Stolz wie Bolle verkündete die ARD die Einigung mit Thomas Gottschalk. Ab Januar 2012 soll er von Montag bis Donnerstag im Vorabendprogramm in einer halbstündigen Show ohne Studiopublikum Gäste aus den Bereichen "Lifestyle, Entertainment und Kultur" (so steht es in einer Pressemitteilung der ARD) empfangen. Noch wirkt das Konzept vage. Es soll weder Information noch Satire werden, aber irgendwie etwas schön Buntes. Ohne Misserfolge beschreien zu wollen, ist da etwas Skepsis angebracht. Ähnliche Konzepte - etwa der Firma Brainpool, die es mit Ulla Kock am Brinck versuchte - sind schon gescheitert.
Auch Thomas Gottschalk hat außerhalb von "Wetten, dass...?" schön häufiger bewiesen, dass er keineswegs der König Midas der TV-Unterhaltung ist. Auch in seiner Hand wird nicht Gold, was keine gute Idee ist. Klar aber ist jetzt immerhin, wie Thomas Gottschalk seine beeindruckende TV-Karriere ausklingen lassen will. Anders als etwa Rudi Carell hat er für sein Lebenswerk einen Grimme-Preis bekommen.
Er ist kein Zyniker. Ihm glaubt man, dass er es als Lebenssinn begreift, anderen Menschen Freude zu bereiten. Vor großem Publikum blüht er auf. Er war der Mann für die Show, die größer sein wollte als das Leben. Dazu hätte ein schlagartiger, rauschender Abschied von der großen Bühne gepasst. Thomas Gottschalk aber ist eben doch kein Hollywood-Star, sondern ein solider deutscher Mittelständler. Er suchte in der großen, weiten Fernsehlandschaft noch einmal eine kuschelige Ecke. Die ARD konnte sie ihm bieten: im Vorabendprogramm des Ersten. Das sagt etwas über Gottschalk aus, aber eben auch über die ARD.
ARD: Wir kaufen fertige Stars
Indirekt trifft die sich lautstark selbst gratulierende ARD durch diesen Gottschalk-Deal einige Aussagen zum eigenen Selbstverständnis. Die wichtigste lautet: Die ARD kauft fertige Stars. Für ihr Programm folgt sie demselben Prinzip, das auch der FC Bayern München seit Jahren erfolgreich anwendet. Die besten und erfolgreichsten Spieler der Konkurrenz werden einfach aufgekauft. Das eigene Team ist eigentlich eine Bundesliga-Auswahl. So sieht sich auch die ARD: "Wir sind das Fernsehen."
Für viele Zuschauer besteht das, was sie als das "normale" Fernsehen begreifen, ungefähr zur Hälfte aus Thomas Gottschalk und Günther Jauch. Jauch wurde von der ARD schon zum bedeutendsten Talker promoviert, jetzt stößt auch Gottschalk dazu und bekommt eine schöne Spielfläche im ARD-Vorabend zugewiesen. Dieses Bayern-München-Prinzip gilt aber nicht nur für die allererste Reihe. Für die "Sportschau" wurde Kurzerhand Matthias Opdenhövel von ProSieben weggekauft. Der langjährige Sat.1-Matador Kai Pflaume darf "Dalli, Dalli" und ähnlichen Schabernack im NDR und im Ersten wieder aufleben lassen. Damit sagt die ARD aber auch: Nicht die organische Entwicklung von etwas ganz Eigenem steht im Zentrum unserer Bemühungen, sondern wir kaufen für unser Publikum zusammen, was sich andernorts schon bewährt hat.
ARD: Talente - haut ab!
Betrachtet man die deutsche TV-Landschaft als einen Industriezweig, dann fällt folgendes an ihm auf: Es fallen nur ganz geringe Kosten für Forschung und Entwicklung an. Bis ein neues Auto marktreif ist, muss viel Geld ausgegeben werden. In der Pharmaindustrie wird wild geforscht. Selbst die Lebensmittelindustrie designt ständig Neuheiten. Abwechslungsreich soll auch das Fernsehprogramm sein, aber Geld oder gar Zeit für Entwicklung gibt es kaum. Um so wichtiger wäre der kluge Aufbau von Talenten. Auch das gibt es in anderen Branchen: Traineeprogramme, Theaterschulen, sogar Pop-Akademien.
Mit der Verpflichtung von nacheinander Günther Jauch, Matthias Opdenhövel, Kai Pflaume und jetzt Thomas Gottschalk setzt die ARD ein Signal. Nicht einmal das Vorabendprogramm betrachtet sie als eine Spielwiese für Talente, fürs Erproben und Fördern. Die Gottschalk-Verpflichtung kann von dem ARD-eigenen Nachwuchs nur so verstanden werden: Bleibt nur nicht bei uns! Wenn ihr Claus Lufen (Sport), Florian Weber (Show), Pierre Krause (Entertainment) oder wie auch immer heißt, ernst nehmen werden wir euch erst, wenn ihr bei der Konkurrenz etwas geworden seid.
ARD: Wir haben Geld
Darin steckt natürlich auch das Signal, dass für solche Coups das Geld allemal vorhanden ist. Mit Günther Jauch kostet die Sonntagstalkshow fast dreimal so viel wie "Anne Will", obwohl die Kosten sich kaum unterscheiden dürften. Das ist eben der Marktpreis des Stars. Auch Gottschalk ist sicher mindestens dreimal so teuer wie Florian Weber, der bisher bei "Das Duell" im ARD-Vorabend sein Talent zeigen durfte. Zur Grundmelodie der öffentlich-rechtlichen Sender gehört der Klageton: Gespart müsse werden, die Sender könnten kaum überleben, die Gebühren reichten vorne und hinten nicht aus.
Tatsächlich ist immer dann, wenn etwas als wichtig eingeschätzt wird, genügend Geld da: vom Frühstücksfernsehen bis zum Hauptstadtstudio, vom Kinderkanal bis zu ZDFneo, von den Fußballrechten bis zum Einkauf von Stars, die der Konkurrenz wegzuschnappen sind. Ab 2013 gilt ein neues Gebührenmodell, die Haushaltsabgabe. Für den einzelnen bedeutet sie keine höhere Belastung, aber mehr Menschen müssen sie zahlen. Also wird mehr Geld in die Kassen des öffentlich-rechtlichen Systems gespült. ARD und ZDF behaupten das Gegenteil. Sie jammern weiter. Aber jede seriöse Schätzung geht davon aus, dass in Zukunft pro Jahr mehr als 8 Milliarden Euro sein werden. Selbst große deutsche Verlagshäuser setzen höchstens ein Drittel davon um. Die Verpflichtung neuer, teurer Stars zeigt auch das: Die ARD glaubt ihrer eigenen Propaganda nicht. Sie hat genug Geld.
Adios Werbefreiheit!
Auf dieses Argument entgegnen die Verantwortlichen der ARD, Thomas Gottschalk werde de facto keinerlei Mehrkosten verursachen, da er ja ab 2012 im Werbeumfeld sende und sich durch steigende Werbeumsätze am Vorabend quasi selbst finanziere.
Dies ist aus zwei Gründen ein interessantes Argument: Erstens gibt die ARD damit zu, dass sie die Inhalte ihres Programms an den Erwartungen des Werbeumfeldes ausrichtet. Genau das aber widerspricht dem Sinn der öffentlich-rechtlichen Organisation des Rundfunks. Hier soll das Programm eben nicht der Füllstoff sein, um Zuschauermassen zu versammeln, die letztlich nur als Adressaten für Werbebotschaften interessant sind.
Zweitens wird damit alles offizielle Reden über die zukünftige Werbefreiheit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ad absurdum geführt. Offiziell ist es nämlich so, dass alle Medienpolitiker - von Horst Seehofer (CSU) bis zu Tabea Rösner, der medienpolitischen Sprecherin der Grünen, - für Werbefreiheit bei ARD und ZDF plädieren. Das diene der Systemklarheit und außerdem würden die Werbeeinnahmen ohnehin nur einen kleinen Teil der öffentlich-rechtlichen Einnahmen ausmachen.
Bei der nächsten Gebührenreform soll dieser Schritt in Angriff genommen werden. Das wird seit etwa 15 Jahren versprochen. Auch die Sprecher von ARD und ZDF stimmen - mit einigen Vorbehalten - dem immer mal wieder grundsätzlich zu. Jetzt zeigt sich: Es sind reine Lippenbekenntnisse. Beim Gottschalk-Deal wird geradewegs auf höhere Werbeeinnahmen spekuliert und mit diesen dann argumentiert. Von zukünftiger Werbefreiheit ist nicht mehr die Rede.