Was für eine Show namens Politik! So etwas gibt es nicht im deutschen Fernsehen: Der "situation room" von CNN ist eine Zauberwelt für sich. Zunächst einmal haben alle Menschen, die da herumwuseln, großartige Funktionsbezeichnungen, mindestens "Senior White House correspondent" oder so ähnlich. Ein weißhaariger Anchorman, Wolf Blitzer, die Seriosität in Person, führt durchs Programm und bewegt sich souverän von Station zu Station.
Wie auf der Stange sitzt da - zweireihig sortiert - eine muntere Schar von Analysten: Die Dame sagt gerade, Hillary sei es noch immer nicht ausreichend gelungen, "to humanize herself" (sich menschlich darzustellen). Der alte Haudegen Bob Woodward macht deutlich, dass er solche Taktiken ohnehin durchschauen wird. Ein Afro-Amerikaner betont, wie sehr Obama die Jugend mobilisiere. Ein Rechter gibt zu bedenken, wie "links" die Rede von Hillary Clinton gewesen sei. Das alles geht Schlag auf Schlag, ein bisschen Stammtisch ist dabei, ein bisschen Herablassung, eine dezente Mischung aus Durchblick und leichtem Zynismus.
Silberhaar und dramatisches Timbre
Im Minutentakt werden die Zuschauer mit Trailern traktiert - und allenthalben versichert der Herr mit Silberhaar und dramatischem Timbre in der Stimme, dass wir es hier mit dem "besten politischen Team im Fernsehen" zu tun haben. Im US-Vorwahlkampf bewährt es sich. Noch nie ist Politik so perfekt als Show inszeniert worden. Aber das Zusehen macht Spaß. Die Schaltkonferenzen funktionieren, im Studio läuft keine Kabelhilfe durchs Bild. CNN hat fast immer als erstes die Zahlen aus den Wahllokalen, ist pünktlich dabei, wenn die Kandidaten ihre Dankesreden halten und verwurstet jede Kleinigkeit zum Politikum:
Zur Person
Bernd Gäbler, geboren 1953 in Velbert/Rheinland, ist Publizist und Dozent für Journalistik. Er studierte Soziologie, Politologie, Geschichte und Pädagogik in Marburg. Bis 1997 arbeitete er beim WDR (u.a. "ZAK"), beim Hessischen Rundfunk ("Dienstags – das starke Stück der Woche"), bei Vox ("Sports-TV"), bei Sat.1 ("Schreinemakers live", "No Sports"), beim ARD-Presseclub und in der Fernseh-Chefredaktion des Hessischen Rundfunks. Bis zur Einstellung des Magazins leitete er das Medienressort der "Woche". Von 2001 bis Ende 2004 fungierte er als Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts in Marl.
Ob das Hillarys Tränchen sind, ihre Beraterin, die gefeuert wird, weil sie Obamas Wahlerfolge auf dessen Hautfarbe zurückführte, die Tatsache, dass die Ex-Außenministerin Madelaine Albright neuerdings auf Wahlkampf-Bildern nicht mehr hinter Hillary Clinton steht, sondern dort junge Leute platziert werden, oder Obamas Wirtschaftsberater, der in Kanada versicherte, man solle doch die Polemiken des Kandidaten gegen das Nordamerikanische Freihandelsabkommen auf keinen Fall ernst nehmen.
CNN ist stets auf Ballhöhe. Man kann den Eindruck gewinnen, dass das nicht alles wirklich Politik ist und vor lauter Aufregung und Kleinkram größere Linien und Fragestellungen gelegentlich verloren gehen. Aber es entsteht die Illusion einer unglaublichen Ereignis-Nähe, wie wir sie aus unserem Fernsehen kaum kennen.
Einsichten?
Geht bei so viel Show und Inszenierung, Technik und Geschwindigkeit die eigentliche politische Information also über Bord? Nicht ganz. Wer mehrmals die Dankesreden von Barack Obama nach Wahlerfolgen und auch nach Niederlagen miterlebt hat, kann das Charisma nachfühlen. Zugleich ist da auch eine Desillusionierung. Die Worte vom Neubeginn und völlig anderem politischen Stil, vom Wandel, an den man glauben kann, und Hoffnung sind doch arg allgemein - kann man so wolkig eine Präsidentschaftswahl bestehen?
Verblüfft sein wird auch, wer einmal einer Rede von Hillary Clinton länger zugehört hat. In Ohio zum Beispiel sprach sie mindestens wie Frank Bsirske, wenn nicht gar wie Oskar Lafontaine: Sie versprach Arbeiterrechte, wetterte gegen die Monopole, wendete sich an die hart Arbeitenden, die dennoch keine Chance zum sozialen Aufstieg hätten. Zu Bildung und Gesundheit entwickelte sie ein Programm, das man fast demokratisch-sozialistisch nennen könnte. So etwas bekommt man in den Berichten der hiesigen Korrespondenten nicht mit.
Show und Inszenierung gehören zur Politik in den US-Vorwahlen. Die CNN-Darbietung der Politik reproduziert dies, ja steigert den Eindruck noch. Zugleich erfahren wir aber auch vieles, was uns sonst entgehen würde - nicht zuletzt eine gerade die Jugend bewegende Mobilisierung an der Basis.
Zauberhand vor Zauberwand
Der absolute Clou der CNN-Politshow aber ist die Zauberwand. Vor dieser "magic wall", ein gigantischer interaktiver Touch-Screen, redet und hantiert John King, der natürlich auch irgendwelche Chefkorrespondenten-Titel trägt. Gerade noch sahen wir eine Karte der USA, flink fingert er daraus eine Vergrößerung Ohios hervor, markiert mal eben, welche Bezirke schon ausgezählt sind, schaut manche Gegenden näher an, weil er zum Beispiel weiß, wo das Uni-Viertel liegt und dass dort mit vielen Stimmen für Obama zu rechnen ist und zeigt dann die Auswirkung unterschiedlicher potentieller Wahlergebnisse auf die Delegiertenzahl. Dann drückt er ein bisschen auf der Wand herum, fingert mit beiden Händen, schon erscheint ein Tortendiagramm - wieder zeigt er ein paar mögliche Entwicklungen.
Und bei uns?
So einen Zauber hat es noch nie gegeben. Zahlen und Statistiken werden lebendig. Das funktioniert nur, weil sich der Mann vor der Wand auskennt. Er hat die Landstriche und Städte mitsamt ihrer soziodemographische Daten präsent und formuliert mitten im Fluss der Daten stehend die richtigen Fragen. Die Technik bedient er fast beiläufig - um so faszinierender ist die Wirkung.
Wie unfassbar bieder wirkt es dagegen bei uns, wenn Peter Hahne doziert, der arme Jörg Schönenborn bemüht ist, die Zahlenreihen akkurat kund zu tun oder die Landesreporter brav die aufgereihte Phalanx der Spitzenkandidaten befragen - vielleicht hat das Interesse an der Politik ganz entfernt ja doch etwas mit der Art ihrer Präsentation zu tun?