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M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier DUBAI sein ist alles (CoVid21-Remix)

Micky Beisenherz über Dubai
In Dubai ist Corona offenbar so wenig Thema wie Menschenrechte oder guter Geschmack
© Picture Alliance
Dubai ist vulgär, anspruchslos und von provokanter Bequemlichkeit. Nichts ist hier fein, subtil oder leise. Und Corona ist hier offenbar so wenig Thema wie Menschenrechte oder guter Geschmack, findet Micky Beisenherz

Reisen ist der Moment, wenn aus Vorurteilen Empirie wird. Von Dubai zum Beispiel hatte ich jahrelang eine wahnsinnig schlechte Meinung. Bis ich einmal dort gewesen bin. Seitdem finde ich dieses Disneyland für Schulabbrecher wirklich rückstandslos beschissen.

Dubai-Reisen während Corona

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Dabei muss man Geissen-Island, wo die Simplen aus der Unter- und Oberklasse eine schlecht bestrasste Schnittmenge bilden, durchaus gewisse Fähigkeiten zubilligen. Ist Instagram der unbestritten dümmste Ort des Internets, so wird es jedes Jahr im Winter durch zahllose Posts aus ebendiesem Bling Bling-Kalifat noch einmal eine ganze Terz trauriger. Zumal in diesem Jahr auch noch eine ganze Portion Schuldkomplex dazukommt. Beim Anblick dieser dokumentierten Dekadenz empfinden viele Insta-Gram. "Wie kann man in diesen Zeiten so unsolidarisch sein und REISEN!" Ein Vorwurf, dessen geistige kleine Schwester die Frage ist, wie der Schlüter von nebenan sich das teure Auto leisten kann. Aber halt eben aufgeladen mit einer guten Portion virologischer Überlegenheit.

Berechtigter ist da schon die Frage, wie man so dumm sein kann, das dann auch noch zu posten. Aber manche mögen das ja, wenn eine Koterosion die Kommentarspalten flutet. Die beeindruckend arglose Cathy Hummels durfte sich für ihre, hüstel, Dienstreise dorthin im Netz bereits ihren halbwöchentlichen Shitstorm abholen. Gut, "Kritik im Netz" hätte es auch gehagelt, wenn sie sich bei einem Teller Kohlrouladen in einer Küche in Dortmund-Bodelschwingh hätte erwischen lassen. Das Argument, dass man den humpelnden Iltis als sonnengrüßenden Yoga-Move für das Fitness-Video nur im arabischen Klima unfallfrei ausführen kann, ist jedenfalls recht dünn. Virologisch scheint Dubai unbedenklich. Corona ist hier offenbar so wenig Thema wie Menschenrechte oder guter Geschmack.

Die Luftfeuchtigkeit hat mehr Prozent als die Männerquote

Und wenn Sie sich immer schon gefragt haben, was all diejenigen, die fürs neue iPhone oder neue Yeezies vorm Laden pennen, am Black Friday die Malls stürmen, sonst noch für Sehnsüchte haben: Et voilà. There you have it: Dubai it is. It's That Time of the year! Anfang Januar werfen die Menschen die Bäume aus dem Fenster – manche schmeißen die Restwürde gleich noch fröhlich hinterher. Was um alles in der Welt muss in jemanden fahren, dass er sich allen Ernstes dafür entscheidet, Lebenszeit und, ja, Geld zu investieren, um dorthin zu fliegen und tatsächlich dort Urlaub (!) zu machen?

Ich kenne Flugbegleiterinnen, die sechs Wochen Lockdown vorziehen, anstatt in Ausübung ihres Berufes nur ein paar Stunden in dieser gehypten Buddelkiste verbringen zu müssen. Klimatisch ist es schon schlimm. Die Luftfeuchtigkeit hat mehr Prozent als die Männerquote, und das will was heißen. Die Sinne indes werden einfach nur noch stumpf gekeult. Vor allem unter Profifußballern scheint es ein unausgesprochener Ehrenkodex zu sein, Sekunden nach dem Abpfiff des letzten Hinrundenspiels die Louis Vuitton-Koffer zu packen, die tätowierte Cora Schumacher-Replikantin aus dem APROPOS-Store zu zerren, um mit Tiler-Miguel, Iron Maik, Dijon-Delaney und den anderen, die Papa eigentlich nur als Name auf seinem Unterarm kennt, Richtung Deppenemirat zu jetten. Damit belegen sie unnötigerweise das unschöne Klischee, dass beim (balltretenden) Besserverdiener der Mangel an Tiefe durch eine verhältnismäßig große Höhe des Kontostandes ausgeglichen werden soll.

Der kulturelle Aderlass von Deutschland in Richtung der arabischen Emirate ist dramatisch

Hier treffen sich zum kulturellen Austausch Jadon Sancho, Ina Aogo oder Sylvie Meis, und das ist dann ja auch schon eine Art Befund. Prinz Markus von Anhalt teilt sich ein Appartement mit einem Pavian. Besucher tun sich zunehmend schwer mit der Frage, wer ihnen denn da wohl gerade die Tür geöffnet hat. Der kulturelle Aderlass von Deutschland in Richtung der arabischen Emirate ist dramatisch. Als hätte man das "OK Magazin" über dem Golf ausgekippt. Die dankbaren Opfer der Emirattenfänger und die Stammbesetzung jeder x-beliebigen RTL-Ficki Ficki-Insel-Show sind praktisch deckungsgleich. Passagierlisten voll mit Namen, die nur der Larry King der Generation Oslo-Filter, Oliver Pocher, kennen kann. Und will. Ein intellektuelles Gorleben.

Hat man am Ziel den Flieger erst einmal verlassen, kann man konsequenterweise die nächsten zehn Tage eigentlich auch direkt im Flughafen bleiben, ist doch bereits der Airport wie auch der Rest der Stadt eine einzige große Mall. Warum also überhaupt so weit fahren. Mall. Hier in Dubai ist das, was man von zuhause bestenfalls als seelenlosen Zeitvertreib mit anschließender Kaufreue am Wochenende kennt, eine Vollzeitbeschäftigung, ja, der kulturelle Höhepunkt. Die seelische Leere gleicht einer Einkaufstüte, in die man soviel blinkenden Schrott hineinwirft, bis das trockene Gebüsch in der inneren Steppe nicht mehr ganz so anklagend umher rollt. Dabei werden die Grenzen der Dummheit spektakulär erweitert. Nutzloses wird solange mit Swarovskisteinen oder Brillanten besetzt, bis das Gehirn in Duldungsstarre verfällt.

Philipp Plein als Stadt

Dubai, das ist Philipp Plein als Stadt, eine Shisha Bar mit angeschlossenem Flugplatz, der Lamborghini Gallardo unter den Reisezielen: Laut, geschmacklos und attraktiv für Zuhälter. Oder diejenigen, die eine Inselbegabung davor bewahrt hat, ihr Geld vor so wenig Publikum verdienen zu müssen. Hier ist alles vertikal. Mehr Phallussymbole siehst du nicht einmal im Wartezimmer vom Urologen. Gegen diese Destination wirkt selbst Las Vegas wie das Forum Romanum. Wobei Rom die Sklaverei schon eine ganze Weile hinter sich gelassen hat. Davon können Millionen Pakistanis, Inder oder Bangladeschis hier nur träumen. Irgendeiner muss den Scheiß ja billig hochziehen, oder. Eben.

Man muss Europa und seine Kultur, ja, jedwede Kultur schon sehr verachten, um es überhaupt in Erwägung zu ziehen, hierher zu fliegen. "Ja, aber die Sonnensicherheit!" Die hat man im Sun Point um die Ecke auch. Da hat das Publikum wenigstens Klasse. Gut, okay, der ist gerade dicht, und der Dermatologe atmet auf. "Die haben sogar ne Skihalle!" Tatsächlich gibt es in der Mall of the Emirates eine Skihalle, die durchaus Freude bereitet: All denjenigen, die vom Restaurant des Kempinski Hotels durch eine gigantische Glasscheibe wie im Zoo auf die bedauernswerten Trottel blicken, die sich nicht entblöden, sich im subtropischen Klimas des Persischen Golfs in Skikleidung an einem künstlichen Hang die Bänder zu reißen. "Bauer sucht Au" als Theateraufführung für Eventgastronomen. So muss man während des Essens wenigstens nicht apathisch auf das Vertu-Handy starren. Man muss nur aufpassen, dass man beim Nachsalzen nicht erschreckt, wenn plötzlich Kai Ebel gegen die Plexiglasscheibe knallt.

Hier in Dubai wird nix ausgelassen. Manchen gefällt es so gut, dass sie sich nicht zu schade sind, hier Wohnfläche zu kaufen. Prestigepriojekte wie "the Palm" haben finanzstarke Kompensationswillige aus aller Welt angezogen und dazu verleitet, Grundstücke auf den aufgeschütteten Inseln in Palmenform zu erwerben. Anfang der 2000er war das mal ziemlich hip. Das waren Limp Bizkit aber auch. Deren CDs haben allerdings nur um die 15 Euro gekostet.

Viel Zeit im Auto

Gehört man heute zu den bedauernswerten Teufeln, die immer noch ihre Parzelle in Hafennähe bewohnen müssen, kann man den Tag damit verbringen, neureiche Nachbarn aus den dubiosesten Vierteln der Welt zu grüßen, den Baggerschiffen dabei zuzusehen, wie sie zugunsten der benachbarten Bauprojekte Kies auskotzen – oder sich am Moder erfreuen, der entstanden ist, weil zwischen den künstlichen Palmwedelfleeten das Wasser nicht anständig zirkuliert. Und täglich grüßt die Algenpest. Man möchte fast religiös werden.

Aber zurück zu den Normalüberreizten: Natürlich könnte man hier einfach nur am Strand liegen. Aber da man sich nach ungefähr fünf Minuten bereits schält wie ein Leguan oder mit ein bisschen Pech mit empfindlichen Strafen rechnen muss, weil einem die Klöte etwas unvorteilhaft aus der Speedo lugt, empfehlen sich Ersatzbeschäftigungen. Man möchte ja nicht behandelt werden wie ein Pakistani oder Homosexueller. Hier ist schließlich Urlaub. Nur… was macht man, wenn man in seinem ganzen Leben noch nicht mehr gelesen hat, als WhatsApp oder Spielstände auf der Playstation und "Louvre" für batteriebetriebene Ferkeleien hält. Sicher. Auch, wenn man sich in den Vereinigten Arabischen Emiraten befindet, kann man natürlich Alkohol konsumieren. Zumindest in Hotels oder Restaurants. Man sollte sich allerdings nicht angetrunken auf der Straße blicken lassen, denn auf Alkohol reagiert Dubai wie Amnesty International auf Dubai.

Es wird empfohlen, sich schnell ein Taxi zu nehmen. So wie es ohnehin empfohlen wird, viel Zeit im Auto verbringen. Sei es wegen der Klimaanlage (wenn man nicht gerade ein Gecko ist, ist das Wetter recht unkommod) – oder weil das stumpfe Herumballern mit übermotorisierten Erektionshilfen hier im Allgemeinen eine hochrespektierte Freizeitgestaltung ist. Greta würde versuchen, sich vor Wut mit ihren eigenen Zöpfen zu strangulieren, nur, um das nicht mitansehen zu müssen. Entweder man fährt mit einem dildofarbenen Geschoss immer wieder carrerabahnartig über den Asphalt (was aufgrund des Tempolimits speziell dem Deutschen schnell fad wird). Alternativ dazu kann man sich auch in die Wüste begeben, um den verschreckten Beduinen zu zeigen, dass ein Q8 nicht zwingend dazu gemacht wurde, um Hamburger Zahnarztgattinnen sicher zwischen Kita und Hockeyplatz hin und her zu gondeln.

Dünen-Selfie mit dem neuen MCM-Rucksack

Keine Sorge: Um ein Dünen-Selfie mit dem neuen MCM-Rucksack zu schießen, ist das W-Lan auch in der Einöde überall ausreichend. Wir sind ja nicht in Brandenburg. Ebenfalls ein beliebtes Fotomotiv ist das mittlerweile schon ein wenig in die Jahre gekommene Burj al Arab, ein 321 Meter hoher Minderwertigkeitskomplex. Ein Gebäude wie Türchen 24 im Amorelie-Adventsklender. Dies wird gerne als Hintergrund genommen, während sich vorne McFit-Abonnenten so drapieren, dass das segelförmige Hotel exakt dort hinter ihnen aufragt, wo bei gesunden Männern ein Genital zu vermuten ist. Die Vertimwiesung des Schiefer-Turm-von-Pisa-Selfies.

Sie sehen: Für jemanden mit dem Feinsinn einer Knochensäge ist Dubai genau das richtige Pflaster. Der in Sachen Stil oder Intellekt bislang als Stealthbomber bekannte Franck Ribéry brachte es als eine Art Pionier der Geschmacklosigkeit vor wenigen Jahren fertig, kulinarisch mal so richtig satt einen in den Winkel zu schlenzen: In der dubaiischen Filiale des Nusr-Et, einer Steakhauskette ließ sich der älteste Kinderstar Frankreichs ein mit Blattgold überzogenes Ribeye-Steak für 1200 Euro servieren. Das allein ist schon nicht sehr klug, aber hey: Blattgold (und Kokain) sind Gottes Weg, Dir zu sagen, dass Du zu viel Geld hast. Vermutlich war es das billigste Gericht auf der Karte, und das hat man nun davon. Gerüchte, dass das Fleisch immer dann vergoldet wird, wenn statt Rind nur noch Schwein im Haus ist und es der Gast nicht merken soll, haben sich bislang nicht bestätigt.

Ein Selfie mit "Salt Bae"

Es ist wohl auch weniger das Essen, das die (prominenten) Urlauber ins Nusr-Et zieht, sondern der Koch himself: Nusret Gökçe, ein türkisch-kurdischer "Promi-Metzger", der seinen legendären Spitznamen "Salt Bae" dem Umstand verdankt, dass er beim Salzen des Fleischs den Arm auf eine Art anwinkelt, für die man früher einen eigenen Beitrag bei der "Aktion Mensch" gekriegt hätte. Sei's drum. Die Würze des Menschen ist unantastbar, und wenn man ein Selfie mit einem "Kult-Koch" gemacht hat, kann der Trip so schlecht nicht gewesen sein, oder.

Da das, was gemeinhin der Abschreckung dient, unter Profifußballern eher zur Animation taugt, haben es Ribéry längst viele andere gleich getan. Blattgold – das Gratinieren für Größenwahnsinnige. Wenn hier, in Dubai eine Maxime gilt, dann die wie beim Stiefelsaufen: Auch, wenn es absolut ungesund ist, so will man doch zeigen, dass man es kann! Und das gleich möglichst heftig.

Nichts ist hier fein, subtil oder leise. Alles brüllt. Der Hamburger Fischmarkt ist ein Ort der stillen Einkehr dagegen. Like Geiß in the Sunshine. Ein gewaltiger Heizpilz, unter dem sich all jene versammeln, für die Disneyland kulturgeschichtlich eine Nummer zu groß ist. Nichts hat hier mehr Gewicht als eine Bauchtasche. Es ist eine Jogginghose zum bereisen. Vulgär, anspruchslos und von provokanter Bequemlichkeit. Als hätte ein Hirnstrommesser aus den Träumen von "4 Blocks"-Abbas direkt eine Stadt gepinselt. Hätte der Wendler Geld für ein Flugticket, er wäre längst hier.

Je länger man sich mit damit beschäftigt, desto mehr kommt man zu dem Schluss, dass Dubai einer schlecht gemachten Industriellengattin gleicht: Spät auf dubiosem Wege zu Geld gekommen, schmückt es sich mit kostspieligen Ablenkungen, um davon abzulenken, dass da eigentlich nichts ist, das sehenswert wäre, oder kurz: Es ist der traurigste Platz der Welt. Und verhält sich zu anderen kulturell inspirierenden Zielen wie das Guggenheim-Museum zu den Graffitis an den Traversen eines handelsüblichen Autoscooters. Jede geairbrushte Motorhaube eines Opel Astra bietet mehr Futter für die Sinne.

Ein intellektueller Slum, der nur Verachtung übrig hat für alles, was sich außerhalb einer Versace-Badehose abspielt. Was verständlich ist, wenn man bedenkt, wie schnell Dubai an seinen Reichtum geraten ist. Gibt man einem Dreijährigen eine Flasche Cola, buddelt er dir wie ein Irrer eine Burgenlandschaft aus dem platten Sand. Dubai ist dieser Dreijährige. Nur auf Crack. Es ist das neue Mallorca. Mit dem kleinen Unterschied, dass Mallorca diesen miesen Ruf nie verdient hat. Ja, sicher. Ich versteh schon:

  1. Sonnensicherheit
  2. Das Shoppingerlebnis
  3. Die Skihalle.

Dazu sei gesagt, dass es in Bottrop eine Skihalle gibt,  unweit des Centro, einer MegaMall, in der man hervorragend shoppen oder die Sonnenbank besuchen kann, ja, in der Coca-Cola-Oase gibt es meines Wissens nach sogar Palmen. Man kann also guten Gewissens den nächsten Dubai-Trip canceln und stattdessen zwei Wochen Urlaub in Oberhausen machen. Auf den angrenzenden Autobahnen gibt es noch nicht mal ein Tempolimit. Wenn das mal nichts ist.

Einfach bist zum Ende des Lockdowns warten. Zehntausend Euro und sich zwei Shitstorms sparen.

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