Wien liegt an der Fifth Avenue. Das Beste von Wien. Apfelstrudel, Kleiner Brauner, Walzerklänge, in den Zeitungshaltern rascheln die Seiten der "Kronen Zeitung". Sogar die hängt hier im Café Sabarsky, wo alles, was möglich sein könnte, Wirklichkeit wird. Hier gibt es Sachertorte, die besser schmeckt als im Hotel Sacher. Und einen Hausherrn, der Wien mehr liebt als die Stadt sich selbst. In einer idealen Welt schrieben wir jetzt das Jahr 1907, Ronald S. Lauder wäre nicht ein New Yorker, sondern ein Wiener großbürgerlicher Jude mit einer, sagen wir mal, Zuckerfabrik, und ließe gerade seine Ehefrau Adele vom umstrittenen Avantgarde- Künstler Gustav Klimt porträtieren. Doch da die Zeit ziemlich das Einzige ist, auf das Ronald Lauder keinen Einfluss hat, ist es ein sonniger Oktobertag hundert Jahre später, Lauder kommt gerade vom Papst und eröffnet in wenigen Tagen in seinem New Yorker Privatmuseum eine Klimt-Ausstellung. Prunkgemälde der Schau: "Adele Bloch- Bauer I", "My Woman", wie Lauder sagt. Er begehrte sie, seit er mit 14 zum ersten Mal allein nach Wien gereist war. Er wohnte im Hotel Bristol nahe der Kärtnerstraße. Sein erster Weg führte ins Belvedere – zu Adele: "Eine unglaublich erotische, wunderschöne Frau sah mich an, mit schweren Augenlidern und sinnlichen Lippen, ihr Blick ließ mich nicht los. Ich stand eine Stunde dort. An diesem Morgen bin ich erwachsen geworden."
Die echt Frau ging, die Traumfrau kam
2006, etwa ein halbes Jahr nachdem seine Ehe zerbrach, hatte er Adele endlich für sich allein. Die echte Frau ging, die Traumfrau kam. Sechs Jahre hatte Adele Bloch- Bauers Nichte, die in Los Angeles lebende Maria Altmann, heute 91, um die Rückgabe der von den Nazis enteigneten Familienkollektion mit Österreich gerungen. Im Hintergrund, als Unterstützer: der Restitutionsexperte des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder. Als Altmann drohte, den Staat in den USA zu verklagen, lenkte Österreichs Kulturministerin trotzig ein, eine Kommission wurde berufen und entschied: herausgeben. Fünf Klimt-Gemälde reisten nach Los Angeles, vier davon kamen kurz darauf bei Christie’s unter den Hammer. Nummer eins, Adele, hatte sich bereits Lauder gesichert. Für 135 Millionen Dollar soll er sich die Frau seines Lebens gegönnt haben – der höchste Preis, der bis dahin für ein Kunstwerk bezahlt worden war. Wenig später wurde er freilich von 140 Millionen für einen Jackson Pollock übertroffen.
"Der Erbe des Kosmetik-Konzerns (Estée Lauder, die Red.) fördert Restitutionen und bedient sich an den bislang eingemauerten Kunstwerken", monierte seinerzeit das "Handelsblatt". Der Jäger und Sammler Lauder wiegelt ab: "Ich spielte gar keine Rolle. Maria Altmann wollte das Bild vor allem in der Neuen Galerie hängen sehen." Und da hängt es nun: Als neue "Mona Lisa von Manhattan", wie Lauder stolz sagt. Als wir ihn einen Tag später noch einmal treffen, sitzt er zwischen Büchern, Bildern und Katalogstapeln in seinem Büro im 42. Stock des General Motors Building in New York, Beine übereinandergeschlagen, nachtblauer Nadelstreifen, Whiskyglas vor sich und sagt in fließendem Deutsch: "Man kann auf sieben Hochzeiten tanzen." Er lächelt, hochzufrieden mit sich. Niemand soll von ihm sagen, er habe nicht zu jedem Zeitpunkt seines Lebens alles getan, was er hätte tun können. Das, sagt er, "bin ich mir und dem Glück schuldig, über Möglichkeiten und Interessen zu verfügen wie kaum einer sonst".
Ein Diplomat und Kunstliebhaber
Das Wirtschaftsmagazin "Forbes" teilt Ronald S. Lauder Platz 287 auf der Liste der reichsten Menschen der Welt zu. Sein Vermögen wird auf drei Milliarden Dollar geschätzt. Er ist der jüngere Sohn der Kosmetikqueen Estée Lauder, 1944 geboren. Ronald habe nicht die geringste Hemmung, reich zu sein, bestätigt sein Freund Richard Parsons. Er sei von der Sorte, die sagen: "Auf keinen Fall werde ich mit all diesem Kleingeld ins Grab fahren." Im mütterlichen Beauty-Imperium wurde es Lauder zu eng. 1982 überließ er seinem elf Jahre älteren Bruder Leonard die Leitung der Estée Lauder Companies und ging in die Politik. Für seinen ersten Job – im Pentagon – qualifizierte ihn eigentlich bloß die Freundschaft seiner Mutter mit Nancy Reagan. 1986 schickte Präsident Ronald Reagan ihn als US-Botschafter nach Wien – es wurden 18 Monate, die sein Leben verändern sollten. Nicht, dass sein Aufenthalt in politischer Hinsicht sonderlich erfolgreich verlaufen wäre.
Die österreichisch-amerikanischen Beziehungen erreichten damals ihren Tiefpunkt: Lauder erschien nicht zur Amtseinführung von Kurt Waldheim (der seine Rolle als Offizier im Zweiten Weltkrieg verharmlost hatte) und sorgte maßgeblich dafür, dass das österreichische Staatsoberhaupt nie wieder in die USA einreisen durfte. Aber er tauchte tief und beglückt ein in die Alte Welt, in Malerei, Kunst und Kultur. Ein Freund erinnert sich daran, wie Lauder damals in seiner gepanzerten Limousine, umgeben von Bodyguards, vor Wiener Antiquitätengeschäften vorfuhr: "Alle anderen im Laden mussten dann verschwinden." Lauder hatte im Zusammenhang mit der Waldheim-Affäre nämlich noch eine Erfahrung gemacht – er erlebte Antisemitismus erstmals am eigenen Leib: "Ich war als amerikanischer Botschafter gekommen und bin als Jude gegangen." Er, der sich bis dahin allenfalls als "Feiertagsjude" bezeichnet hätte, der Weihnachten zelebrierte und für seine beiden Töchter schon mal den Santa Claus gab, wurde sich durch die Angriffe erstmals seiner jüdischen Identität bewusst.
Ein Jahr später gründete er die Ronald S. Lauder Foundation, eine Stiftung mit dem Ziel, jüdisches Leben vor allem in Osteuropa neu zu begründen. In 16 Ländern sind Schulen und Kindergärten eröffnet worden – es gibt Einrichtungen in Warschau, Minsk und Kiew, aber auch in Wien und Berlin. Auf die Stiftung sei er besonders stolz, sagt Lauder, der seit Juni Präsident des Jüdischen Weltkongresses ist, und dass er heute jüdischer gar nicht mehr werden könne. In seinen Bürofluchten muss in einem kleinen Raum auch studierend Rabbi Chaskel Besser sitzen. Er leitet Lauder spirituell an und ist bis auf dessen Weihnachtsgewohnheiten einigermaßen zufrieden mit seinem Schüler.
Die größte Privatsammlung der Welt
Wo Ronald Lauder sonst noch sein Kleingeld ausgibt, lässt sich gut in seinem Büro besichtigen. Schwer zu sagen, was spektakulärer ist: der enorme Blick auf den Central Park und New Yorks Uptown. Oder die Werke der deutschen Künstler Anselm Kiefer, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Joseph Beuys und Georg Baselitz, die Lauder unter die niedrigen Decken seines holzgetäfelten Empfangsfoyers zwängte. Er ist in Zeigelaune. Ein Freund ist zu Besuch, der Sammler zählt die Aktenordner, in denen seine Besitztümer katalogisiert sind: "36, 37, 38. Achtunddreißig!" Er öffnet Türen, schiebt an die Wand gelehnte Bilder zur Seite ("Beuys! Nauman! Rauschenberg!"). Und dann führt er die Besucher in die Herzkammern der Sammlung, in seine Schatzhöhle: kleine, ineinander verschachtelte Räume, jedes freie Stückchen Tisch, Fensterbank, Fußboden ist mit Bildern und Objekten vollgestellt. Tische, Stühle, Lampen und Uhren von Otto Wagner und Josef Hoffmann. Judaica, hellenistische und römische Vasen, die Skulptur eines Männerkopfes aus dem Mittelalter, Trinkgefäße in Silber und Gold. Fotos. Waffen und Rüstungen. Eine unkontrollierte Bewegung mit dem Ellenbogen – und 1500 Jahre Kunstgeschichte zerschellten am Boden. In einem abgedunkelten Hinterzimmer seines Büros: noch mehr Bücher, Bilder, Objekte. Und nur durch Klettern zu erreichen: ein abgeschabter Liegesessel für den Zwischendurch- Schlaf eines Mannes mit sieben Leben. Kann einer mit seinen Ämtern und Funktionen, mit seinem Reichtum überhaupt noch gut schlafen? Nicht immer tief und unbesorgt, gibt er zu und wird plötzlich ernst. Es ist die einzige Schwäche, die er an diesem Tag gesteht. Er hat die größte, erlesenste Privatsammlung der Welt, heißt es – mehr als 4000 Stücke. Kunstkenner rühmen seinen exzellenten Geschmack, den unbestechlichen Blick, das leidenschaftlich Raubtierhafte seines Zugriffs. Seine Taschen sind tief genug.
"Oh", "Oh My" und "Oh My God"
Aus der Wand hinter Lauders Sessel ragen zwei Haken. Egon Schiele und Oskar Kokoschka, erklärt er, beide ausgeliehen. Der Kokoschka: 40 Jahre hat er auf ihn gewartet – bis er ihn endlich aus einer Privatsammlung loseisen konnte. Eindeutig ein "Oh My God"-Gemälde. So wie, natürlich, Adele. Lauder hat drei Kategorien: "Oh", "Oh My" und "Oh My God". "‚Oh My‘-Bilder kaufe ich, wenn der Preis stimmt, ‚Oh My God‘- Bilder will ich um jeden Preis haben." Er hat noch etwa zehn "Oh My God"-Gemälde im Visier, sagt er. Welche? Immerhin so viel: Ein deutsches sei darunter. Er kann in solchen Fällen einen enorm langen Atem beweisen. Um den "Gelben Vorhang" von Henri Matisse zu bekommen, musste er nicht nur den Tod des Eigentümers abwarten, sondern auch dessen Sohn überleben, der das Bild erbte und behalten wollte. Mit dem spektakulären Erwerb eines weiteren "Oh My God"-Bildes ist Ronald Lauder im vergangenen Jahr auch in Deutschland bekannt geworden: Ernst Ludwig Kirchners "Berliner Straßenszene" (1913 bis 1914) – Staatsstück des deutschen Expressionismus und des Berliner Brücke- Museums. Der Berliner Senat übergab es ebenso eilfertig wie beflissen – und lautstark begleitet von öffentlicher Kritik – den Nachfahren des Frankfurter Industriellen Alfred Hess, dem das Gemälde einmal gehört hatte. Die Geschichte des Bildes wie die Rechtslage sprachen eher gegen eine Rückgabe. "Ich habe mich gewundert, dass Berlin das Bild weggegeben hat, es bestand kein Anlass dazu", mokiert sich Lauder, der die "Straßenszene" vergangenen November für 38 Millionen Dollar in New York auf der Christie’s-Auktion kaufte, "aber ich war natürlich glücklich darüber."
Den Berliner Verantwortlichen müssen solche Worte wie Hohn vorkommen. Denn schließlich war es Lauder, der sich im Jüdischen Weltkongress für die Restitution der von den Nazis gestohlenen Kunstwerke stark gemacht hatte und sie maßgeblich vorantrieb. Möglich, dass Lauder "Rache ist süß!" denkt, nachdem der Senat eines seiner Geschäftsprojekte im Flughafen Tempelhof nicht abnicken wollte. Selbst als er verführerisch mit der "Berliner Straßenszene" als Leihgabe für die Hauptstadt winkte, mimte Bürgermeister Wowereit den starken Maxen: Berlin brauche keine reichen Onkel aus Amerika.
Das dürfte Lauder als besondere Kränkung vorkommen. Nicht bloß, weil ein Großvater Tscheche und eine Großmutter Ungarin war und Estée, seine Mutter, – obwohl in Corona, Queens, als Josephine Esther Mentzer, Tochter eines Ladenbesitzers, geboren – gern verbreitete, sie habe in einem Schloss zwischen Salzburg und Budapest das Licht dieser Welt erblickt. Auch Lauder selbst zog es sein ganzes Leben immer wieder nach Europa und vor allem nach Wien – wie magnetisiert von strahlender Kultur und düsterer Geschichte.
Ein brillianter, hochempfindsamer Junge
Später, als die Mauer fiel, sollten Lauder die Kenntnisse dieser Reisen zugute kommen. Er war einer der ersten amerikanischen Unternehmer, die sich im Ostenengagierten. Heute umfassen seine Central European Media Enterprises (CME) 15 TV-Sender in Osteuropa, Jahresumsatz 600 Millionen Dollar. Ronald war Estées Liebling gewesen und immer ein bisschen anders als andere Kinder. Der "brillante, hochempfindsame Junge" (Mama Estée) hatte keine Poster von Baseballspielern an der Wand. Er hatte auch keine Freunde. Er zeichnete gut, las Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften", ließ sich Unterricht in Deutsch und Französisch geben. Er war 14, als er sich von seinem Geld zur Bar-Mizwa ein Bild von Egon Schiele kaufte. Die Eltern staunten: so viel Geld für ein so kleines Bild! Von einem Maler noch dazu, den seinerzeit in New York kein Mensch kannte.
Aber sie ließen ihn gewähren. 1967 traf Lauder den 1912 in Wien geborenen New Yorker Kunsthändler Serge Sabarsky, der in New York Egon Schiele, Gustav Klimt und Oskar Kokoschka gegen die Salonkönige Pablo Picasso, Henri Matisse und Gustave Monet durchzusetzen versuchte. In Sabarsky fand Lauder einen Gesinnungsgenossen, der zum Freund seines Lebens wurde. Sabarskys Traum vom eigenen Wiener Museum inmitten der Wolkenkratzer von Gotham City machte sich Lauder bald zu eigen. Für neun Millionen Dollar erwarben die beiden in den Neunzigern die einstige Villa Vanderbilt, 1028 Fifth Avenue. Nachdem Sabarsky 1996 gestorben war, ließ Lauder das Haus zu einem exquisiten Schmuckstück der Wiener Jahrhundertwende mit stilechtem, dem Freund gewidmetem Kaffeehaus ("Café Sabarsky") umgestalten.
Seit 2001 beherbergt die "Neue Galerie" Expressionismus und Wiener Moderne – aus Lauders wie aus Sabarskys Sammlung. Hätte er damals, zu Adeles Zeiten in Wien gelebt, sinniert Ronald Lauder, "ich hätte mich gewiss in Kunst und Kultur, aber auch in der Politik engagiert. Vielleicht hätte die Geschichte dann sogar eine andere Wendung genommen. Ich hätte nämlich einen Kunststudenten namens Adolf Hitler in die Akademie aufgenommen. Ich hätte ihm sogar ein großzügiges Stipendium gegeben." Aber das klingt nun fast schon wie Estées Schloss zwischen Salzburg und Budapest.