Wenige Stunden später erlebten Zuschauerinnen im Fernsehen einen müden, ja, ratlosen Robert Habeck, gerade noch so zusammengehalten von seinem Dreiteiler, der überraschend deutlich zu erkennen gab, dass die Bundesregierung kaum mehr tun kann als das, was gerade so an "Sanktionen auf dem Tisch" liegt.
Ein guter Auftritt, weil: Aufrichtig. Und deshalb auch berührender als der hohle Pep-Talk eines Olaf Scholz, der in einer Fernsehansprache alle wissen ließ: "Putin wird nicht gewinnen." Der sieht das vermutlich anders.
Als ebendieser Robert Habeck parallel dazu bei Instagram zu bewundern war, der Community den Rücken zudrehend, sorgenvoll aufs blau-gelb beleuchtete Brandenburger Tor blickend, da war er dann schon wieder ganz der Pferdekuschler-Outdoorshaver-Habeck, und ich hatte: Genug.
Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.
Nicht, dass ich dem Wirtschaftsminister seine Sorge nicht abnehmen würde. Es ist nur dieser entsetzliche Drang, jedes Gefühl, jede Befindlichkeit zu ikonisieren. Diese Verlockung, ehrliche Betroffenheit instagrammable auszustellen, nur um, und das ist das Schlimme, dem nichts folgen zu lassen. Wir sind wahnsinnig talentiert darin, wirkmächtige Symbole auszusenden, während wir Konsequenzen fürchten wie Putin die Demokratie. Den Mount Everest der Peinlichkeit erklommen hatte dann endgültig Putins Pay Pal Manuela Schwesig, die sich nicht entblödete stolz Bilder vom blau-gelb beleuchteten Landtag zu twittern. Als wüsste nicht jeder, dass sie bis eben noch kurz davor war, sich persönlich an die Pipeline zu ketten, um ihr Prestigeobjekt zu retten.
Verlogener mit Farben hantiert hat zuletzt nur Kujau
Und wenn wir den hinterletzten Bahnhof in Gütersloh blau-gelb anstrahlen: Solange es keine ernsthaften Bemühungen gibt, einschneidende Maßnahmen gegen den freidrehenden Zaren durchzusetzen, sind deutsche oder europäische Solidaritätsbekundungen bestenfalls horrorpeinlich. Dass wir unsere Profilbilder in die Farben der Ukraine tauchen und Stings "Russians" gravitätisch in die Instastory hieven, während wir insgeheim hoffen, die Sanktionen mögen sich an der Zapfsäule oder im Deka-Depot bitte nicht allzu heftig auswirken, ist ein kleinbürgerliches Dilemma. Ein allzu menschliches.
Eine Bundesregierung, die den Ukrainern die volle Solidarität zusichert, während innerhalb der EU z.B. der Ausschluss aus SWIFT blockiert wird (was als Mittel wirklich weh täte), macht solch ein moralisches Aufbäumen zur leeren Schote im großen Stil. Dabei geht es nicht einmal darum, ob der SWIFT-Ban sich als probates Mittel erweisen würde – der Beleg dafür, dass Italien bei der erstbesten Gelegenheit zur Courage lieber weiter Gucci-Loafer an Oligarchen verkaufen würde oder Deutschland Angst um den Export seiner Mercedes-Flotten hat, lässt unsere heldenhafte Attitüde so albern wirken, dass es kracht.
Das damit zu begründen, dass dann ja auch die russische Oma ihrer Enkelin in London kein Geld mehr überweisen könne, ist vermutlich perfider Teil der Anschreckungskampgane. Bei mir zumindest hat's funktioniert. Die russische Oma hat zumindest noch eine Enkelin.
Derweil bleibt Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj gegen das dringende Anraten aller Berater in Kiew bei seiner Bevölkerung und wehrt sich tapfer. Gehen Bürgerinnen und Bürger in Russland auf die Straße, um gegen diese Kriegsverbrechen zu demonstrieren. Sie alle riskieren ihr Leben für ihre Überzeugung. Das ist so beeindruckend mutig, dass wir uns gleich noch ein wenig jämmerlicher fühlen müssten. Völlig klar, dass wir alle Möglichkeiten zu Zerstreuung suchen, in dem Zyklon von Bildern Halt brauchen, Memes und Erbauungstweets produzieren. Schon richtig.
Es ist die digitale Entsprechung des Pfeifens im Walde
Wer sich nur oft genug mit Hashtags zur Ukraine bekennt, glaubt auch schneller, alles Mögliche getan zu haben. Das soll nicht in Abrede stellen, dass es vielen von uns ernst ist mit unserer hilflosen Anteilnahme.
Aber dieses leere Solidaritätsgetöse, diese ewigen Affinitätsbekundungen ohne jede Folge, diese blau-gelbe Überlackierung unangenehmer Wahrheiten ist nur noch jämmerlich. Von Lebensmittelkonzernen oder Möbelhäusern, denen es gelegen kommt, sich zufällig mit dem überfallenen Land die Farben zu teilen, um nochmal schnell mit Pseudobetroffenheit ein paar Moralpunkte abzuholen, ganz zu schweigen. Stets die größtmögliche Pose mit dem minimalstmöglichen Aufwand, es ist wirklich schäbig. Sollen sie doch gleich diese beschissene Pipeline anstrahlen.
Und wie geht's eigentlich den Ortskräften in Afghanistan? Da möchte man die Menschen beim Kölner Karneval fast bewundern für ihre Aufrichtigkeit, gegen den Wahnsinn anzuschunkeln: "Alles schlimm, aber wir hatten zuletzt auch keine schönen Wochen. Kann man nix machen. Alaaf."
Es reicht.

Sehen Sie im Video: Die Kleinstadt Henitschesk im Süden der Ukraine nahe der Krim wurde von russischen Soldaten eingenommen. Eine Ukrainerin konfrontiert auf der Straße zwei russische Soldaten, warum sie in ihr Land gekommen seien. Für ihre mutige Aktion wird sie im Netz gefeiert.