Boybands, sie sind ja wie "Merci"-Schokolade: Auch, wenn man die Riegelchen eigentlich gar nicht nicht besonders mag, findet man darin dann doch immer eine Sorte, die man ganz okay findet. Und Bands wie die Backstreet Boys enthielten praktischerweise die sehr unterschiedlichen Sorten Nick, Brian, AJ, Howie und Kevin. Für jeden was dabei. Der Hübsche, der Lustige, der Coole, der Wilde, der Süße und der Maskuline.
Seit 30 Jahren mittlerweile stehen die Backstreet Boys auf der Bühne. Für alle, die mit 15 jeden "Bravo"-Artikel über die US-Kombo verschlangen, ein harter Schlag, macht es einem doch das eigene Alter bewusst. Schlimmer noch: Mein erstes Live-Konzert der Hinterhof-Jungs erlebte ich erst vor einigen Jahren, als sie ausgerechnet zusammen mit den "Vorgängern" von New Kids On The Block tourten. Im Kopf hatte ich Bilder von kreischenden Teenie-Mädchen, Sanitätern im Dauerstress, Nick Carters wehendem, blondem Topfschnitt. Statt dessen waren alle Anwesenden so alt wie ich – Mitte dreißig aufwärts – und nutzten den Abend für eine kleine Reise zurück in die eigene Jugend.
Backstreet Boys heute: Etwas ernüchternd
Gekreischt wurde trotzdem, Spaß machte das alles auch, es war dennoch irgendwie ernüchternd. Die Männer mittleren Alters da auf der Bühne wirkten so gar nicht mehr wie die ultimativ begehrenswerten Posterboys der 90er, sondern eben wie Männer mittleren Alters. Denen das Leben nicht in jedem Fall gut mitgespielt hat. AJ haderte schon Mitte der 2000er mit Drogen und Alkohol, Nick Carter mit seiner zerrütteten Familie (er verlor seine Schwester und kürzlich auch seinen Bruder Aaron) und ebenfalls diversen Substanzen, Brian entpuppte sich als konservativer Christ und Trump-Fan.
Finanziell dürfte es den Fünfen eher mittelprächtig gehen, weil die Zeit, in der eine Boyband wirklich erfolgreich sein kann, logischerweise begrenzt ist. Die Backstreet Boys lösten sich 2003 vorerst auf, bis dahin standen sie unter der Fuchtel des später wegen Betrugs verurteilten Managers Lou Perlman, der sich einen stattlichen Anteil ihrer Einnahmen sicherte. Wieviel der Kohle von damals die Bandmitglieder heute noch haben? Unbekannt – aber die Tatsache, dass sie noch heute immer wieder auf Tour gehen, sagt wohl etwas darüber aus.
Die absoluten Superstars
Einst aber – einst hatten sie absolute Superhits: "I Want It That Way", "Everybody", "Quit Playing Games With My Heart". Schlimme Ohrwürmer, die in unseren Kinderzimmern in Dauerschleife liefen, während wir versuchten, die Choreografien aus den Musikvideos nachzutanzen. In der Schule wurde ausführlich darüber diskutiert, welcher Backstreet Boy der süßeste sei (eigentlich war es immer Nick) und wer stattdessen eher Caught In The Act oder Boyzone oder gar die KELLY FAMILY favorisierte, wurde skeptisch beäugt.
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In Deutschland war das Quintett der Inbegriff der Boyband und immer größer als die Konkurrenz von N'Sync – die in den USA weitaus beliebter waren. Dass Paris Hilton einst mit dem blonden Nick Carter knutschte, erschien deutschen Fans wie eine völlig logische Entwicklung, während die Amerikaner nicht fassen konnten, dass das Hyper-It-Girl sich mit einem solchen B-Star abgab.
Backstreet Boys als nostalgische Erinnerung
Vielleicht ist der heutige Blick auf die Boys auch deshalb etwas ernüchternd, weil man mit etwas Abstand erkennt, dass "Merci"-Schokolade halt doch eher öde ist. Und dass Mitglieder einer Boyband, so wie die coolen Kids in der neunten Klasse, einen frühen Zenit erleben, dem dann ein langsamer, langer und unschön mitanzusehender Abstieg folgt. Wie kann jemand, der für mein fünfzehnjähriges Ich der größte Star der Welt war, nun ein müder, gealterter Typ mit Geld- und Kokainproblemen sein? Ein normaler Mensch?
Aber: Eigentlich interessiert uns doch gar nicht, was die Backstreet Boys heute machen, oder? Sie sind als Teil unserer Jugend abgespeichert, ewig jung, fröhlich, tanzend und perfekt gestlyt. Sie sind eine unantastbare Erinnerung an Zeiten, in denen man sich in der Schule noch Zettelchen zuwarf, in Wolken aus "Vanilla Kisses"-Deo herumlief, Tattoo-Halsbänder trug und in Benni aus der Parallelklasse verliebt war, weil er so eine ähnliche Frisur hatte wie Nick Carter. Die echten Menschen hinter den Sängern haben doch nie wirklich interessiert. Aber dafür, wie sie uns durch diese wilden Zeiten begleitet haben damals, dafür werden wir eben immer dankbar sein.
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