Mini-Serie "Top of the Lake" Kindersex im Naturidyll

Ein Mädchen verschwindet zuerst in eisigen Fluten und dann in den Tiefen der Wälder. Das Meisterwerk von Oscar-Preisträgerin Jane Campion ist eine Art "Twin Peaks" aus Frauensicht und läuft auf Arte.

Jane Campion ("Das Piano") nimmt den Zuschauer mit in die Reise in die grandiose Natur Neuseelands und in die Abgründe der Seelen. In der Mini-Serie "Top of the Lake", die Arte an zwei Donnerstagen sendet, geht es um Tui (Jacqueline Joe), ein junges Mädchen, das erst in einem eisigen See und dann in der Natur verschwindet. Offenbar ist die Zwölfjährige schwanger. Nur von wem, das ist die Frage? Wirklich an der Aufklärung interessiert ist allein Robin Griffin, eine auf Missbrauchsfälle spezialisierte Großstadtpolizistin. Sie wird gespielt von "Mad Men"-Star Elisabeth Moss und ist auf Besuch in der Heimat ihrer Jugend. Ruppig, unnahbar und gefühlskalt will Griffin ein Verbrechen aufklären, das sich am Ende ganz anders ereignet hat, als sie zunächst vermutet.

Ihre Spuren führen nicht zu der Verschwundenen, doch stoßen sie überall auf eine Welt des Verbrechens. Der Zuschauer muss sich dem Sog der Verfilmung überlassen. Krimifans, die Wert auf Realismus legen und erwarten, dass die Auflösung des Verbrechens alle Momente der Handlung wie ein Puzzle zusammenfügt, werden am Ende nur entsetzt den Kopf schütteln. "Top of the Lake" entwirft eine Verbrechenskulisse zauberhaft wie ein böses Märchen.

Im Konflikt um ein idyllisches Seegrundstück stehen sich zwei Welten gegenüber. Die Männerwelt von Tuis Vater und eine esoterische Gruppe von Aussteigerinnen. Der Vater ist die Verkörperung des bösen Hinterwäldlers. Verstrickt in schmierige Gundstücksdeals und Drogengeschäfte herrscht er mit animalischer Gewalt über Familie und Gegend. Peter Mullan brilliert in einer Rolle, die das Tier im Menschen zeigt. Zunächst vermutet man, der irre Patriach habe tatsächlich seine eigene zwölfjährige Tochter geschwängert. Doch schnell mehren sich die Zweifel.

Das Frauencamp zeigt - wenig erstaunlich - eine Welt des Friedens und der esoterischen Sinnsuche. Zum Glück artet es nicht in eine handzahme Mona-Lisa-Wohlfühlversion aus. Die Frauen hausen in abgewrackten Containern, mit denen sie den schönen See verschandeln, sind teilweise mächtig neben der Spur und die Weisheiten des weiblichen Gurus, gespielt von Holly Hunter, wirken eher verstörend als erhellend. Zwischen diesen Lagern entspinnt sich die Suche nach dem Mädchen, die sich bald in eine Jagd verwandelt.

Gerade weil nicht alles aufgeht oder sich so entwickelt wie erwartet, bannt die Mini-Serie ihre Zuschauer. Der hypnotische Reiz der Verfilmung resultiert aus Inszenierung, den grandiosen Schauspielern und der überwältigenden Natur - allerdings nicht aus der Story. Hier werden alte Kamellen nur genial neu aufbereitet. Die am Ende aufgedeckte Geschichte der mysteriösen Schwangerschaft bedient alle Klischees, mit denen Thriller von Chabrol bis zu "Twin Peaks" die Abgründe von Kleinstädtern ausschmücken. Hier ergeht es der Serie wie vielen Krimis: Es ist schon ein bisschen sehr viel Verbrechen für so einen kleinen Ort.

Aber das hat bei "Twin Peaks" auch schon nicht gestört. Campions Verbeugungen vor Davids Lynch Meisterwerk sind nicht zu übersehen. Doch wo Lynch seine Charaktere ins Absurde steigert und seine Handlung nur durch übernatürliche Mächte erklärt werden kann, bleibt Campion dann doch auf dem Waldboden der Tatsachen. Und das enttäuscht: Überall raunt das Übersinnliche in der grandiosen Natur, um am Ende in einer "böse, weiße Männer"-Story überhaupt keine Bedeutung zu bekommen. Die Spannung wird dadurch nicht getrübt, nur für einen Klassiker reicht es nicht.

Arte zeigt "Top of the Lake" am 7. und 14. November jeweils ab 20.15 Uhr.

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