Der Adler hat sich verflogen. Traurig hängt er in einem Hochspannungsmast und kann nicht mehr vor und nicht zurück. Vor ihm ein tiefschwarzes, mit Öl gefülltes Becken. Darin, unerreichbar, ein glitzernder Goldbarren. Immer, wenn er aufzufliegen versucht und die Leitungen berührt, knallen Stromschläge wie Schüsse durch den Raum. Es gibt kein Entkommen.
Der US-Künstler Gary Hill präsentiert die bewegende, raumfüllende Arbeit in einer Sonderausstellung auf der Art Cologne. Und ob beabsichtigt oder nicht: Das Video des flügellahmen Vogels wirkt wie ein Porträt der Kölner Messe.
Noch vor wenigen Jahren war sie der Königsadler unter den Kunstmessen: groß, stolz, wichtig und unangefochten. Aber dann kamen London, Berlin und Miami mit neuen, großartigen Messen und überflügelten Köln. Sogar der Erzrivale Düsseldorf wagt in diesem Jahr einen Angriff. Und der Adler flattert nur hilflos herum und muss mit ansehen, wie andere die Goldbarren nach Hause schleppen. Viele wichtige Galerien reisen nicht mehr nach Köln, sogar ein paar große Kölner wie Karsten Greve und Michael Janssen, gehen lieber zu anderen, aufregenderen Messen.
Art Cologne im Aufbruch
Um den Abstieg aufzuhalten, wechselte die Art Cologne in diesem Jahr den Termin für ihren großen Auftritt. Seit ihrer Gründung vor rund 40 Jahre lud sie immer im November an den Rhein. Aber zu diesem Zeitpunkt gibt es inzwischen so viel Konkurrenz, dass Art-Cologne-Chef Gérard Goodrow nun den April ausprobieren will. Frühjahr statt Herbst - ein Aufbruch? Nicht wirklich.
Gerhard Richter, Sam Francis, Tom Wesselmann
Dabei gibt es eine Menge richtig gute Kunst. Der Münchner Galerist Thomas etwa versucht, die alten Zeiten hochzuhalten, in denen Messrundgänge fast so schön wie Museumsbesuche waren. Gediegen abgedimmtes Licht, ehrfürchtig flüsternde Besucher: "Guck mal, ein Gerhard Richter. Und ein Sam Francis. Und ein Tom Wesselmann." Bei Jule Kewenig aus Köln hängt eine wunderbare Arbeit des Franzosen Christian Boltanski: "Sans Soucis" (Ohne Sorgen), zusammengesetzt aus alten Fotos vom Berliner Flohmarkt. 150.000 Euro kostet sie. Zu sehen ist das ganze normale Familienleben im Zweiten Weltkrieg mit Männern in Wehrmachtsuniform unterm Weihnachtsbaum. Das Grauen ist ausgeblendet, und doch immer präsent.
Nur auf dem "Open Space" tummeln sich die Massen
Kurios dagegen: Adolf Hitler als Bettvorleger, mit quietschbunten Hakenkreuz-Gemälden im Hintergrund. Ausgedacht hat sich das der israelische Künstler Boaz Arad, so richtig interessiert es aber niemanden. Überhaupt wirkt die ganze Art Cologne seltsam leblos und unfroh. Nur im "Open Space" ist was los. Dort haben sich die jungen Avantgarde-Galeristen auf einer Art von freiem Kunstraum rund um eine Bar versammelt. Man schlendert auf weißem, mit Konfetti (Achtung Kölner Karneval) bestreutem Teppichboden vorbei an einem riesigen Ballon von Marc Aschenbrenner, an rostigen Kanonenkugeln auf Echtrasen von Heimo Zobernig, an einem bunten Freudsofa von Raphael Danke oder an riesigen Glasröhren, aus denen Schaum quillt, von David Medalla. Am schönsten ist die kleine Koje des Kölner Galeristen Daniel Buchholz, der sich mit seinen Berliner Kollegen von der Galerie Neu zusammengetan hat und ein Buch des Tocotronic-Bandchefs Dirk von Lowtzow samt den Originalbildern vorstellt. Art meets music, und am Abend gibt's ein Konzert im Club "The O".
Freiwilliger Ausstieg aus der Champions League
Bernhard Wittenbrink, Chef des Bundesverbands Deutscher Galerien, blickt misstrauisch auf den zunehmenden "Event-Charakter" des Kunstmarktes. Er war deshalb in den vergangenen fünf Jahren Messe-Muffel und machte bei keiner einzigen mit. "Um den anderen mal vorzuleben, dass man als Galerist auch ohne gut leben kann. Sogar sehr gut", sagt er. Und warum ist er nun doch wieder dabei? "Ich wollte den Neuanfang der Art Cologne zum Frühjahrstermin unterstützen."
Viele halten den Terminwechsel allerdings für falsch. Thilo Wermke von der Berliner Galerie Neu findet ihn "ängstlich". Und Galerist Michael Schulz ärgert sich, dass die Art Cologne "freiwillig aus der Champions League ausgestiegen" sei und sich jetzt in einer "rheinischen Regionalliga" herumschlagen müsse.
In punkto Schönheit gewinnt Düsseldorf
Als Regionalliga empfindet sich Konkurrent dc (Düsseldorf Contemporary) absolut nicht. Messegründer Walter Gehlen schielt auf den grandiosen Erfolg der Art Basel Miami und sprach im vergangenen Jahr gern davon, Sammler wie Madonna einladen zu wollen und als Rahmenprogramm ein Konzert mit ihr zu bieten. Davon ist heute keine Rede mehr. Die Vernissagenparty schmeißt das People Magazin "Park Avenue", immerhin im schicken "Monkeys"-Restaurant des Düsseldorfer Art Consultant Helge Achenbach. Am Freitag wird es ein Bulgari-Art-Dinner geben. Und Claudia Schiffer will auch mal vorbeischauen. Zur Eröffnung drängte sich Düsseldorfer Lokalprominenz in einer "City Gold Vip Lounge" und an der Champagnerbar des Kunstmagazins "Monopol".
Wenn es nach Schönheit geht, dann hat die dc eindeutig die Art Cologne übertroffen. Die muffigen Kölner Hallen können nicht mithalten mit den hohen, eleganten und großzügigen Räumen auf der Düsseldorfer Messe. Und die Besucher sind viel schicker und blonder und tragen schwere Parfumwolken mit sich herum.
Käufer bleiben aus
Aber das nutzt den Galeristen wenig, die wollen verkaufen. Doch weder die schönen Fotos von Gregor Schneiders "Black Cube" gehen am ersten Abend weg, noch das imposante Gebirge von Manfred Peckl, zusammengesetzt aus Landkarten der norddeutschen Tiefebene. Große Zeichnungen von Vanessa Beecroft sind für 25.000 Euro pro Stück nicht zu hoch angesetzt, aber auch sie finden keinen Käufer, genauso wenig wie die Fotos von Robert Mapplethorpe zu Preisen zwischen 7000 und 40.000 Euro. Selbst die große Arbeit des Kanadiers Marc Dion bleibt fast unbeachtet, obwohl er längst ein Star des Kunstbetriebs ist. Dion hat silberne Pokale auf ein Kaminsims gestellt. In jedem der edlen Behälter ist die Asche einer misslungen Zeichnung, die Dion eigenhändig verbrannt hat.
Kaktus aus Bierdosen und Champagner-Partys
Offenbar können die Düsseldorfer nicht viel anfangen mit dieser Art von Kunst. Sie mögen eher so was wie den Kaktus aus Bierdosen von Kristof Kintera, sind in großen Scharen gekommen und gucken, reden, trinken. Mehr nicht. Am Ende lange Gesichter bei den Händlern. Susanne Vielmetter von der Galerie Los Angeles Projects bringt es auf den Punkt: tolle Hallen, nette Leute, gute Gespräche, nichts verkauft.
Bilanz: unentschieden
Und was wird nun aus der Art Cologne und aus der dc? Bernhard Schwenk, Direktor an der Pinakothek der Moderne in München, hat genug Abstand vom ewigen Streit der beiden rheinischen Rivalen Köln und Düsseldorf, um unvoreingenommen urteilen zu können. "Die dc ist viel frischer als die Art Cologne", sagt er. Hat sie denn eine Zukunft? Ganz entschieden: "Nein. Die beiden Messen werden sich gegenseitig schaden, und am Ende stehen beide als Verlierer da." Schade eigentlich.