M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Schlumpf ist Trumpf, oder: Jede Zeit kriegt den Kanzler, den sie verdient

Von Micky Beisenherz
Olaf Scholz
Hat man anfangs noch gelacht über den hansaplastfarbenen Kandidaten der grokogebeutelten Treppenwitzpartei, mausert sich Olaf Schulz sukzessive zum Hidden Champion.
© Stefan Sauer / DPA
Lag die SPD vor Wochen noch abgeschlagen in den Umfragen, so reiben sich die Genossen derzeit abwechselnd die Augen und die Hände. Es besteht tatsächlich die Möglichkeit, dass Olaf Scholz Kanzler wird. Warum ist das so?

Die Absurdität der Zeit zeigt sich oft in den kleinen Dingen. Zum Beispiel an Sozialdemokraten, die es kaum abwarten können, aktuelle Umfragen zu lesen. 

War man bei der SPD vor Wochen noch weit abgeschlagen, so reiben sich die Genossen derzeit abwechselnd die Augen und die Hände. Es besteht tatsächlich die Möglichkeit, dass man im Willy-Brandt-Haus am Wahlabend den Sekt nicht missbrauchen muss, um möglichst schnell zu vergessen: Bei 19 Prozent steht man derzeit in den Umfragen. Das war zu jeder Zeit Grund genug, den Parteivorsitz abzugeben, sich Richtung Europaparlament abzusetzen oder besser gleich in sieben Aufsichtsräte. Nicht so dieses Jahr.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Nun sind diese knapp zwanzig Prozent Ausweis einer fast transrapidesken Schussfahrt Richtung Kanzleramt. Warum ist das eigentlich so?

Achtung, jetzt kommt die für die Politik unerlässliche Fußball-Allegorie: Im Jahr 2016 wurde Portugal Fußball-Europameister. Dabei hatten sie es in drei Vorrundenspielen gerade einmal zu jämmerlichen drei Punkten mit drei Unentschieden gebracht.

Doch das Teilnehmerfeld war schwach und die eigene Stärke gerade so ausreichend, sodass die Mannschaft von der iberischen Halbinsel für alle ein wenig überraschend Europameister wurde. Dabei hatte das Team die besten Jahre eigentlich schon hinter sich. Die Favoriten waren andere.

Gut, okay, die Ähnlichkeiten zwischen Olaf Scholz und Cristiano Ronaldo sind überschaubar. Auch, wenn diese Wahl ein verdammt enges Höschen wird.

Beim Wettstolpern ist das Momentum beim Gehenden

Scholz' größtes Plus ist seine Unauffälligkeit. Hat man anfangs noch gelacht über den hansaplastfarbenen Kandidaten der grokogebeutelten Treppenwitzpartei, mausert er sich sukzessive zum Hidden Champion und, ja: Beim Wettstolpern ist das Momentum beim Gehenden.

Wahr ist, gewählt werden Parteien, und in einer schlaueren Welt womöglich auch noch deren Programme. Mindestens genauso wichtig sind aber die Köpfe, die von diesen Parteien entsandt werden, um möglichst viele Stimmen auf sich zu vereinen.

Allein schon deshalb, weil die von vielen so herbeigesehnten Sachthemen in Wahrheit natürlich viel zu komplex und hochanstrengend sind, sodass es wesentlich angenehmer ist, seine Wahlentscheidung über weiche Faktoren wie zusammengeschusterte Bücher oder falsche Lacher zu treffen.

Und bevor man lange erklärt, wie das mit Cum-Ex noch gleich ging, stürzt man sich lieber auf das N-Wort, dass da schon wieder jemand gesagt hat. Hat sich ein Image erst einmal verfestigt, ist nur noch schwer davon wegzukommen.

Laschet lachte sich ins Aus

Armin Laschet hat sich früher "entkanzlert" (Jagoda Marinić), als es ihm lieb sein dürfte. Schon im April 2020 wirkte er fahrig, planlos und patzig, schnell schien allen klar: Der will es allen recht machen. Dann kam noch die Sendung "Markus Lanz", in der der Moderator wie der weiße Tiger Montecor über das herfiel, was Markus Söder noch vom Kandidaten übrig gelassen hatte.

Schlussendlich das Hochwasser. Ein verpasster Ärmel-hoch-Gummistiefel-an-Moment, in dem der Ministerpräsident in rahmengenähten Schuhen durch das Katastrophengebiet spazierte und sich endgültig ins Aus lachte. Wäre es nicht so zynisch, möchte man meinen, die Flut hätte nicht nur ganze Landstriche mit sich gerissen, sondern auch die entscheidenden Prozente.

Armin Laschet wird bei Besuch in Swisttal beschimpft
Armin Laschet wird bei Besuch in Swisttal beschimpft
"Sie werden es bei der Wahl merken!" – Laschet wird bei Besuch in Katastrophengebiet beschimpft

Und die Grünen? Niemand würde bestreiten, dass sie mit dem Klimaschutz vielleicht DAS Zukunftsthema im Gepäck haben, doch, ach: Es war klar, dass der Einstiegshype von Annalena Baerbock nicht tragfähig sein konnte - dass es so mies laufen würde, hätten wohl nur die wenigsten vermutet.

Ihre Verfehlungen - marginal. In Summe aber entstand der Eindruck einer Kandidatin, die Unzulänglichkeiten gern mit großspuriger Geste wegtölpelt, während ihr Co-Vorsitzender leicht verschämt im Hintergrund zu Boden blickt.

Die Parteien wollen die Falschen ins Kanzleramt schicken

Egal, ob die Schweinebauereien, mit denen die Völkerrechtlerin Habeck herabwürdigte oder die jüngste "Ich glaub, ich steh im Wald"-Episode, die man problemlos mit einer Stromberg-Tonspur hätte unterlegen können: Ambitionen können Emotionen nicht ersetzen, und Herzen fängt man mit dieser Kandidatin nicht.

Dass ihr Mitbewerber um die Kanzlerkandidatur nur das Allernötigste tut, um für seine Spitzenfrau zu werben, ist eine andere Geschichte. Ohnehin ist es ein Charakteristikum dieser Wahl, dass die Parteien mitunter die Falschen ins Kanzleramt schicken sollten. Siehe nach bei den Grünen und vielmehr noch bei der Union, wo man nur bei der Erwähnung des Namens Söder schon feuchte Augen kriegt und von Werten träumt, die man so höchstens noch auf dem Thermometer sehen dürfte.

Amüsanterweise leistete sich ebendieser Söder eigentlich nur eine kleine sprachliche Entgleisung, von der ausgerechnet der SPD-Kandidat profitieren sollte. "Der schlumpfig grinsende" Scholz, der den Ball gerne aufnahm, weil Schlümpfe am Ende immer gewinnen, machte Söder nicht nur zu Gargamel, sondern den Sozialdemokraten zu einem still agierenden Souverän, der sich nicht nur keine Aussetzer oder blamable Eitelkeiten leistete, sondern in all seiner Unaufgeregheit und dem Pragmatismus an die Person erinnert, die viele schon vermissen, obgleich sie noch im Amt ist: Angela Merkel.

Eigentlich konsequent. Nachdem Merkel jahrelang die SPD assimiliert hat, kann der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten auch gleich zu einer Merkel 2.0 morphen.

Die gepflegte Langeweile, nach der wir uns alle sehnen

Aber die Inhalte! Klar. Sicher. Auch die Deutschen wollen den Wechsel, die Revolution. Solange sich nicht zu viel ändert. Und wo Merkel nicht mehr antritt, ist das ja eigentlich schon Umbruch genug, oder? Warum also nicht den Kandidaten der Partei wählen, die für ein bisschen Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit steht, aber vor allem für ganz viel Stabilitätsversprechen.

Ist das mutig? Es ist zumindest so wagemutig, wie die Bevölkerung, die am 26. September zur Wahl geht. Und während die Mitbewerberparteien bei Union oder den Grünen seufzend auf die Co-Vorsitzenden blicken, muss man bei der SPD halt jetzt nur schauen, ebendiese so gut wie möglich zu verstecken.

Lediglich in Würselen wird am 27. September jemand morgens schweißgebadet aufwachen und nicht begreifen, wieso er damals mit demselben Ergebnis nicht den Kanzler geben durfte.

Die SPD stellt den Kanzler. Es wäre die gepflegte Langeweile, nach der wir uns alle sehnen.

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