die Feinde sind zu zahlreich.

Mehr als 300 Bakterienarten hausen in der Mundhöhle, bis zu einer Milliarde Winzlinge in einem Milliliter Speichel. Einige von ihnen, wie der Streptococcus mutans, sind besonders erfolgreiche Zerstörer. Er siedelt sich im Zahnbelag an, der aus den Stoffwechselprodukten des Keimes und Speichel besteht. Hat sich die Plaque verdichtet, fühlt er sich besonders wohl, wütet umso heftiger und scheidet dabei umso mehr Milchsäure aus. Die löst die Mineralkristalle aus dem Schmelz, wodurch dieser porös wird, dringt tiefer ein und setzt dort Kalzium und Phosphat frei. Der Schmelz bekommt weiße Flecken. Nach einiger Zeit sind diese Stellen mürbe, färben sich schwarz, die Oberfläche bricht ein, und das Loch ist da. Der Befund des Zahnarztes: "Zahnfäule" - Karies.

Große Erfolge der Vorbeugung

Ein sauberer Zahn bekommt keine Karies. Das belegen die großen Erfolge der Prophylaxe, die heutzutage Kindern vom ersten Milchzahn an zuteil wird. Hatten etwa Zwölfjährige vor zehn Jahren im Durchschnitt drei defekte oder ganz fehlende Zähne, so ist es heute nur noch einer. Der Zahnarzt kann seinerseits Wichtiges dazu beitragen: die Fissuren, tief eingezogene Rillen in den Kauflächen, versiegeln, um die Angriffspunkte für Karies zu reduzieren; schon kleinste Beschädigungen des Zahnschmelzes, die so genannten Läsionen reparieren sowie die ersten Zähne schon wie die bleibenden versorgen, weil die Bakterien, die einen faulenden Milchzahn besiedeln, sonst jeden neuen Zahn sofort angreifen.

Ein intaktes Milchgebiss hat entscheidende Bedeutung für die weitere Entwicklung eines Menschen: Es begünstigt die Entwicklung des Kiefers, der Sprache, des Essverhaltens. Und deswegen sind Korrekturen an der Zahnstellung keineswegs nur dem besseren Aussehen geschuldet. Wenn Zähne und Kiefer nicht optimal auf- und ineinander passen, kann das eine Menge Probleme bereiten.

Im Buch "Zähne" der Stiftung Warentest ist das eindrucksvoll aufgeführt:
* ein höheres Kariesrisiko, weil vorstehende Schneidezähne von den Lippen schlechter gereinigt werden und dadurch anfälliger sind;
* durch die falsche Belastung eine verstärkte Abnutzung von Zähnen und Veränderungen am Kieferknochen;
* Schmerzen im Kiefergelenk, Verspannungen im Hals- und Nackenbereich sowie Kopfschmerzen;
* Sprachfehler, zum Beispiel beim "offenen Biss": Die Zähne klaffen bei geschlossenen Zahnreihen auseinander. Schwierigkeiten beim Artikulieren, Abbeißen und Kauen sind die Folgen;
* das Selbstwertgefühl kann wegen der deutlich sichtbaren Fehlstellungen stark gemindert sein.

Ein typischer Fall bei Kindern: Ober- und Unterkiefer sind unterschiedlich gewachsen, einer von beiden überragt den anderen, auch wenn der Mund geschlossen ist, klafft eine Lücke zwischen den Schneidezähnen. Und eins zieht das andere nach sich: Die Zunge liegt beim Schlucken nicht, wie beim normal geformten Gebiss, am Gaumen an, sondern drückt gegen die oberen Schneidezähne. Die wachsen durch den permanenten Druck nach außen. Die Kinder atmen zudem überwiegend durch den Mund statt durch die Nase. Dadurch trocknen die Schleimhäute aus, und das wiederum behindert die Selbstreinigung der Zähne. Strömt die Luft durch die Nase ein, wird sie angewärmt, befeuchtet und gefiltert, bei der Mundatmung geschieht dies nicht. So kann die Zahnfehlstellung die Ursache häufiger Erkältungen sein.

"Später hilft nur eine Kieferoperation"

Im System Mensch bleibt nichts ohne Folgen. Besonders negativ sind jedoch die Auswirkungen auf das Wachstum des Gesichts. "Durch eine ständig offene Mundatmung wachsen die Kiefer betont nach unten", schreibt Stiftung Warentest. "Sie klaffen auseinander, und der betroffene Patient bekommt im wahrsten Sinne des Wortes ein langes Gesicht, sodass ihm später nur eine Kieferoperation helfen kann." Besser also rechtzeitig eingreifen.

Ein Umdenken hat begonnen. Früher war der Zahnarzt vor allem ein Reparateur, eine Art Maurerpolier auf der Großbaustelle Gebiss. Woran er prima verdiente. Einen von Karies zerfressenen Zahn zu ziehen und dem Patienten einen künstlichen einzusetzen ist ja ein gutes Geschäft, das zudem der Mentalität der 60er und 70er Jahre entsprach: "Reiß ab, mach neu." Das Bewusstsein, wie wertvoll ein eigener Zahn ist, ist heute viel stärker ausgeprägt.

Heute weiß man, dass selbst ein wurzelbehandelter eigener Zahn, ein toter Beißer also, deutlich größere Belastungen aushält als ein Implantat oder eine Brücke. So werden heute viel mehr wurzelbehandelte Zähne erhalten als früher. Keine gute Zahnarztpraxis kommt mehr ohne Mitarbeiter aus, die eigens für Prophylaxe zuständig sind, manche Praxen haben sich hauptsächlich auf die Vorsorge spezialisiert. Diese so genannte minimal-invasive Zahnmedizin beugt Schäden vor, repariert sie frühzeitig, um möglichst viel Zahnsubstanz zu erhalten.

Und die Forschung entwickelt auch Produkte, die diese neue Orientierung unterstützen:
* Auf der Kölner Fachmesse IDS wurde eine Flüssigkeit vorgestellt, die den Zahnschmelz mineralisiert und so vor Karies und empfindlichen Zahnhälsen schützt.
* In Japan wurde ein künstlicher Zahnschmelz entwickelt, der kleine Löcher verschließt, ohne dass der Zahnarzt bohren muss. So bleibt wertvolle Zahnsubstanz erhalten.
* Ebenfalls aus Japan stammt ein Kleber, der nicht nur wirkungsvoll die Füllungen mit dem Zahn verbindet, sondern zugleich einen antibakteriellen Effekt hat. Das beugt der erneuten Entstehung von Karies unter der Füllung vor.
* Am Institut für Lasertechnologie in der Medizin und Messtechnik der Universität Ulm wurde ein Lasergerät entwickelt, das sowohl Karies als auch Plaque besonders wirksam, aber auch besonders schonend beseitigt: Es zerstört ausschließlich die schadhafte Substanz beziehungsweise den Belag, greift aber im Unterschied zum Bohrer und Schaber nicht gesundes Zahnmaterial und das Zahnfleisch an. So kann nach einer Parodontitis-Therapie das Zahnfleisch sehr viel schneller verheilen.

Vereiterte Zähne strahlen auf Niere und Leber

Das Wissen um die Bedeutung der Zähne für den Körper und die Gesundheit des Menschen ist deutlich gewachsen. Vor 30 Jahren war schon bekannt, dass tote, vereiterte Zähne zum Beispiel auf Leber oder Niere ausstrahlen können. In welchem Ausmaß aber Krankheiten in der Mundhöhle andere Organe in Mitleidenschaft ziehen können, wie sehr also eine wirkungsvolle Prophylaxe bei den Zähnen eine Vorsorge für den ganzen Menschen sein kann, das haben erst neuere Forschungen ergeben.

Im Zentrum ihres Interesses stehen weniger die Entzündungen, die von Karies ausgelöst werden. Der heftige Schmerz, den sie auslösen, treibt die Betroffenen ja ziemlich zuverlässig zum Arzt. Schleichend und lange unbemerkt dagegen wirkt eine andere, nicht weniger gefährliche Entzündung im Körper: die Parodontitis, im Volksmund Parodontose genannt. Wie gefährlich diese Krankheit sein kann, unter der geschätzte 50 Prozent der Deutschen leiden, haben neuere Untersuchungen ans Licht gebracht.

Parodontitis verläuft in drei Stufen. Ihr Ausgangspunkt ist wie bei Karies der Zahnbelag. Die Stoffwechselprodukte der Bakterien irritieren das Zahnfleisch, das sich entzündet und bei Berührungen blutet. In diesem Stadium heißt die Krankheit Gingivitis und ist noch harmlos. Sie heilt schnell aus, wenn die Zahnbeläge entfernt werden, die Bakterien ihren Weg in den Abfluss des Waschbeckens finden. Wird ihnen aber ihr Platz nicht streitig gemacht, löst sich nach einer Weile der leicht entzündete Zahnfleischsaum vom Zahn, die Ablagerungen und Bakterien machen sich unter dem Zahnfleischrand und auf der Wurzeloberfläche breit.

Dort verfestigt sich der Zahnbelag zu einem sehr harten Zahnstein. Eine Zahnfleischtasche bildet sich, in der sich Essensreste und damit weitere Bakterien ansiedeln, die immer mehr Zahnstein aufbauen. Das Zahnfleisch rötet sich, schwillt an, schmerzt, blutet, zieht sich zurück, und im fortgeschrittenen Stadium sorgt es für kräftigen Mundgeruch.

Alarm im Körper

Jetzt ist Alarm im Körper. Er bekämpft die Bakterien mit einer Entzündung, die nun Parodontitis heißt. Die körpereigene Abwehr versucht, den Bakterien den Garaus zu machen. Dabei werden aber leider auch der Kieferknochen und die Haltefasern abgebaut. Der Zahn beginnt zu wackeln, und schließlich fällt er aus - schon bei 35- bis 40-Jährigen die häufigste Ursache für den Verlust von Zähnen.

Tatsächlich ist das Risiko, das von einer Parodontitis ausgeht, sehr viel größer. Die Bakterien gelangen von der Mundhöhle aus über kleine Wunden in den Blutkreislauf. Mit dem Blut können sie sich im Körper verteilen und dort an verschiedenen Stellen offenbar starke Beschwerden auslösen. Es gibt Hinweise, dass Parodontitis mit diesen Erkrankungen und Störungen zusammenhängt:
* erhöhtes Risiko von Frühgeburten mit verringertem Geburtsgewicht. Statistisch gesehen, litten Frauen, deren Kinder zu früh zur Welt kamen, siebenmal häufiger an einer Parodontitis. Die Bakterien regen offenbar die Produktion wehenauslösender Hormone an;
* erhöhtes Herzinfarktrisiko;
* erhöhtes Schlaganfallrisiko. Bei einer Studie der Universität Heidelberg beobachteten die Forscher, dass ein Schlaganfall bei einer schweren Parodontitis vierfach wahrscheinlicher ist;
* ein Diabetes kann sich verschlechtern, der Patient braucht mehr Insulin;
* Infektionen bei Transplantationen und Implantaten. Riskant ist Parodontitis offenbar auch vor allem für Menschen mit künstlichen Herzklappen und Hüftgelenken. Auf deren Oberflächen können sich die Bakterien ähnlich gut ansiedeln wie auf Zähnen.

Die Schlüsselrolle hierbei spielen Abwehrzellen des Körpers sowie bestimmte Botenstoffe, die Zytokine. Sie haben die Aufgabe, Keime zu vernichten und Schäden zu reparieren. Ist eine akute Entzündung zu bekämpfen, geht davon kein Risiko aus. Besteht sie aber wie bei einer Parodontitis über Jahre, bleiben die Nothelfer zu lange aktiv, es werden Enzyme aktiviert, die das Gewebe abbauen. Zudem gerinnt möglicherweise das Blut leichter, verklumpt schneller, was das Risiko eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls dramatisch ansteigen lässt.

Schaber, Ultraschall oder Laser

Das Rezept dagegen: eine regelmäßige, gründliche Reinigung der Zahntaschen und Entfernen des Zahnsteins mit dem Schaber oder, schonender, mit Ultraschall oder Laser. Antibiotika in Form von Tabletten oder getränkten Fäden, die in die Zahntaschen gelegt werden, können die Therapie unterstützen. Sind die Zahntaschen bereits zu groß, kann es nötig sein, sie operativ zu verkleinern. Die optimale Unterstützung jeder dieser Therapien: nicht rauchen. Das Rauchen erhöht das Risiko, an Parodontitis zu erkranken, um ein Vierfaches, weil der giftige Qualm, der durch die Mundhöhle streicht, die Durchblutung und damit Abwehrkraft des Zahnfleisches mindert.

Wir können wirklich viel für unsere Zähne tun - mit engagierter Mundhygiene, zahngesunder Ernährung und regelmäßigen Besuchen beim Zahnarzt. Huub Stevens, der damalige Trainer des 1. FC Köln, verordnete seiner Mannschaft übrigens einen Zahn-Check alle drei Monate. Bei Leuten, die nicht gerade um den Aufstieg in die Erste Bundesliga kämpfen, reicht einer im halben Jahr.

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Mitarbeit: Claudia Bahnsen print

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