Es ist wahrlich kein Ort zum Verweilen - die Kreuzung von drei Bundesstrassen, an der täglich 17.000 Autos die Stadt Aschersleben in alle Himmelsrichtungen durchfahren. Es ist dreckig und laut, viele Häuser sind verwaist oder gleich ganz abgerissen worden. Geblieben sind die hässlichen Baulücken, die das Bild vieler ostdeutscher Städte prägen. Die kleine Kreisstadt Aschersleben im Süden Sachsen-Anhalts hat jedoch fünf dieser Baulücken entlang der stark befahrenen Straße gefüllt, mit übergroßen Bildern des britischen Malers Christopher Winter. Seit Juni entsteht hier die erste "Drive-Thru-Gallery" Deutschlands.
Natürlich hängen hier nur Reproduktionen der echten Gemälde, die in New York ausgestellt sind. Wahre "Hingucker" sind die 60 Quadratmeter großen Kunstwerke allemal. Heftige Diskussionen lösten vor allem die Motive der Bilder aus. Zu sehen sind Kinder, die Posen irgendwie ungewöhnlich, manche meinen sogar zweideutig. Anke Lehmann, Sprecherin der Stadt Aschersleben, kann die Aufregung nur bedingt nachvollziehen. "Ja, es sind Kinder zu sehen, die sich körperlich näher kommen. Es ist aber alles nur angedeutet: da sieht man ein Kind, das sich, das Hemdchen auszieht und ein anderes Kind, das so leicht verschmitzt hinschaut. Ein sehr provokatives Bild ist auch das eines Kindes auf einer Schaukel, wo das Röckchen hochfliegt und da auch wiederum ein Junge aus den Augenwinkeln das beobachtet."
Neues wagen und Freiräume nutzen
"Hitzefrei" hat Winter diese Ausstellung getauft, die im Juni gleichzeitig in New York und Aschersleben eröffnet wurde. Sukzessive soll die Galerie erweitert werden. Die bisherigen fünf Gemälde sind lediglich der Anfang. Auch sollen weitere Künstler zum Zuge kommen. Alles ist im Fluss. In Aschersleben, so scheint es, ist vieles machbar.
Provokation ist oberstes Prinzip der "Drive-Thru-Gallery". Hier wo niemand Kunst erwartet, ist allein die physische Anwesenheit der Bilder ein Ereignis. Werbeplakate für Autos oder Handys würde man an dieser Stelle vielleicht vermuten. Aber Kunstgemälde? Das ist neu. Diese Bilder füllen nicht nur eine leere Stelle im Stadtbild sondern stehen symbolisch für einen fortlaufenden Strukturwandel in Ostdeutschland. Und für die Möglichkeit, in Freiräumen, etwas Neues zu wagen.
Die Kindermotive auf den Bildern sollen darüber hinaus Zukunftsthemen wie Bildung und Familie ins Bewusstsein der Menschen rücken. Das hat sich zumindest die Stadtverwaltung gedacht und damit eine Kontroverse in Aschersleben ausgelöst. "Ich weiß, dass viele die Bilder anstößig finden, aber mir persönlich gefallen sie ganz gut", erzählt eine Passantin im Vorbeigehen. "Wenn man so durch die Strassen läuft und viele Kinder sieht, sind die nicht immer glücklich und haben nicht immer schöne Augen. Also ich finde sie toll."
Einige jedoch haben es nicht bei der verbalen Auseinandersetzung belassen. Bereits sechs Wochen nach der Eröffnung der Ausstellung wurden die Bilder von Unbekannten zerstört. Damals ging eine Welle der Empörung durch die Bevölkerung. Unzählige Hinweise erreichten die Polizei. Die Täter wurden nicht gefasst. Die Bilder wurden ersetzt. Hatte man in der Stadtverwaltung nun doch die Gewissheit, in dem Projekt mehrheitlich von den Menschen unterstützt zu werden.
Ideenpool für den Strukturwandel
Mit der "Drive-Thru-Gallery" ist Aschersleben eine von 17 Städten, die im Rahmen des Projekts "IBA Stadtumbau 2010" vom Land Sachsen-Anhalt gefördert werden. So konnten immerhin 400.000 Euro für die Strassen- Galerie bereitgestellt werden. Insgesamt 43 kleine und mittelgroße Städte in Sachsen-Anhalt haben sich mit ihren Projektideen beworben. "Allein die Qualität des Themas hat über die Teilnahme entschieden", erklärt Sonja Beek, Projektmanagerin im federführenden Dessauer Bauhaus. Aschersleben stach dabei besonders hervor. "Aschersleben ist ein sehr mutiges Projekt. Und dass so was dort möglich ist, liegt auch an der sehr innovativen Figur des Bürgermeisters. Er ist fest davon überzeugt, dass das eine oder andere irritierende Experiment schlussendlich positiv ist für die Stadtentwicklung ist."
Mit wenigen Mittel Akzente setzen
Insgesamt 50 Millionen Euro stehen bereit, um die verschiedenen Projekte in den Städten bis 2010 umzusetzen. Im Vergleich zum IBA-Projekt "Emscher Park" in Nordrhein Westfalen sind das zwar nur zwei Prozent, "aber es komme hier mehr darauf an, mit wenigen Mitteln die richtigen Akzente zu setzen", so Sonja Beek.
In Aschersleben ist immer noch jeder Fünfte arbeitslos. Schrumpfung wird auch in den kommenden Jahren das bestimmende Thema bleiben. Von aktuell 25.000 Einwohnern, schätzt Anke Lehmann, werden noch einmal 3000 fortziehen und damit weitere 2500 Wohnungen überflüssig machen. Vor allem junge, weibliche und gut ausgebildete Arbeitskräfte werden der kleinen Stadt den Rücken kehren. Schon jetzt besteht bei einigen Unternehmen in der Region Fachkräftemangel. Aber irgendwann, so hofft Anke Lehmann, wird dieser Negativ-Trend gestoppt sein und sich die "Drive-Thru-Gallery" in einer attraktiven Innenstadtlage befinden.