"Markus Lanz" Gönn Dir! Wie Karl Lauterbach mal eben im Vorbeigehen die Stiko abwatscht

Von Sylvie-Sophie Schindler
Die Runde bei Markus Lanz
Corona und die Befindlichkeit der Ostdeutschen - das waren die Themen der Runde bei "Markus Lanz": Unter anderem war Karl Lauterbach (rechts) zu Gast
© Screenshot ZDF
Das Bashing gegen die Stiko will und will nicht aufhören. Auch Karl Lauterbach mischt mit. Hart ausgeteilt wurde auch gegen Ostdeutsche. Marco Wanderwitz, Ostbeauftragter der Regierung, bekräftigte seinen Vorwurf, ein erheblicher Teil habe rechtsradikale, nichtdemokratische Ansichten.

Dass Markus Lanz ausgerechnet an Karl Lauterbach die Frage stellte, ob der noch durchblicken würde, konnte nur rhetorisch gemeint sein, denn der scheint sich längst als Corona-Papst zu wähnen, und da ist die Unfehlbarkeit miteingepreist. Nichts gegen ein gesundes Selbstvertrauen, aber das hohe Ross, auf dem der SPD-Gesundheitspolitiker sitzt, ist nur schwer zu ertragen.

Von eben da ganz droben haute er am Donnerstagabend eine Abwertung nach der anderen gegen die Ständige Impfkommission (Stiko) raus, während der Moderator ihn daran erinnerte: "In der Stiko sitzt nicht irgendjemand, der Bratwurst verkauft." Ob Lanz nach dieser Aussage noch irgendwo eine Bratwurst bekommt, ist sein persönliches Problem. Indes hängt das Lauterbachsche Damoklesschwert über der Stiko. Dass die immer noch keine Empfehlung für die Impfung von Zwölf- bis Siebzehnjährigen ausgesprochen hat und auch keine zur dritten Impfung für Risikogruppen, missfiel ihm offensichtlich. Allein: Sie habe ja mal "erstklassige Arbeit" geleistet. "Ich bin sicher, dass die Stiko wieder zur vollen Blüte kommen wird", prognostizierte Lauterbach gönnerisch und machte damit klar, wo er das Gremium derzeit verortet. Lautes Lachen von Lanz. Nach dem Motto: Meint der Lauterbach das wirklich ernst? Doch, meinte er.

Die Gäste des Talks:

  • Karl Lauterbach, Politiker (SPD)
  • Lukas Rietzschel, Autor
  • Marco Wanderwitz, Ostbeauftragter der Bundesregierung (CDU)
  • Christiane Woopen, Ethikerin

Lanz war, wie auch in den vergangenen Sendungen, in guter Form und ließ nicht locker. Seine Schärfe gegenüber Lauterbach, den er bekanntermaßen schätzt, war ungewohnt, gleichwohl notwendig. "Heißt das, in der Gegenwart befinden wir die Stiko für schlecht, weil es nicht passt?", wandte er ein. "Die Politik ist immer der Stiko gefolgt, jetzt ist sie sozusagen wissenschaftlich fremdgegangen", so Lauterbach und verweist auf Wissenschaftler, die vor allem aus den USA kämen. Das bedeute demnach, so wiederum Lanz, man suche sich den Wissenschaftler, der einem in den Kram passt? Man habe, so nun Lauterbach, lange gewartet, aber nun beginne das Schuljahr, also seien Fakten geschaffen worden. Moment mal, von wem kommen diese Fakten? Ethikerin Christiane Woopen, die überhaupt als eine erfrischend scharfsinnige Beobachterin aufgefallen ist, wunderte sich offenkundig: "Warum wird das dann nicht so begründet, dass die Politiker sich auf andere Wissenschaftler berufen?" Überdies brauche es erstmal eine Begriffsklärung: Macht die Politik jetzt ein Angebot, oder hat sie eine Empfehlung rausgegeben? "Wenn die Aussage ist, wir machen ein Impfangebot an die Jugendlichen ab zwölf, dann ist das banal, weil es das längst schon gibt", so Woopen und verwies auf bald eine Million Geimpfte in dieser Altersgruppe. Gehe es hingegen um eine Empfehlung, dann grätsche die Politik die Stiko weg.

Wichtiger Unterschied. Lauterbach wollte sich darauf aber nicht einlassen. Sagte nur, es sei eine der "besten Nachrichten seit Wochen". Das Bundesgesundheitsministerium selbst sprach am Montag übrigens von einem flächendeckenden Angebot für die Jugendlichen, auch in regionalen Impfzentren. Ginge es nach Lauterbach müssten nun bald auch die Kinder ein Impfangebot bekommen. Die Delta-Variante mache ihm Sorge, denn sie führe bei 18 bis 25-Jährigen zu schwereren Verläufen. Dass es sich auch bei Kindern so entwickle, sei "plausibel". Also müsse man sie schützen. Woopen, offensichtlich die aktuellen Studien im Kopf, wonach Kinder sehr selten schwer an Covid-19 erkranken, reagierte mit Unverständnis: "Wovor sollen die geschützt werden, die Kinder, man fragt sich ja wirklich." Schützen würde man die Kinder durch ganz andere Maßnahmen, und da seien die Schulen leider nicht vorbereitet. Solle man etwa deshalb noch schnell impfen, weil die ihre Hausaufgaben nicht gemacht hätten?

Lauterbach ließ sich nicht beirren. Auch nicht in Bezug auf seine Einstellung, dass man zwischen Ungeimpften und Geimpften Unterschiede machen müsse. "Sonst würde passieren, was in Florida passiert, die alle gleichbehandeln, dann hätten wir viel zu tun in den Kliniken, der R-Wert liegt bei fünfeinhalb." Woopen wurde auch hier ihrer Rolle gerecht und warnte vor Diskriminierungen, die "unnötig" sind. Test sollten alle umsonst sein, es müsse für alle die gleichen Lebenschancen und die gleichen Freiheiten geben. Man dürfe zudem nicht die Gruppe der Genesenen vergessen, da gäbe es viele. Die Krux: "Ohne PCR-Test gelten sie nicht als genesen." Denn: Laut aktueller Verordnung der Bundesregierung gilt nur als genesen, wer ein mindestens 28 Tage zurückliegendes negatives PCR-Testergebnis nachweisen kann.

Nach Corona geht's nach "Dunkeldeutschland"

So ernst die Lage auch ist, je mehr man über Corona talkt, desto mehr wähnt man sich im La La Land. Harter Schnitt. Es geht nun nach "Dunkeldeutschland". So nannten Westdeutsche die DDR; der Begriff wurde abfällig gebraucht und entstand noch vor der Wende, als die Straßenbeleuchtung im Osten wesentlich spärlicher ausfiel. Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck verwandte den Begriff im Jahr 2015 in Bezug auf rechtsextreme Anschläge und Gewalt, was ihm damals allerdings vorgeworfen wurde, da ressentimentgeladen. Die Ressentiments gegenüber Menschen, die im Osten des Landes leben, sind leider immer noch da. "Wir dürfen die Ost-West-Narrative nicht mehr fortsetzen", meldete sich auch hier die besonnene Stimme von Woopen. Das sei eine zu erbringende "Kulturleistung". Inwiefern leistet Marco Wanderwitz, der Ostbeauftragte der Bundesregierung, dazu seinen Beitrag?

Bekannt sind seine Aussagen, Ostdeutsche seien "teilweise in einer Form diktatursozialisiert" und "auch nach 30 Jahren noch nicht in der Demokratie angekommen." Versöhnlich klingt das nicht. Auch bei Lanz bekräftigte er: "Wir haben es im Osten mit einem erheblichen Teil der Bevölkerung zu tun, der nicht gefestigte, rechtsradikale, nichtdemokratische Ansichten hat." Und setzte hinzu: "Ich spreche aus, was objektiv und evident ist." Heftiger Einspruch von Lukas Rietzschel. Der in Görlitz lebende Autor gilt als wichtige junge literarische Stimme aus Ostdeutschland. Man mache es sich zu einfach, Teile der ostdeutschen Bevölkerung auf ihre Diktaturerfahrung zu reduzieren. Eine Frage müsse beispielsweise sein, was waren die nicht erfüllten Versprechen. "Man muss diesen Menschen Angebote machen und sie nicht beschimpfen", so der Schriftsteller. Wanderwitz machte deutlich, dass jedes Bemühen seine Grenzen habe: "In der Politik werden Sie niemanden finden, der zum Seelsorger für harte Rechtsradikale wird."

Impfgegner sind in ganz Deutschland zu Hause – nicht nur im Osten

Es gebe, so Wanderwitz weiter, ein sichtbares Ost-West- und Nord-Süd- Gefälle bei den impfzahlen: "Das steht in Korrelation mit den Wahlergebnissen der AfD". Denn in keiner anderen Partei werde das Impfen derart rigoros abgelehnt. Rietzschel sprach von einer vereinfachten Darstellung und klagte: "Jetzt wird anhand der Impfquote wieder geschaut, wo im Osten der Schuh drückt, nur weil vier Länder im Osten beim Impfen hinten dran sind." Das Problem, Leute davon zu überzeugen, sich impfen zu lassen, gebe es in ganz Deutschland. Er verwies auf die Corona-Demos in Stuttgart: "Warum fragt man nicht, wo ist das Problem bei den Baden-Württembergern, warum schaut man nicht, was ist in den Köpfen im Westen komisch?" Wo er Recht hat, hat er Recht: Mit Selbstreflexion kommt man immer weiter als mit permanenten Schuldzuweisungen.

Und was ist eigentlich los im Kopf von Hans-Georg Maaßen? Was sagt Wanderwitz zu seinem Parteikollegen, der in Südthüringen für den Bundestag kandidiert? "Maaßen ist ein unverdächtiger, klarer Demokrat", befand Wanderwitz. Er sagte aber auch, dass er es für einen Fehler halte, ihn aufgestellt zu haben. Ob er Maaßen denn wählen würde, fragte Lanz. "Wir sind ziemlich breit aufgestellt", wich Wanderwitz aus. Was das wohl heiße, so Lanz weiter, wenn ein CDU-Politiker nicht einen anderen CDU-Politiker wählen könne?

Gute Frage. Nun aber ist erstmal zwei Wochen Schluss mit den Fragen: der Moderator macht Sommerpause. Und setzt die Talkerei am Dienstag, 24. August wieder fort.

kng

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