Erinnern Sie sich noch an die Zeit vor Smartphone und Social Media? Ich schon. Und ich vermisse sie. Selig waren die Jahre, als man in Ruhe gelassen wurde, wenn man in Ruhe gelassen werden wollte. Heute ist das Smartphone wie eine immerzu keifende Ehefrau, ohne Unterlass mahnend und wachend an unser aller Seite, den ganzen Tag To-Do's und Informationen im Vorwurfston ausspuckend. Wetten, dass sich jede und jeder schon mindestens einmal im Leben mit dem Partner gestritten hat, weil: "Du hast bei Whatsapp einen blauen Haken gehabt und mir dennoch nicht geantwortet." Das ist die Problemschwere. Und tragische Grundkonstellation zugleich.
Eine Standleitung zur Außenwelt, maximal anstrengend nicht nur wegen der steten Informationsflut, die das digitale Gerät über uns auskübelt. Sondern auch, weil das Handy mit unseren Emotionen spielt, einem Sektenführer nicht unähnlich. Bloß nutzt es dafür seine an Niederträchtigkeit nicht zu überbietenden Algorithmen.
Mein Smartphone übt Psychoterror aus
Man sitzt morgens nichtsahnend über dem ersten Kaffee und versucht rauszufinden, wie man nochmal heißt und welches Jahr und welchen Tag wir eigentlich haben, aber da, "Pling", spuckt das Handy auch schon eine Push-Nachricht aus und möchte einem schöne Erinnerungen präsentieren. Schlaftrunken scrollt man durch längst geronnene Stunden, bis einem der Ex-Freund ins Gesicht springt. Stimmungsaufhellend wirkt das nicht, aber wach ist man jetzt trotzdem, auch ohne Koffein.
Das Smartphone ist die Drückerkolonne der Vergangenheit. Der Sommerschlussverkauf all jener Gefühle, die man nicht braucht, aber trotzdem hinterhergeworfen bekommt.
Und gerade der Rückblick mit der Betitelung "Schöne Momente" kann nur noch als sarkastische Unverschämtheit verstanden werden. Um ihm zu entkommen, wechselt man schnell zur Ablenkung auf die Social-Media-Plattform Instagram, ein paar süße Hundewelpen-Videos helfen bestimmt. Aber beim Scrollen der nächste Schock: Auch die Foto-Plattform schleudert mir das Gesicht des Ex-Freundes entgegen, so lächelnd und fröhlich, wie man ihn gar nicht erinnert, verkauft mit den Worten: "Vorschläge für dich".
Wie freundlich, Instagram, wie fürsorglich, aber nein, danke.
Been there, done that.
In jener sagenumwobenen und auf jeden Fall besseren Zeit vor dem Internet ging man einfach nicht mehr ans Telefon, wenn man mit jemandem nicht mehr sprechen wollte. Man stopfte die Erinnerungen in eine Kiste und hatte drei Möglichkeiten: Dachboden, Mülltonne oder, für ganz Aggressive, anzünden. So easy ist das heutzutage leider nicht mehr. Erst recht nicht, wenn Apple jetzt auch noch Titan verbaut.
Der Ex-Freund klebt an einem wie Kaugummi
Nun wird man auf jeder App belästigt. Während LinkedIn mir ausspuckt, dass sich der Ex beruflich gerade in eine höhere Gehaltsklasse gearbeitet hat, zeigt Airbnb, welche Reise wir als letzte zu zweit unternommen haben. Und auch unter den Social-Media-Postings, die man noch nicht aussortiert hat, stehen Kommentare und Likes des Ex-Freundes. Sie markieren das Revier mit schriftlichen Duftmarken für neue Bekanntschaften. Wie ein virtueller Baum, den er für alle Ewigkeiten angepinkelt hat.
In jeder digitalen Zelle meines ausgelagerten elektronischen Hirns sitzt fett und bräsig mein Ex. Als hätte mich dieser Typ zu Zeiten der Beziehung nicht schon genug Energie und Speicherplatz gekostet, zieht er sich wie ein Geschwür durch meine digitale Welt. Da hilft nur noch: löschen und blockieren, bis der Arzt kommt.
Aber wie nur, fragen Sie jetzt? Am besten beginnt man mit einer Liste der Portale, auf denen man vernetzt ist, und geht die durch, eines nach dem anderen. Weiter gehts es mit den Fotos: ab auf den Laptop oder in die Cloud, wenn man sie denn noch behalten will, auf jeden Fall runter vom Handy. Und ja, das artet richtig in Arbeit aus. Bei den sozialen Netzwerken hilft blockieren. Wem das zu überdramatisch und endgültig ist, sollte zumindest die Telefonnummer in den Kontakten löschen, um dem Smartphone keine Chance zur Verknüpfung mit der blöden Floskel "Vorschläge für dich" zu geben.
Und wenn man all das gemacht hat und einem nur noch unerwünschte Nachtträume von der verflossenen Liebe bleiben, wenn er im Alltag keine Rolle mehr spielt, dann... klingelt das Telefon und er schreibt mitten in der Nacht eine Nachricht: "Hey, na, noch wach? Wie gehts dir?" Denn sie kommen heutzutage doch alle zurück. Spätestens, wenn Apple ihnen die schönsten gemeinsamen Momente als Diashow ausspielt.
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