Einer der sprachgewaltigsten und vielseitigsten Schriftsteller Amerikas ist tot: Norman Mailer starb am Samstag im Alter von 84 Jahren an akutem Nierenversagen in New York. Wegen seiner vielen Eskapaden einst das "enfant terrible" der US-Literatur, machte Mailer im Alter als "Angry Old Man" von sich reden. Seiner Empörung über die Bush-Regierung und den Irak-Krieg machte er erst kürzlich bei einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa wieder Luft: "Der schlimmste Krieg, den dieses Land je geführt hat!" sagte er, und: ein einmalig "dummer Kriegsführer". Schon im Jahr 2003 hatte Mailer die USA in seinem Buch "Heiliger Krieg: Amerikas Kreuzzug" als arrogante Supermacht mit faschistischen Tendenzen dargestellt und George W. Bush als einen von imperialistischen Verschwörern ferngesteuerten Ex-Trinker.
Dagegen sprang er dem deutschen Literaturnobelpreisträger Günter Grass zur Seite, als dieser bei einem Besuch in New York im Sommer dieses Jahres zu seiner kurzen Mitgliedschaft als Jugendlicher in der Waffen-SS gefragt wurde. Klein und grau und schon sehr gebrechlich saß Mailer da mit auf dem Podium. Er konnte kaum mehr sehen und nur schwer hören, aber warf sich mit einem leidenschaftlichen Bekenntnis für den Kollegen in die Bresche. "Wenn ich in Günters Schuhen gesteckt hätte, ... wäre ich ganz genauso bei der Waffen-SS gelandet", sagte er sehr bestimmt und forderte für einen Autor das Recht ein, über manche Erfahrungen auch nicht schreiben zu müssen.
Vor fast 60 Jahren hatte der damals gerade 25-jährige Mailer mit "Die Nackten und die Toten" den wohl bedeutendsten Roman über den Zweiten Weltkrieg geschrieben. Das Buch begründete seinen literarischen Ruhm weltweit. Seitdem beschäftigte sich der Autor immer wieder mit der Sinnlosigkeit von Kriegen und mit der tiefen Kluft zwischen dem Anspruch des "American Dream" auf individuelle Freiheit und der oft bitteren sozialen Wirklichkeit.
Der Erstling war sein größter Wurf
Mailers Werke decken eine Themenbreite ab, die nicht nur in den USA ihresgleichen sucht: Von der Apokalypse über Boxen, Dialektik, Drogen, Existenzialismus, Faschismus, Friedensbewegung, Furcht, Gewalt, Gott und den Teufel, Krebs und Krieg, Marilyn Monroe, Obszönität und Orgien, Paranoia und Politik, Revolution, das Sein und den Sex, Technologie und Totalitarismus bis hin zur Zeit.
Doch nie wieder wurde ihm der Beifall zuteil, den er für seinen Erstlingsroman geerntet hatte. Mailer schrieb Reportagen und große Essays, die längst Literaturgeschichte sind. "Supermann kommt in den Supermarkt" gehört dazu, sein Bericht über den demokratischen Parteikonvent in Los Angeles, bei dem John F. Kennedy zum Kandidaten für das Weiße Haus gekürt wurde. In "Heere aus der Nacht" (1968) schilderte er einen Friedensmarsch in Washington und wurde dafür 1969 mit seinem ersten Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Den zweiten erhielt er 1980 für sein Buch "Gnadenlos - Das Lied vom Henker" über das Schicksal des 1977 hingerichteten Doppelmörders Gary Gilmore.
Am 31. Januar 1923 als Sohn einer aus Litauen eingewanderten jüdischen Bücherrevisorfamilie in New Jersey geboren, wuchs Mailer in Brooklyn auf. Er studierte Flugzeugbau an der Harvard Universität und lernte in Schriftstellerkursen, "wie man es nicht machen soll". Bevor er seine Ausbildung an der Pariser Sorbonne beenden konnte, musste er als GI auf die Philippinen und nach Japan - die letzten beiden Kriegsjahre.
"Gefangen im Sexus"
Mailer heiratete sechs Mal und hatte neun Kinder, das jüngste mit dem ehemaligen Fotomodell Norris Church. Er nahm sie 1980 zur Frau und lebt mit ihr in Brooklyn und in einem Haus am Meer auf der Neuengland-Insel Cape Cod. Seiner zweiten Frau Adele Morales - die ein Buch über ihr Ehe-Martyrium mit Mailer füllte - stach er 1960, wie so oft schwer betrunken, ein Messer in den Bauch und drehte es genussvoll herum. Dank ihrer Weigerung, mit der Staatsanwaltschaft zu kooperieren, kam er mit einer Strafe auf Bewährung davon.
1967 wurde Mailer wegen seiner Rolle bei Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg eingesperrt. Zwei Jahre später versuchte er, mit einer Wahlkampagne unter dem Motto "Wählt die Schurken" vergeblich, Bürgermeister von New York zu werden. Seine Kandidatur mobilisierte die amerikanische Frauenbewegung gegen ihn. Sie beschimpfte den Schriftsteller als "größtes und reaktionärstes Schwein". Mailer rächte sich später mit der Auflistung all seiner Obsessionen. Sein Monolog "Gefangen im Sexus" in der elitären Zeitschrift "Harper's Bazaar" sorgte für einen Riesenaufruhr.
Ähnliche Aufmerksamkeit erwarb er mit der Autobiografie Jesus Christus, die er 1997 zum Entsetzen von Gläubigen in der Ich-Form veröffentlichte. In Deutschland erschien zuletzt sein Roman "Das Schloss im Wald" über die inzestuöse Familie von Adolf Hitler sowie die Kindheit und frühe Jugend des späteren "Führers". Eigentlich hatte er noch eine Fortsetzung schreiben wollen, bezweifelte beim Interview im August 2007 aber selbst, "ob mir die Zeit bleibt". Schon damals klagte der ehemalige Rebell, gesundheitlich sichtbar angeschlagen, über Kurzatmigkeit, die Folge von "Herzinsuffizienz", sowie schwere Probleme mit dem Sehen und Hören.