Track 1 – F*** the police/ Copa Cabana Vol. I
"Ich verhafte dich jetzt", sagt der Polizist, und meine Knie fangen an zu zittern. Er hält mir Handschellen vor das Gesicht, was mich erst mal wieder beruhigt. Die Handschellen sehen aus wie eine Western-Requisite vom Vintage-Flohmarkt, und wenn er mich wirklich verhaften wollte, würde er mir die Handschellen wohl nicht vors Gesicht halten. Und so sage ich zum Polizisten: "Nö."
Wir stehen an der Hafenpromenade von Maputo, der Hauptstadt Mosambiks. Das Meer riecht nach Salz, Schiffsöl und Harnsäure. Wir, das sind drei weiße Idioten, die um drei Uhr nachts auf ein Segelschiff sprangen, von der Reling pinkelten und danach betrunken die Straße entlangstolperten. Wäre ich Polizist, ich hätte uns angehalten. Die Polizisten durchsuchen unsere Taschen, öffnen unsere Portemonnaies, überprüfen Anzahl und Farbe von Kreditkarten und Geldscheinen. Der Chief fragt nach unseren Pässen, und ich halte ihm meinen Perso mit dem bundesdeutschen Adler hin. Manchmal wünsche ich mir, dass der blasse Adler ein bisschen furchteinflößender aussehen würde. Die mosambikanische Flagge zeigt immerhin eine AK-47. Der Chief will aber meinen Pass, nicht meinen Perso und fühlt sich beleidigt. Die anderen Polizisten schieben mich zu ihrem Pick-up. Buddy von der Band und der Fotograf zerren von der anderen Seite an mir und verhandeln meine Freilassung. Buddy fragt, ob Beleidigung ein Verbrechen sei und wenn ja, wo das in der mosambikanischen Verfassung stünde. Der Fotograf holt sein Handy raus und sagt, er rufe jetzt die Botschaft an. Der Chief scheint plötzlich ein bisschen überfordert mit der Situation, dann sagt er: "Buy me some beer and you are okay." Ich bin wieder frei. Ein guter Moment, sich zu fragen, wie es dazu kam.
Interlude
Ich bin auf Tour durch Afrika mit der Berliner Band Symbiz. Eine Woche lang touren der Sänger Zhi, der Beat-Produzent Buddy, ein Fotograf und ich durch Tansania und Mosambik. Bei einer Tour mit Musikern hat man ja gewisse Vorstellungen: Drogen, Groupies, Streit in der Band. Nachdem ich eine Woche mit ihnen verbracht habe, weiß ich: Fast alle davon stimmen. Wir tanzen zu Reggae die Nächte durch, verlieren unser Gehör, probieren exotische Drogen, leiden an Durchfall, versacken im Stripclub. Ich werde Teil der Band, ich werde ihr Manager, ich erlebe, wie die Band an dem Tour-Leben zweifelt. Ich habe den Jungs ein Mixtape geschrieben: halb Reportage, halb Album, eine Liebeserklärung in elfeinhalb Songs.
Track 2 – Rock ’n’ Roll is dead
Es beginnt, wie es endet. Mit Flughafen, Kater und Ibuprofen. Ich treffe Buddy und Zhi um sieben Uhr morgens am Gate in Amsterdam. Buddy ist 34 und der Kopf der Band. Eigentlich heißt er Sebastian, seine Mutter ist Koreanerin, er hat neun Jahre lang Geige gespielt, bis er sich Dreadlocks wachsen ließ und eine Punkband gründete. Was aber nicht darüber hinwegtäuscht, dass er wie ich eine ziemliche Kartoffel ist.
Zhi ist 37, hat ein rundliches Gesicht, ist geboren in Berlin-Neukölln als Sohn vietnamesischer Eltern. Er trägt Sonnenbrille und ein schwarzes Oversize-Shirt. Die ersten Tage lang kann er sich meinen Namen nicht merken und nennt mich Dirk statt Freddy. Wir warten auf das Boarding, und ich rede mit Buddy über das erste Konzert in Tansania. Das Goethe-Institut organisiert und bezahlt die Tournee, und Buddy und ich sind uns einig, dass das Goethe-Institut nicht gerade für Rock ’n’ Roll steht. Vor den Konzerten soll die Band Workshops mit lokalen Künstlern veranstalten.
Mit Symbiz durch Ostafrika: Eine Tour wie ein Junggesellenabschied

Ich rieche schon die frisch kopierten Handouts und das Mückenspray von so einer NGO-Nora in Batikhose. Wir prophezeien, dass die Tour wahrscheinlich eher ruhig wird.
Track 3 – The first Kath is the deepest
24 Stunden später ruckeln wir in einem Toyota-Bus über eine Sandstraße in Daressalam. Vorbei an Wellblechhütten und Frauen, die im Dunkel der Nacht Fleischspieße am Straßenrand grillen. Die Fenster stehen offen, die schwüle Luft zieht durchs Auto und mischt sich mit unserem Zigarettenqualm. Reggae pumpt aus dem Autoradio. Zhi sagt: "Eigentlich hatte ich keinen Bock auf Afrika, aber dann haut’s einen einfach wieder um." Zhi und Buddy haben am Nachmittag in einem Workshop mit ein paar lokalen Künstlern gefreestylt und dann beschlossen, mit unseren neuen Freunden feiern zu gehen. Jetzt stehen wir in einem Reggae-Club mitten im Slum. Palmen ragen über die Club-Mauer, auf der Bühne spielt eine Band schnelle, fast epileptische Tanzmusik, und die Luft riecht, als würde jemand in der Nähe Autoreifen verbrennen. Wir stehen auf der Tanzfläche und stecken uns bittere Zweige in den Mund. Kath, eine in Ostafrika verbreitete Droge. Wenn man lange genug darauf herumkaut, machen sie wach und euphorisch. Ich fühle mich so, als hätte ich fünf Espresso getrunken, zappele mit Armen und Bein zu der Musik. Mein Ohr schmerzt, die Boxen sind voll aufgedreht. Buddy sagt, dass man eigentlich hier ein Konzert spielen sollte und nicht im Kulturzentrum. Ich verstehe ihn nur halb. Ich sehe, dass Buddy Ohropax trägt. Ich finde das übertrieben. Dann beginnt mein Ohr zu piepen. Ich bin angekommen.
Track 4 – Mishkaki-King
Fünf Uhr nachts. Das Erste, was ich über Zhi lerne: Er braucht ständig Snacks. Er kauft Erdnüsse am Straßenrand, Trockenfleisch, Doritos-Chips, Avocados. Nach dem Feiern essen wir Omelett mit Pommes in einem Straßenimbiss, eine dicke Frau bringt Fleischspieße, die sie hier Mishkaki nennen. Wir sitzen in Plastikstühlen und lecken uns das Hähnchenfett von den Fingern. Zhi fragt nach einem Nachschlag. Buddy sagt: "Genau deswegen machen wir das. Feiern im Slum und dann nachts Hähnchen mit den Händen essen. So etwas erlebt der Otto-Normaldeutsche einfach nicht!" Ich bitte ihn, das zu wiederholen. Ich höre nur noch auf einem Ohr.
Track 5 – One night in Hong Kong
Die meisten Bands werden berühmt und spielen dann Welttourneen. Symbiz spielen nur Welttourneen – ohne berühmt zu sein. Ihr erfolgreichster Track hat 45.000 Klicks auf Spotify, in Deutschland spielen sie meist nur ein paar Shows im Jahr. Aber vor ein paar Jahren lud ein Freund sie ein, in St. Petersburg zu spielen. Das war der Tag, an dem ihr Leben als Musiknomaden begann. Buddy sagt: "Wenn man im Ausland spielt, lernt man sofort neue Leute kennen, die neue Gigs vermitteln." Sie spielten Festivals und Konzerte in Indien, Spanien, Uganda, China. Mal wurden nur ihre Flüge bezahlt, mal bekamen sie ein paar Hundert Dollar Gage. In Hongkong ließ sich Zhi Gewehrkugeln auf die Handgelenke tätowieren, die etwas zu breit gerieten und wie Penisse aussehen. Zhi nennt sie "meine kleinen Hongkong-Pimmel".
Buddy lernte bei einem Konzert in Venezuela ein Mädchen kennen, das er später heiratete. Der Bürgermeister von Ramallah im Westjordanland überreichte ihnen eine Ehrenmedaille der Stadt. Darauf stand falsch eingraviert "SymBLITZ". Sie können von ihren Gigs einigermaßen leben. Zhi spielt nebenbei noch in einer anderen Band, Buddy baut Beats für eine Werbeagentur. "Wie lange wollt ihr das so weitermachen?", frage ich sie. "So lange, wie wir können", sagt Buddy. "Werdet ihr je berühmt?" – "Nein", sagen sie beide gleichzeitig.
Track 6 – The burning tree of fire
Buddy und ich sitzen unter einem Baum und trinken Bier. Noch drei Stunden bis zum Konzert. Buddy lehnt sich an den Stamm und erzählt von seinem schlimmsten Auftritt: Der war in Deutschland auf "so einem Ruhr-Festival", sagt er. Sie spielten für 250 Verwaltungsangestellte der Stadt Herne auf einem Boot, das über den Kanal schipperte. Die Leute aßen Kartoffelsalat und tranken Weißbier. Buddy: "Wir hatten keinen Bock auf die, die keinen Bock auf uns. Irgendwann fragte jemand: Könnt ihr nicht Depeche Mode spielen?" Plötzlich springt er auf. "Fuck, irgendwas hat mich gebissen." Er zieht eine rote Ameise von seinem Arm. Der Kopf reißt ab und bleibt in der Haut stecken. Über seinen ganzen Rücken krabbeln Ameisen. Er hat sich zu lange an den Baumstamm gelehnt. Er zieht sein T-Shirt über den Kopf, wirbelt es in der Luft. Ich wische ihm die Ameisen vom Rücken. Buddy schreit: "Fuck, die sind auch in der Hose." Davor muss man sich an der Ruhr wohl nicht fürchten.
Track 7 – Yeeruh!
Man hört der Musik von Symbiz an, dass sie die Welt gesehen haben: eine Mischung aus Krawall-Reggae, Dubstep, ve- nezolanischen Vibes, südafrikanischem Chorgesang. Zhi singt auf Kantonesisch, rappt jamaikanischen Patois-Slang.
Das Konzert beginnt. Palmen, strömender Regen, tansanische Regenzeit, eine überdachte Bühne, Boxentürme. 200 Leute sind gekommen, weiße Freiwillige, Schwarze in engen Jeans. Buddy schlägt auf die Drumpads, Zhi fängt an zu rappen. Das Publikum weiß kurz nicht, wie es tanzen soll, aber als der Bass droppt, springen sie auf und ab. Eine Frau wirbelt ihre Dreadlocks in der Luft, ein kleiner Junge breakdanct auf dem Betonboden. Buddy zieht sein T-Shirt aus, und seine Haut dampft. Er klettert auf den Boxenturm und springt herunter. "Make some fucking noise, Daressalam", ruft Zhi, als würde er in einem Stadion vor zehntausend Leuten spielen. Als alles vorbei ist, sagt Buddy: "Unsere Musik hat keinen Namen sondern nur einen Zweck: Energie." Er dampft immer noch.

Videocredit: Geofrey Mwangalika
Track 8 – Symbiz killed the radio star
Wir sind in Mosambik. Wir sollen ins Fernsehen. Wir sind zu spät. Eigentlich sollten Symbiz ein Livekonzert im Lokalfernsehen spielen, aber wir kommen eine Stunde zu spät, weil wir in der Nacht zuvor feiern waren. Ich bin schon längst kein neutraler Beobachter mehr, sondern eher so eine Art Manager der Band geworden. Ich wecke die Jungs, entschuldige mich tausendmal beim Programmdirektor für die Verspätung. Egal, jetzt dürfen sie am Ende der Livesendung noch kurz ein Interview geben. Sie sitzen auf dem Sofa in so einem alten Sowjetstudio aus Mosambiks sozialistischer Zeit. Die Kameras sehen tatsächlich so aus, als seien sie noch aus den Achtzigern. Der Moderator sagt: "Please welcome the band Symz." Buddy korrigiert ihn, der Name sei Symbiz. Der Moderator nickt. "Why are you playing in Mozambique?", fragt er. Man sei eingeladen worden, sagt Buddy. Zhi hat seinen Arm aufs Sofa gestützt und sagt nichts. Seine Augen schließen sich kurz. Nach zehn Minuten Interview sagt der Moderator: "Thank you Symz for being here." Zhi sagt: "Boah, das war echt das langweiligste Interview aller Zeiten." Ich frage: "Hast du gerade im mosambikanischen Fernsehen gepennt?" Zhi: "Beinahe." Ich glaube ich kündige meinen Job als Manager.
Track 9 – Ain’t no sunshine when dad is gone
Wir sitzen am Pool des Hotels. Das Wasser schwappt sachte gegen den Beckenrand. Die Nacht scheint endlos. Buddy sitzt am Laptop und mischt einen Song ab. "Zhi, ich habe gerade eine Mail bekommen", sagt er. "Wollen wir im Herbst auf einem Festival in Uganda spielen? Die zahlen die Flüge aber keine Gage." "Ne", sagt Zhi. "Warum ne?", fragt Buddy. "Weil ich eine Familie habe, vielleicht? Ich sehe mein Kind fast nicht mehr." Zhi hat einen vierjährigen Sohn. Auf seinem Handyhintergrund sehe ich einen kleinen Jungen mit Topfhaarschnitt. Buddy schweigt. Später, als Zhi schläft, sagt Buddy zu mir: "Ich wollte vorhin einfach nur zu Zhi sagen: Fuck you. Das ist doch unser Ding, um die Welt reisen. Aber irgendwie habe ich ihn verstanden." Auch Musiknomaden sehnen sich manchmal nach einem Zuhause.
Track 10 – F*** the police/ Copa Capana Vol. 2
Während Zhi pennt, sind Buddy, der Fotograf und ich betrunken die Hafenmeile entlanggelaufen, und die Polizei wollte mich festnehmen. Aber der Chief akzeptiert Bier statt Bestechungsgeld. Er schickt uns einen jungen Polizisten mit, der den Bier-Kauf überwachen soll. Der Junge hat kein einziges Barthaar und trägt auch keine Uniform, aber einen Revolver am Gürtel. Er sagt, dass er 21 Jahre alt sei, aber wir glauben ihm nicht. Wir laufen durch eine Gasse am Hafen auf der Suche nach Bier. Der Regen hat den Dreck über das Kopfsteinpflaster gespült, und der Mond spiegelt sich in den Pfützen. An einer Hauswand leuchtet ein rotes Schild "Copa Capana". Der Polizist nickt. Ich schiebe den verschlissenen Vorhang zur Seite, und die Scham schlägt mir entgegen. Wir sind in einem Puff oder Stripclub, ich bin mir bis heute nicht sicher. Auf der Tanzfläche kreisen knapp bekleidete Frauen ihre Hüften im schummrigen Licht. In der Ecke steht ein Security-Schrank und behält die Frauen im Blick. Egal, wir haben einen Polizisten dabei. Einen Kinder-Polizisten. Wir setzen uns an die Bar und bestellen Bier. Eine Frau in Ledertop schmiegt sich an meine Schulter. Sie flüstert mir ins Ohr: "I love you." Und dann fragt sie: "Do you want suckie, suckie?" Ich kann ihre Hand fühlen, wie sie nach meinem Portemonnaie tastet. Ich verweise auf eine erfundene Ehefrau. Der Kinder-Polizist beobachtet lächelnd die Frauen, wohl, weil er denkt, dass wir ihn gleich auf "suckie, suckie" einladen. Wir bestellen noch eine Runde Bier, dann laufen wir aus dem Laden. Wir beschließen, dass das jetzt ein bisschen zu viel Rock ’n’ Roll war.
Track 11 – Will always love you
Es endet, wie es beginnt. Mit Flughafen, Kater und Ibuprofen. Symbiz fliegen weiter nach Simbabwe, danach Äthiopien und Kenia. Ihre Afrika-Tournee geht weiter, ich muss zurück nach Hamburg. Ich sitze neben Zhi in einer Bar am Airport. Er nennt mich immer noch Dirk, aus einem Grund, den wir längst vergessen hatten. Jetzt sagt er: "Ey Dirk, kannst du nicht noch ein bisschen mit uns reisen? Du bist doch Teil der Band." Ich bin ein bisschen gerührt und sage, dass ich auch gern bleiben würde, aber dass mein Körper das nicht länger überleben würde. Das Zahnweh vom Kath, der Durchfall durch die Straßen-Fleischspieße, das viele Bier. Zhi sagt: "Diese Tournee war bis jetzt eher wie ein Junggesellenabschied."
Bonus-Track
Ich bin zu Hause. Symbiz sind noch auf Tour in Zimbabwe. Sprachnachricht auf Whatsapp: "Ey Dirk, gestern Konzert in Harare, mit Schlägereien und Tränengas irgendwo draußen. Wäre witzig gewesen zusammen." Dann ein Bild von Zhi mit einem riesigen Strauß Kath in der Hand. Ich glaube ich möchte doch wieder ihr Manager sein.
Diese Geschichte stammt aus der dritten Ausgabe von JWD – Joko Winterscheidts Druckerzeugnis. Zu kaufen auch hier.