Nach 20 Minuten blitzt auf, was diese Serie in den kommenden Folgen werden könnte: Die aufstrebende Reporterin Bradley Jackson (Reese Witherspoon) ist live im US-Frühstücksfernsehen "The Morning Show" zu Gast. Genervt von der jungen Kollegin, lässt Starmoderatorin Alex Levy (Jennifer Aniston) sie auflaufen. Vor laufender Kamera versucht sie, Jackson mit ihren Fragen zu diskreditieren und ihre Eignung als Journalistin anzuzweifeln. Böse. Arrogant. Dominant. Doch die Reporterin aus den Südstaaten wehrt sich. Es kommt zum Showdown: Levy als neue Carrie Underwood, die machtbewusste Präsidentengattin in "House of Cards", Jackson als eine Art Daenerys Targaryen, die rebellische Drachenkönigin aus "Game of Thrones". Ein Catfight zweier starker Frauen. In den Hauptrollen: Jennifer Aniston und Reese Witherspoon. Das klingt nach einem Serienhit. Doch wie gut ist die neue Apple-Serie wirklich?
Am Freitag ist der neue Streamingdienst "Apple TV+" des kalifornischen Tech- und Handyriesen gestartet. Für 4,99 Euro im Montag gibt es neuen Stoff für Serienjunkies. Denn anders als andere Streaminganbieter kann Apple sich rühmen, nur neue und eigen Produktionen in Auftrag geben zu haben. Mehr als 30 US-Stars hat das Unternehmen verpflichtet. Bereits im März waren die neuen Serien mit großem Brimborium im Steve-Jobs-Theater in Cupertino vorgestellt worden. Jetzt sind die ersten Serien online. Darunter die Dramaserie "See", die Science-Fiction-Serie "For All Mankind", die Comedy-Serie "Dickinson" und Apples Prestigeobjekt: "The Morning Show".
Darum geht es in der neuen Apple-Serie "The Morning Show"
Alex Levy und Mitch Kessler (Steve Carell) sind die Starmoderatoren des US-Frühstücksfernsehens "The Morning Show". 15 Jahre machen sie die die Show mit großem Erfolg, bis Levy eines morgens den Zuschauern erklären muss, dass ihr Kollege wegen sexueller Belästigung vom Sender gefeuert wurde. Während Kessler um seinen Ruf und seine Existenz kämpft, gerät auch Levy unter Druck. Senderchef Cory Ellison (Billy Crudup) will auch sie ersetzen ("Die Zuschauer wollen keine Witwe sehen") und protegiert die junge und wilde Reporterin Bradley Jackson. Ein Macht- und Intrigenspiel beginnt.
Von der neuen Serie hat Apple noch vor der Veröffentlichung eine zweite Staffel bestellt. Entsprechend hoch sind die Erwartungen, vor allem dank der Starbesetzung Aniston und Witherspoon. Die ersten Kritiken in den USA fielen allerdings verhalten aus. Von einer "vertanen Chancen" spricht das Magazin "Variety" und wirft der Show vor, zu oberflächlich zu sein. Apple entwickle die Charaktere nicht zu Ende, so der Vorwurf. Allerdings konnten auch die Kritiker von "Varietey" bislang nur die ersten drei Folgen sehen.
Aniston-Witherspoon sind ein Dreamteam
Lohnt sich "The Morning Show" also nicht? Auch der stern hat die ersten drei Folgen bereits gesehen. Die neue Apple-Serie kommt schnell auf den Punkt. Es gibt kaum eine andere Show, die den Zuschauer unkomplizierter in den Plot einführt und trotzdem Spannung hält. Das liegt vor allem an der herausragenden Leistung von Jennifer Aniston. Ihr ist die Rolle der genervten und angespannten Nachrichtenlady wie auf den Leib geschneidert. Einzig ein paar Gesten, - eine typische Mundbewegund, ein sich wiederholender abwertender Blick - fehlen ihr, um zur ikonischen Bösewichtin im Stile von Miranda Priestly ("Der Teufel trägt Prada") zu werden. Auch Witherspoon als Rebellin gefällt. Mit breitem Südstaaten-Akzent ruft sie nicht nur Männer zur Räson, sondern lässt sich auch von ihrer Konkurrentin nichts bieten. Aniston-Witherspoon sind ein Dreamteam.
"The Morning Show" wirkt sehr amerikanisch. Das liegt nicht nur an den Frisuren (ja, US-Moderatorinnen tragen noch immer gerne toupiert), sondern vor allem am Thema. Das Frühstücksfernsehen ist eine amerikanische Institution. Millionen Menschen schalten morgens die Nachrichtenshows der verschiedenen Sender ein. Das Frühstücksfernsehen ist das amerikanische "Wetten, dass ..?", eine Show eben, während es in Deutschland mehr Nachrichtensendung ist.
Der Kick fehlt
Doch das Drehbuch hat Schwächen. Zu vorhersehbar ist die Handlung am Anfang. Erst am Ende der zweiten Folge kommt es zu einer echten Überraschung, bis dahin passiert genau das, was der Zuschauer ohnehin schon ahnt. Das geschieht zwar durchaus unterhaltsam, doch etwas mehr Raffinesse hätte dem Plot gut getan. Vor allem ein Bösewicht fehlt. Denn mit dem geschassten Anchorman Mitch Kessler hat man als Zuschauer bald eher Mitleid: armer schwanzgesteuerter Trottel. Der Kick fehlt.
Brutal wie "Fargo", anzüglich wie "Sex Education" oder schockierend wie "American Crime Story" – all das kann und will Apple nicht sein. Der Streamingdienst will getreu der Firmenphilosophie massentaugliche Familienunterhaltung liefern. Trotzdem greift "The Morning Show" die #MeToo-Debatte auf und hinterfragt den Wert von Journalismus und die Mechanismen im Nachrichtengeschäft. Ein aktuellerer Serien-Plot dürfte bei der Konkurrenz von Netflix und Amazon derzeit nicht zu finden sein. "Friends"-Fans werden "The Morning Show" dank Aniston ohnehin lieben. Für alle anderen ist es intelligente Unterhaltung mit Instant Appeal - und zwei brillanten Hauptdarstellerinnen.