Dr. Mimi Winsberg hat für Facebook als Psychiaterin gearbeitet. Sie hat den Alpha- und Betatestern des Silicon Valley zugehört, den Disruptoren und Innovatoren, schreibt sie im Magazin der "London Times". Big Data hat das Dating auf den Kopf gestellt, weltweit werden bei Tinder täglich 1,6 Milliarden "Swipes" verarbeitet. Winsberg hat nicht nur die Macher des Online-Datings beraten, sie ist Single, also auch Nutzerin der bekannten Dating-Plattformen.
Was hat sich innerhalb einer Generation beim Flirten geändert? Der direkte visuelle Kontakt fehlt, so Winsberg, stattdessen dominieren die Textnachrichten. Das weiß jeder, doch was bedeutet das. "Das Texting zwingt uns, uns ausschließlich auf unsere Schriftsprache (und natürlich unsere Emojis) zu verlassen. Wortwahl, Semantik und Grammatik müssen immer mehr Bedeutung vermitteln, da die Hinweise, die wir durch Körpersprache, Augenkontakt und Körperhaltung erhalten, fehlen."
Die emotionalen Hinweise des Flirts und des gegenseitigen Abtastens wandern in winzige Sprechblasen. Es erfordere neue Fähigkeiten, diese komprimierten Botschaften wieder zu entpacken und zu verstehen.
Zentral sei es, den Moment des "Spiegelns", der Bestätigung, in den Austausch der Texte zu integrieren. "Das Spiegeln dient dazu, sich selbstbewusster zu fühlen, wodurch Abwehrhaltungen abgebaut und Gefühle aufgedeckt werden. Spiegeln gilt auch als Zeichen von Anziehung." Das Gehirn erlebe diesen Moment als Belohnung, als Dopamin-High. Es folgere daraus, dass wir uns ähnlich sind, also müssten wir uns auch mögen. "Wenn Sie jemanden spiegeln, ist es wahrscheinlicher, dass er sich auf das Gespräch einlässt und Sie mehr über sein wahres Ich erfahren." Es sei daher wichtig, den anderen wissen zu lassen, dass seine Anspielungen und Lebenserfahrungen verstanden werden. Im realen Leben geschieht so etwas durch ein Lächeln oder einen zustimmenden Blick – all das müsse nun in die Texte wandern. Winsberg rät generell, Länge und Tonfall der Nachrichten dem Inhalt anzupassen. "Luftig passt zu luftig, spielerisch passt zu spielerisch, kurze Sätze passen zu kurzen Sätzen."
Detektive der Grammatik
Wer online datet muss zum Grammatikdetektiv werden, findet Winsberg. Menschen, die häufig Pronomen wie "Du", "Sie" und "Ihr" verwenden, seien eher umgänglich. Vorsicht sei geboten bei Personen, die einen mit Verneinungen wie "nein" und "nie" bombardieren. Die stets die Unterschiede in der Wahrnehmung betonen und die lieber von der Zukunft reden als von der Gegenwart. Das deute weder auf Verbindlichkeit noch auf Zuverlässigkeit hin.
Selbst die Zeichensetzung sagt etwas über die Persönlichkeit aus, sagt Big Data. "Die Analyse von Tweets hat gezeigt, dass Fragezeichen ein Zeichen für Extrovertiertheit sind. Vermutlich sind extrovertierte Menschen eher daran interessiert, Fragen zu stellen. Doppelpunkte korrelieren mit Gewissenhaftigkeit, vielleicht weil sie in geordneten Listen zu finden sind. Kommas hingegen korrelieren mit einem Mangel an Gewissenhaftigkeit."
Emojis hingegen seien kompliziert. Sie bannen die Botschaft, die schon in den Kurztexten komprimiert ist, erneut in ein einziges vieldeutiges Zeichen. "Ich habe Emojis schon immer als Abkürzungen in unserem Selbstausdruck empfunden." Sie böten aber auch die Chance zu fragen, was der andere wirklich meint.
Kein Flirt ohne Schwindel
Gelogen wird beim Daten seit eh und je. Die alte Weisheit, dass "Männer einen Zoll hinzufügen und Frauen 15 Pfund abziehen", gilt online auch. Im persönlichen Gespräch kann man Lügen durch Körpersprache, Tonfall oder ausweichende Antworten erkennen. Texte sind schwieriger zu knacken. Unbewusst versuche ein Lügner sich von seinen Lügen zu distanzieren, er meidet daher das "ich". Auf unsicherem Grund würden unverbindliche Begriffe wie "vielleicht" oder "sicher" eingestreut. Ein Alarmzeichen sei es, wenn Fragen ausgewichen wird oder sie mit einer Gegenfrage beantwortet werden. Der Klassiker: Aussagen wie "um ehrlich zu sein", "Ich werde nicht lügen" und "Ich schwöre" deuten leider oft auf das Gegenteil hin.
Dealbreaker
Problematisch sind die "Dealbreaker". Sie hat jeder. Die Kunst sei es, beim Kennenlernen das Gegenüber nicht mit Befürchtungen zu überfallen – denn das wäre auch ein "Dealbreaker". Am besten sei es, wenn man die schwierigen Zonen geschickt und eher spielerisch streift. Und ein weiter Punkt gilt online wie im "wahren Leben": niemals zu bedürftig erscheinen. Manche Menschen wollten sofort eine tiefe Bindung aufbauen. "Ich bezeichne diese sofortige Intimität als 'Instamacy'", sagt Mimi Winsberg. Eine Verliebtheit auf Knopfdruck müsse misstrauisch machen, fühle sich vielleicht überwältigend an, doch eine überstürzte Beziehung sei selten stabil.
Quellen: The Times; Speaking in Thumbs: A Psychiatrist Decodes Your Relationship Texts So You Don't Have To