Toronto- Hip Hop Legende Jazzy Jay hat gute Laune. Der 46-Jährige springt vom Sofa, zeigt ein paar Tanzschritte, dreht sich im Kreis, beweist, dass er das Breakdancen noch fast so beherrscht wie in den Siebzigern und lässt sich kehlig lachend wieder in die Kissen fallen. So also kann eine "Unterrichtsstunde" der "Red Bull Music Academy" (RBMA) aussehen und Jazzy Jay ist nur einer der vielen "„Lecturers", einer Art Musikdozenten, die sich innerhalb von vier Wochen in Kanadas größter Stadt Toronto versammeln. Wer Namen wie DJ Premier, Arthur Baker, Nottz, Randy Muller, Russell Elevado, Theo Parrish, Steve Spacek, Benji B oder Martyn Wave nun zum ersten Mal hört, braucht sich nicht zu fragen, ob er die letzten zwanzig Jahre im Musik-Exil verbrachte.
Bei der "Music Academy" treffen vor allem die Stars hinter den Stars aufeinander. Es sind Produzenten von Prominenten wie Snoop Dogg, Jay Z, den Beastie Boys, A Tribe Called Quest, Busta Rhymes, Kanye West oder Tina Turner. Und die Musiknerds verfolgen ein Ziel: den internationalen Austausch zwischen Musikern aller Stilrichtungen zu befeuern.
2600 Bewerbungen aus 72 Ländern
Für die sechzig Teilnehmer, den "Participants", geht es vor allem darum, Netzwerke zu knüpfen, Musik zu produzieren und Spaß zu haben. Und das scheint auch zu klappen. "Mit einigen Teilnehmern werde ich ganz sicher auch nach der Akademie noch weiterarbeiten", sagt Jacob Korn alias Granufunk. Er und Michael Wagmann alias Migumatix sind die einzigen Deutschen, die es in die Akademie schafften. Dieses Jahr bewarben sich 2600 Leute aus 72 Ländern. Innerhalb von vier Wochen, aufgeteilt in zwei Zeitabschnitte, werden die Auserwählten nach Toronto geflogen. Um aufgenommen zu werden, mussten sie eine Hörprobe einschicken und einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen. Warum die Bewerber Fragen beantworten sollten wie: "Wann hast Du das letzte Mal geweint?" oder "Was liegt neben Deinem Bett?", begründet Many Ameri, einer der Veranstalter, so: "Wir suchen individuelle Persönlichkeiten, die sich selbst nicht so wichtig nehmen."
Zentrum des Musikringelreihens: eine dreistöckige, ehemalige Lagerhalle im Bezirk Queen West. Auf der Straße sieht man Eichhörnchen auf Stromkabeln flitzen, Plattenläden reihen sich an Galerien und dünne Klamotten-Verkäuferinnen beginnen zu kreischen, sobald sie das Wort Berlin hören. Die Lagerhalle wurde aufwendig renoviert und erinnert mit all den weißen Computern, Kunstwerken, Architekten-Tischen und den lässig gekleideten, jungen Kreativen, die sich mit Fruchtspießen in Kissenecken fläzen, an eine Mischung aus Club, Werbeagentur und Loft-WG.
Man begegnet sich auf Augenhöhe
Hier also treffen die Teilnehmer auf ihre Künstler-Dozenten, in Wohnzimmeratmosphäre werden die "Lecturers" von einem der Tutoren aus dem Akademie-Team interviewt, zwischendurch spielen sie ihre Musik oder die, die ihnen irgendwann mal gefallen hat, und dazu wird mit dem Kopf genickt. Spannender ist, was nach den Vorträgen passiert. Wenn der Trompeter Ben Lamar in einem der Studios Unterstützung von Akademie-Tutor und Sänger Steve Spacek bekommt und die beiden sich nur mit Blicken verständigen oder wenn Jacob Korn, der seine Musik als "Moodyexperimentalhiphophousejazz" beschreibt, sich mit Ilari Larjosto, der 80er Jahre Elektropop produziert, zusammen setzt und man es regelrecht klicken hört zwischen beiden.
Überhaupt verschwimmen in den Studios oft die Grenzen zwischen Tutor, Dozent und Teilnehmer, man trifft sich auf Augenhöhe. "Die Netzwerke die sich hier bilden, das ist schon toll", sagt Ben Lamar. Und obwohl es ihn oft vom Produzieren eigener Stücke abhält und den Tag zerreist, gefällt Jacob Korn auch das Fachsimpeln mit den Tutoren. Etwa wenn der italienische Techno-Produzent und DJ Marco Passarani während des "Logic-Workshops" solche Fragen beantwortet: "Wie kann ich im Operator die Hüllkurve für die Frequenzmodulation automatisieren?"
Der Sponsor gibt sich bedeckt
Was das alles kostet, verrät Many Ameri nicht und auch über die Gerüchte, Red Bull wolle ein eigenes Label gründen, wird nichts erzählt. Wäre das der Fall, könnte die Akademie als Aufzuchtsstätte hauseigener Künstler verstanden werden. Bis dahin bleibt es einfach ein kluges Konzept, das Geld eines erfolgreichen Unternehmens sinnvoll einzusetzen. So skeptisch man Marketingveranstaltungen gegenüber sein muss, die Initiatoren treten dezent auf. In jedem Raum der Akademie steht ein kleiner Kühlschrank mit dem Energiegetränk, mehr Red Bull gibt es nicht. Entwickelt von drei Deutschen mit Sitz in Köln und München, führte die Veranstaltung nun schon zum zehnten Mal Musiker unterschiedlichster Stilrichtungen zusammen, jedes Jahr in einem anderen Land. Das Einzigartige ist die Unterschiedlichkeit der Teilnehmer: Soulsängerin Jennifer Dale trifft auf Minimal-Techno DJane Akiko Kiyama, Bassist Rio Hunuki-Hemopo auf Drum’n Bass Produzent Ken Chan Kin Hang, Stilbarrieren und Szeneklischees lösen sich bei der Zusammenarbeit in einem der sieben Musikstudios von selbst auf.
Nach der Studioarbeit wartet Toronto mit all den Clubs wie dem Supermarket, der Toi Bar, dem Kool Haus und anderen. Hier macht zwar alles schon um zwei Uhr nachts dicht und geraucht werden darf auch nirgendwo mehr, aber es gibt das Hotel, in dem die Akademie-Teilnehmer eine ganze Etage bewohnen. Irgendjemand steht hier immer hinter den Decks des "Gemeinschaftszimmers", irgendeiner hat auch immer Wodka im Zimmer und irgendwann fliegen überall Kissenfedern umher und ein mit echtem Pferdehaar geschmücktes, den Hotelflur zierendes Kunstwerk, muss als Rodeo-Bulle herhalten. Am nächsten Tag lauschen die Teilnehmer mit kleinen Augen Jazzy Jay, der nach seiner Tanzeinlage wieder sitzt und erzählt, wie schwer es war, Hip Hop ins Radio zu bringen und dass heute jeder Drogendealer denkt er sei auch ein guter Rapper. Das obligatorische Handyklingeln, die Sonnenbrille und die immer wiederkehrende, dahin genuschelte "Ya know what I’m saying"- Phrase bleibt bei manch einem Akademie-Gast nicht aus. Trotzdem wirkt hier alles authentisch, Musiker unter sich. Und das ist Segen und Fluch zugleich, denn beweisen muss sich hier niemand mehr.