Stellenweise hatte man in der Talkshow von Günther Jauch das Gefühl, einer Theaterinszenierung beizuwohnen, in denen der Namensgeber den allwissenden Erzähler verkörpert und seine Gäste wie Marionetten ins Rampenlicht zerrt oder kaltstellt. Jauch, dessen Thema selbstverständlich genau auf das Jubiläum des Mauerfalls zugeschnitten war, wollte die Zeitschiene von vor 25 Jahren nachzeichnen. Wer war wann wo? Die Rekonstruktion der Ereignisse gelang ihm mit Hilfe vom ehemaligen Oberstleutnant der DDR-Grenztruppen Harald Jäger, dem Schauspieler Jan Josef Liefers, dem Journalist Georg Mascolo, Berlins (noch) regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit und der als "die Frau vom Brandenburger Tor" bekannt gewordene Bärbel Reinke. Jauch achtete penibel darauf, dass nur der Gast zu Wort kam, der den Zeitverlauf in dieser Nacht vorantrieb. Dafür fiel er sowohl Wowereit als auch Liefers ins Wort, als die Anekdoten erzählen wollten, die nicht in Jauchs Erzählstrang passten.
Der Ex-Oberstleutnant öffnete an der Bornholmer Straße die Grenze, Jan Josef Liefers spielte Theater, kann sich aber "an das Stück nicht mehr erinnern", Georg Mascolo filmte mit seinem Kameramann erst an der Bornholmer Brücke und dann am Brandenburger Tor und traf dort auf Bärbel Reinke. Klaus Wowereit war mit Freunden essen und danach verliert sich seine Spur. Oder ist für Jauch einfach nicht mehr interessant.
Mauerfall lässt Menschen nicht los
Durchaus interessant gewesen wäre es aber, der Geschichte Bärbel Reinkes zu lauschen. Die war schon beim Einspieler über ihre Person sehr ergriffen. Damit ist klar, der Mauerfall lässt auch 25 Jahre später die Menschen nicht los.
Harald Jäger, der als "der Mann, der die Mauer öffnete" vorgestellt wurde, bleibt gelassen. "Was ging da in Ihnen vor", will Jauch wissen, als im Einspieler gezeigt wird, wie Tausende auf der Bornholmer Brücke die Öffnung zum Westen fordern. "Das kann man nicht in zwei Sätzen beschreiben" erwidert Jäger. Der Mann, das wird deutlich, hat sich mit seiner Rolle in der Geschichte lange und gut auseinander gesetzt, "zehn bis zwölf Jahre" habe das gedauert. Als die DDR auch durch seine Tat der Vergangenheit angehörte, war der ehemalige Oberstleutnant einsam. "In dieser Nacht bin ich wirklich verlassen worden", erklärt er.
Weltdokumentenerbe und Helmut Kohl
Richtig unsympathisch wird einem Günther Jauch in dem Moment, als er den Rentner mit "eigentlich sind Sie ein typischer Wendeverlierer" angreift. Der aber kontert überlegt, sein "persönliches Empfinden" sei nebensächlich.
Der Journalist Georg Mascolo, war als Erster am Grenzübergang Bornholmer Straße und lieferte die Bilder, die heute zum Weltdokumentenerbe zählen. So oft wie der aber das neue Buch von Helmut Kohl erwähnt, scheint er sein Geld mittlerweile als Autor für den Exkanzler zu verdienen. Mehrfach zitiert er den Altkanzler und dessen Sicht. Auf die Frage wieso nicht am 9. November der Tag der deutschen Einheit gefeiert wird, ergeht sich Mascolo minutenlang in Erklärungen Kohls, die alle dessen Büchlein entsprungen. Fakt ist, so der Journalist "wir sitzen heute hier am wahren Tag der deutschen Einheit." Kohl hatte schlicht nur schönes Wetter für diesem Feiertag gewünscht.
"Aufrichtig durchgehen und zurück"
Georg Mascolo hat noch heute Respekt für Harald Jäger, der für eine friedliche Stimmung sorgte. Am Brandenburger Tor war die Stimmung "sehr aggressiv". Das bekam auch Bärbel Reinke zu spüren, die an dem Wahrzeichen der Teilung in den Westen gehen wollte. Mascolo filmt ihren Appell an die Grenzbeamten, der die Rentnerin auch 25 Jahre später sehr berührt. Reinke hat sich damals, nachdem sie im Fernsehen die Pressekonferenz von Günter Schabowski gesehen hatte, auf den Weg nach Westberlin gemacht. Am Brandenburger Tor appelliert sie an die Grenzer. "Ich wollte aufrichtig da durchgehen und auch wieder zurück." "Immer", wenn sie diese Bilder von sich sieht, übermannen sie ihre Gefühle. Sie gibt aber auch zu "ich gehe selten durchs Brandenburger Tor, weil es immer noch etwas Besonderes ist." Der Rentnerin und auch dem Ex-Oberstleutnant hätte man gern weiter zugehört, sie verkörpern zwei Seiten einer Geschichte. Dafür hatte Günther Jauch aber keine Zeit.
DDR - ein Unrechtsstaat
Ob die Mauer nicht sowieso gefallen wäre, weil dem Staat die Gelder ausgegangen wären, will Jauch wissen. Wowereit greift ein, er findet "es gefährlich, wenn man die Lebensleistung vieler Menschen einfach so wegschiebt." Überhaupt ist Wowereit sehr klar in seinen Ansichten. Auf die ewige Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei, antwortet Berlins Regierender Bürgermeister sofort mit "Ja, was denn sonst?". Da sind sich alle Anwesenden einig, wenn manch einer auch in seinen Ausführungen viel mehr Worte braucht als Wowereit. Jan Josef Liefers äußert sich eloquent über die DDR und die letzten 25 Jahre. Für ihn gab es die DDR gleich dreimal. "Einmal, so wie sie war, einmal so wie die Presse sie schrieb und so, wie man sie sich gewünscht hat."
Auch wenn diese "Günther Jauch"-Sendung natürlich keinerlei neue Erkenntnisse gebracht hat, mehr Zeit um den verschiedenen Erlebnissen dieser Nacht zu lauschen, hätte man sich doch gewünscht. Und das ist für eine Jauch Sendung ja durchaus ein Lob.