In der Late-Night-Arena Kampf der Talkmaster

  • von Frank Siering
David Letterman hat Sex mit Angestellten, und Jay Leno bleiben die Superstars weg. Amerikas Late-Night-Talker stecken in einer schweren Krise. Und fallen sich auch noch gegenseitig in den Rücken.

Jay Leno konnte einfach nicht widerstehen: "Auch ich wurde schon erpresst", gab der bekannteste Late-Night-Talker Amerikas in seinem Eröffnungsmonolog zum Besten. "Wie sonst, glauben Sie, hat NBC mich überreden können, meine Show schon um 22 Uhr zu senden." Und sofort haut er noch einmal in die gleiche Kerbe des dubiosen Sexerpressungs-Skandals seines Show-Konkurrenten David Letterman. "Wenn Sie heute Abend eingeschaltet haben, um Sex mit dem Gastgeber zu sehen, dann muss ich Sie enttäuschen."

Das sitzt - und bringt Quote. Quote, die der König aller Night-Talker dringend nötig hat. Denn seitdem Leno bei seinem Sender NBC die berühmte "Jay Leno Show" um eineinhalb Stunden vorverlegt hat, gibt es nicht nur ein Quotentief nach dem anderen zu vermelden. Es gibt auch ordentlich Ärger hinter den Kulissen. Und daran ist der derzeitige Arbeitgeber von David Letterman nicht ganz unschuldig.

Die "Los Angeles Times" berichtete unlängst, dass die Konkurrenz-Anstalten ABC und auch CBS (Heimat von David Letterman) versuchen, ihre unter Vertrag stehenden Serienstars von der Gästecouch Lenos fernzuhalten. "Boykott für Leno" titelte die Zeitung. Und der Strahlemann mit dem großen Kinn hat tatsächlich Anlaufschwierigkeiten mit dem neuen Sendeformat. "Leno sendet jetzt in der Prime Time. Hier verdienen die Sender das meiste Geld. Und zu dieser Sendezeit müssen wir unsere Territorien verteidigen, damit die Werbeeinnahmen weiter fließen", zitiert die "Los Angeles Times" eine Quelle aus der Studio-Geschäftsleitung.

Schlacht um die Prime Time

Prominenter Gegenspieler von Jay Leno ist John Wells. Der hat immerhin Shows wie "Emergency Room" und "The West Wing" produziert. Wells sieht in der Vorverlegung der Leno-Show in die Prime Time einen "direkten Angriff auf Arbeitsplätze". Durch die beliebte Talksendung, so glaubt Wells, "verlieren gute Autoren, die für TV-Serien schreiben sowie zahlreiche Crew-Mitglieder ihre Jobs", denn Leno blockiere die Sendezeit, die traditionell den Serien gehöre.

Jay Leno hat derzeit rund sechs Millionen Zuschauer am Abend. Das sind im Durchschnitt rund zwei Millionen weniger als in der ersten Woche der neuen Sendestaffel. Dennoch: Die NBC-Bosse sagen mit leichtem Zweckoptimismus, dass sie mit den Quoten und auch mit den Gästen zufrieden sind. Tom Cruise, Drew Barrymore, Mel Gibson und auch Cameron Diaz und Jerry Seinfeld saßen schon neben Leno im Sessel. Der angebliche ABC- und CBS-Boykott scheint also bisher einigermaßen abgefedert werden zu können. Die Frage bleibt allerdings: Wie lange noch?

David Letterman, lange Zeit als ausgebrannt abgeschrieben, punktet derzeit wieder. Dass allerdings ein Sex-Skandal die Fans plötzlich wieder vor die Bildschirme lockt, dürfte sogar Letterman, der seit 1993 für die CBS Late Night macht, unangenehm sein. Zumal der Skandal, den nicht nur Leno für seine Showeinlagen nutzt, mittelfristig ernstzunehmende Folgen für den Medienprofi haben könnte.

Letterman zählt zu jenen Entertainern, die keine Gelegenheit ungenutzt lassen, um sich über Politiker und Prominente lustig zu machen, die bei einer Affäre erwischt werden. Jüngstes Beispiel war der Gouverneur von South Carolina, Mark Sanford. Der hatte seiner Frau erzählt, er wolle mal für ein paar Tage ausspannen und deshalb auf eine Hiking-Tour durch das Appalachian Gebirge aufbrechen. Fakt war allerdings, dass Sanford mit seiner Geliebten in Argentinien Tango tanzte. Der "Appalachian Trail" ist mittlerweile ein geflügeltes Wort für außereheliche Aktivitäten. Erst am Montag frotzelte Letterman "Eines können Sie mir glauben, ich würde vieles geben, wenn ich dieser Tage den Appalachian Trail abwandern könnte, anstatt hier in New York sein zu müssen."

"Mister Gruselig"

Noch reitet Letterman Abend für Abend auf der eigenen Skandalwelle und macht sich, wie ein alternder Clown mit verschmiertem Make-Up, über die eigenen Fehler lustig. Bezeichnend, dass ausgerechnet jene Show, in der er sich vor laufender Kamera bei seiner Frau für sein Verhalten entschuldigte, der zweitgrößte Quotenbringer der vergangenen drei Monate war. 5,7 Millionen Menschen hatten eingeschaltet. Nur noch übertroffen von der Show zuvor, in der Letterman erstmals von dem Erpressungsversuch sprach, der die ganze Sache ins Rollen brachte. Da hatten 5,9 Millionen Zuschauer zur Late-Show gezappt.

Die kommenden Wochen werden zeigen, ob und wieviel Letterman, der sich selbst als "Mister Gruselig" bezeichnete, an Glaubwürdigkeit verloren hat. Schon sticht Gerald Schargel, Anwalt des CBS-Produzenten, der Letterman mutmaßlich erpresst haben soll, in die offene Letterman-Wunde. "Letterman ist ein Meister der Manipulation. So verdient er seinen Lebensunterhalt. Und schon zu diesem Zeitpunkt zu glauben, dass seine Version der Geschichte die alleinige Wahrheit reflektiere, ist ganz einfach falsch."

Mit Gier und überhöhtem Blutdruck warten nicht nur die New Yorker Medien auf den bevorstehenden Erpresser-Prozess. Ein Prozess, das verspricht Schargel schon heute, bei dem auch David Letterman in den Zeugenstand steigen muss. Und dann, so brüstet sich der Anwalt weiter, "muss Letterman auch die Frage beantworten, wer hier wirklich etwas falsch gemacht hat." ­Es scheint fast so, als habe der Strafverteidiger noch ein Ass im Ärmel. Vielleicht aber auch nur neues Futter für David Lettermans Show.

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