Gehen wir davon aus, dass die Aktion zumindest gut gemeint ist. Denn für wenige Bereiche des öffentlichen Lebens mutet diese Pandemie noch endloser an als für Kunst und Kultur. Vor allem die Menschen hinter den Kulissen, die den Betrieb in normalen Zeiten am Laufen halten, leiden seit rund 13 Monaten quasi unter einem Berufsverbot. Auch der stern hat schon mehrfach und mit großem Echo auf diese prekäre Lage hingewiesen, zum Beispiel hier und hier.
Insofern ist die grundsätzliche Idee, vor allem die großen Namen, die Stars aus Film und Fernsehen nach vorne zu schicken, um größtmögliche Aufmerksamkeit für ihre Kolleg:innen zu erreichen, nachvollziehbar. Und angesichts der heftigen Reaktionen kann man den Liefers und Tukurs zumindest den Mut nicht absprechen, sich hier ziemlich blank in den Wind zu stellen.
Ironie oder Zynismus sind hier die falschen Mittel
Noch ist unklar, wer genau hinter der Aktion steckt, wie sie koordiniert wurde und ob ihre Botschaft tatsächlich lauten soll: Nehmt endlich wahr, dass unsere Branche dahinsiecht! Letzteres wollen wir hier wohlwollend unterstellen, aber umso deutlicher muss deshalb die Kritik an der Umsetzung dieses Hilferufs erlaubt sein. Denn wenig überraschend erntet er zur Stunde zwar größtmögliches Getöse in den sozialen Medien. Trotzdem ist er eine geradezu fahrlässig vergebene Chance.
Denn: Selbst wenn man sich angesichts von Dauer und Verfahrenheit der vermaledeiten Corona-Situation ganz bewusst für die Brechstange entscheidet, selbst wenn man den erwartbaren Applaus von rechter Seite in Kauf nimmt, hätte man sich NIE-NIE-NIEMALS für die am schwierigsten zu vermittelnde Kommunikationsform, also die Ironie, entscheiden dürfen, denn damit wären bei diesem hochsensiblen Aufregerthema wahrscheinlich auch die Meister:innen ihres Fachs gescheitert.
So reden die Leute nun ausschließlich darüber, dass sich die ursprünglich an der Aktion beteiligte Heike Makatsch inzwischen distanziert und sogar ihr Video zurückgezogen hat. Oder dass Jan Josef Liefers in seinem Clip wie ein bedenklich schwurbelnder Querdenker klingt, was er inzwischen via Twitter von sich weist, wobei er dort dann wenigstens auch ganz unironisch die durch die Regierungsentscheidungen "in Kauf genommenen Verluste in Kunst und Kultur und der Veranstaltungsbranche" erwähnt.
"Die Schauspieler*innen von #allesdichtmachen können sich ihre Ironie gerne mal tief ins Beatmungsgerät schieben", bringt Moderator und Notfallsanitäter Tobias Schlegl die Problematik des Protests auf den Punkt. Angesichts einer trägen bis fahrlässigen Corona-Politik und den heftigen Diskussionen um die Änderungen am Infektionsschutzgesetz sind Ironie oder gar Zynismus nicht die richtigen Mittel zur Vermittlung einer eigentlich wichtigen Message.
#allesdichtmachen: Meisterwerk oder eklig?
Warum? Weil in unserer überhitzten Diskussionskultur längst nicht mehr Luft geholt und zwischen den Zeilen gelesen wird. Und so erntet #allesdichtmachen einerseits reichlich Zustimmung, wenn zum Beispiel der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit von einem Meisterwerk, das nachdenklich machen sollte, spricht. Andererseits ist die Empörung groß, wenn der Medienjournalist Stefan Niggemeier von ekliger Ironie und einem Dammbruch schreibt, der zugleich der bisher größte Erfolg der Querdenkerszene sei.
Beide Einschätzungen sind zwar übertrieben, aber aufgrund der kruden Kommunikation der Kampagne auch nachvollziehbare Reflexe. Das Problem: Sie lenken wohlfeil vom Wesentlichen ab – nämlich der Tatsache, dass die Kultur in der Coronakrise auch nach über einem Jahr immer noch auf fahrlässige Weise im Stich gelassen wird. Und deshalb ist es besonders schade, wenn eine Chance auf breite Öffentlichkeit so leichtfertig verschwendet wird.