"Wenn der Schnee geschmolzen ist, siehst Du, wo die Kacke liegt."
(Rudi Assauer)
Thomas Kemmerich - ein Mann, dessen Nachname mittlerweile mehr zum Adjektiv verkommen ist (Vergleich "die Partei ging kemmerich zugrunde") - ist zurückgetreten. Bereits drei Tage nach dem er seinen Rücktritt erklärt hatte. Für einen FDPler eine normale Zeitspanne, scheint man dort bis in die obersten Parteispitzen unter akuter Haltungsverschleppung zu leiden, aber dazu gleich mehr.
Drei Tage. Man muss es positiv sehen: Er hat es geschafft, seine Tagesgage von 93.000 auf 31.000 Euro zu reduzieren. Rund Hunderttausend, für die man deutschlandweit die Hosen lässt. Im Januar wurde man so noch nach 16 Tagen Dschungelkönig - das war aber bei Weitem nicht so würdelos.
Kemmerich ist weg. Und jetzt ist alles gut? Leider nein. Nichts ist gut. Zu einem, und da zitiere ich jetzt vom Busfahrer bis zur Twitterkanzel so ziemlich jeden politischen Beobachter, "Dammbruch" gehört leider auch die unangenehme Eigenschaft, dass das Wasser nicht zurück läuft, nur weil der Verursacher weg ist. Nein, wenn diesen Tagen überhaupt etwas Positives abzugewinnen ist, dann dass man nun noch besser erkennen kann, wer wo steht.
Klar war es ein starkes Signal der Kanzlerin, die Wahl so deutlich zu verurteilen. "Da dies absehbar war in der Konstellation, wie im dritten Wahlgang gewählt wurde, muss man sagen, dass dieser Vorgang unverzeihlich ist und deshalb auch das Ergebnis wieder rückgängig gemacht werden muss."
Klingt toll. Entspricht natürlich komplett meinem "moralischen Kompass". Dennoch muss die Frage erlaubt sein, ob es so glücklich ist, in Zeiten, in denen Tichyaner und Besorgtbürger unablässig von einer Kanzlerinnendiktatur faseln davon zu reden, dass ein Wahlergebnis der Ministerpräsidentenwahl "rückgängig" gemacht werden muss. Für die (Neuen) Rechten ein weiterer Beleg für eine linksgrüne Bedarfsdemokratie, in der man nur so lange ein Ergebnis zu würfeln scheint, bis es passt. Der handelsübliche Wähler hat sich schließlich gerade erst von Ursula von der Leyen als Surprise Act in Brüssel erholt.
Absurd: AfDler wählen den Kandidaten der Linken
Es ist moralisch nicht verwerflich, die Ministerpräsidentenwahl rückgängig machen zu wollen. Ich war auch erschüttert. Allein, ein Triumph der Demokratie ist es nicht. Motivation genug für Gauland, seine AfD dazu aufzurufen, bei der nächsten Ministerpräsidentenwahl stumpf für Ramelow zu stimmen.
Ein komplett absurder Vorgang: AfDler wählen den Kandidaten der Linken. Und doch konsequent, da bei AfDlern - ähnlich den Trump-Wählern - der Hass auf die etablierte Kaste stets größer ist als der Wille zur echten Gestaltung. Die Destruktion als konstruktiver Grundgedanke. Nur Christian Lindner dürfte so etwas noch überraschen.
Wobei die Demontage der "Altparteien" CDU und FDP selbst ganz gut hinbekommen haben, in ihrer mantraartigen "Ramelow muss weg"-Irrfahrt. Inklusive großem Verantwortungswichteln, das bis zur Stunde anhält.
Kann Wolfgang Kubicki Vize-Bundestagspräsident bleiben?
Klar, wir lieben es, wenn ein Zeichen gesetzt wird. Ob es allerdings so klug ist, als Bauernopfer den Ost-Beauftragten Hirte abzuziehen, weil er sich wie einige andere etwas vorschnell via Twitter begeistert über die Wahl Kemmerichs gezeigt hat, auch darüber lässt sich trefflich streiten.
Gibt es kontaminierte Tweets? Wieso muss ein Hirte gehen, und wieso darf eine Dorothee Bär weiter ... - ja, was macht die eigentlich nochmal gleich?
Und kann Wolfgang Kubicki, einer der ersten, der völlig entzückt über das tolle demokratische Ergebnis war unter diesen Parametern Vize-Bundestagspräsident bleiben? Die ersten suchen bereits panisch nach dem Glückwunsch-FDP-Tweet von Andreas Scheuer. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Annegret Kramp-Karrenbauer zieht Konsequenzen
Eine hat erst gar nicht gewartet, sondern selbst Konsequenzen gezogen: Annegret Kramp-Karrenbauer verzichtet auf die Kanzlerkandidatur und auch künftig auf den Posten der CDU-Chefin. Somit wäre sie wohl das prominenteste Opfer der Thüringer Staatsoper. Wobei: Streng genommen ist sie sich selbst zum Opfer gefallen.
Das alles ist weniger lustig als blamabel. Und das ist der Punkt. Der Fall Kemmerich filetiert gnadenlos den aktuellen Zustand der Demokratie. Wie eine Crime Scene, in der erst Schwarzlicht die DNA-Spuren an einem Tatort aufdeckt, legt Thüringen die gnadenlosen Schwächen der Parteien, die Machtlosigkeit ihrer Führungsfiguren (Huhu, AKK!) und auch den absoluten Opportunismus vermeintlicher Hoffnungsträger offen.
Die Hütchenspieler von Thüringen haben gar keine Ahnung, was für eine kapitale Scheiße sie da überhaupt angerichtet haben. Christian Lindner hat es bis jetzt nicht begriffen.
Christian Lindner hat schon wieder Vorschläge
Er hat vieles gesagt und geschrieben seit dem glorreich-verhängnisvollen Mittwoch. Nur kann die Quantität der Worte danach nicht die Qualität der Worte davor wettmachen. Die erste Reaktion auf den vermeintlichen Coup war wurstig und frei von der gebotenen Klarheit. Wer nach diesen Tagen die Vertrauensfrage stellt, dem ist nicht nach echten Konsequenzen. Leider verhält sich die FDP zu Lindner wie U2 zu Bono. Sie haben keinen anderen. Deshalb darf er im Amt bleiben.
Wie Kemmerich sein Rückgrat erst nach allgemeiner Empörung entdecken und dann hoffen, dass man ihm künftig noch klare Leitlinien abnimmt, das funktioniert natürlich nicht.
Schlimmer noch: Anstatt demütig abzutauchen macht der Mann schon wieder Vorschläge, dass man einen unabhängigen Kandidaten zum MP machen solle. Eine Beurteilung des Mannes, der unlängst noch befand: "Wir haben uns in der AfD geirrt." Er braucht wirklich eine lange Pause vom Politbetrieb.
Es bedanken sich nicht zuletzt die Freien Demokraten in Hamburg, die beim Plakatekleben wie Robbenschlächter angeschaut werden. Und diejenigen, die nun "NAZI!"-Graffitis von der Hauswand wischen dürfen. Unter Polizeischutz.
Alle haben die Hosen unten. Die Freien Demokraten. Die CDU. Die Demokratie an sich. Das einzig Erstaunliche daran: Es gibt einen politischen Skandal - und die SPD geht als Sieger daraus hervor (*öffentliche Äußerungen von Saskia Esken bei Texterstellung nicht bekannt). Wenn man hier überhaupt von Siegern reden kann.
Der "Spiegel" ikonisiert Björn Höcke zum Popstar
Doch, kann man. Tut halt nur weh: Björn Höcke. Der Mann kann sich auf die Reichskriegsfahne schreiben, dass er mit einem politischen Schulterwurf die "Profis" auf die Matte gelegt hat. So weit, so schlimm.
Das macht ihn politisch sicherlich zum Mann der Stunde. Und natürlich ist es legitim für ein Nachrichtenmagazin, sich eingängig mit diesem zu befassen. Daraus den Schluss zu ziehen, ihn wie der "Spiegel" mit einem Hochglanzfoto zum Popstar zu ikonisieren und das eigene Blatt zu einer Art Faschisten-"Bravo" zu machen, das ist dann mehr als nur ungeschickt.
Die allgemeine Begeisterung über das maue Wortspiel "der Dämokrat" kann nicht der Grund gewesen sein, die inhaltlich kluge Auseinandersetzung im Blatt mit einem so plumpen wie gefährlichen Cover herabzuwürdigen. So erliegt der "Spiegel" am Ende demselben Reiz wie die Kemmerichs dieser Tage: Man spürt, dass es falsch ist, aber die Gelegenheit war so sexy. Im Impressum findet man wenigstens einen Verantwortlichen.
Und nach dem Sturmtief Thomas müssen wir nun alle schauen, wo die Sachen liegen, die wir eigentlich so schön geordnet hatten.