Der scheue Junge hat sich in die Ecke des Sofas verkrochen. Komplett in Schwarz, so hockt er da. Seine wuscheligen Haare stehen an diesem Tag wild vom Kopf ab, knochig die Schultern unter dem Shirt. Das Lächeln weicht fast nie aus seinem Gesicht. Mit einer Stimme, die noch nicht ganz erwachsen klingt, sagt er: "Hallo." Alexander Wang unterschätzt man leicht.
In einer Stunde wird Wang in einer Sporthalle nahe Harlem seine neue Fitnessmode zeigen. In riesigen Buchstaben steht sein Name auf den Kleidern. Vom 6. November an werden sie rund um die Welt von H & M verkauft. Die Leute werden Schlange stehen, wie jedes Jahr für die Designerkooperationen. Seinen Namen kennt dann jeder, der sich auch nur ein wenig für Mode interessiert. Wang ist 30, im besten Alter, um ein neuer Stilgott zu werden.
Seit neun Jahren führt er ein eigenes Label in New York; seine Entwürfe sind in allen Metropolen erhältlich. Anna Wintour, Chefin der US-"Vogue", die Scharfrichterin der Mode, sagte über ihn: "Die Modewelt ist froh, ihn zu haben." In Amerika wird Wang abwechselnd als "Wunderkind" oder "Goldjunge" gefeiert. Viele glauben, er könne ein neues Kapitel Modegeschichte schreiben. Das trauen ihm wohl auch die Franzosen zu: 2012 engagierte das Pariser Couture-Haus Balenciaga ihn als Kreativ- Chef. 75 Jahre Tradition lasten nun auf seinen schmalen Schultern. Seit seiner Ankunft steigt der Umsatz.
"Wie ein Pingpong-Ball"
Nur wenige Modeschöpfer wagten vor Wang den Spagat zwischen USA und Frankreich, waren doch die Unterschiede zwischen amerikanischer Lässigkeit und französischer Schneiderkunst zu groß. Das ist vorbei. Anders als sein Vorgänger bei Balenciaga, der Couture-lastige Nicolas Ghesquière, gilt Wang als Vertreter einer Weltmode, die in Paris ebenso vorzuzeigen ist wie in Denver oder Hongkong: Schick ist, was gefällt und was die Menschen auf der Straße tragen. Schlechten Geschmack gibt es da nicht. Wang kombiniert Blazer zu Tennisröckchen, überweite Pullover mit hautengen Leggings und Anoraks. Seine Mode ist ein Abbild des Streetstyle, der in vielen Blogs zu sehen ist.
Noch eine halbe Stunde bis zum Auftritt. Wang redet schneller, aufgekratzt. Er versucht, die Haltung zu wahren, sitzt steif auf dem Sofa. Seine Worte purzeln ineinander. Er sei so froh, so glücklich und so weiter. Er fuchtelt mit den Händen durch die Luft. Gern würde man erfahren, was ihn antreibt. Mit ihm über seine chinesischen Wurzeln reden. Was er sagt, ist: "Ich bin wie ein Pingpong-Ball, der hin- und herfliegt."
Wang spürt, wie einsam es um ihn herum geworden ist
Man weiß nicht viele Dinge über Alexander Wang: Er arbeitet unglaublich diszipliniert, entwirft rund 30 Kollektionen pro Jahr. Dazu kommen etwa 100 Anproben pro Woche. Seine Tage endeten, so heißt es, fast nie vor 23 Uhr. Ein Knochenjob, für den er sein normales Leben aufgegeben hat. Früher hing er in Clubs herum, heute feiert er kaum noch. Seine einzige Urlaubswoche in diesem Jahr verbrachte er bei seiner Familie in San Francisco. Wang spürt, wie einsam es um ihn herum geworden ist: "Als ich die Instagram-Bilder meiner Freunde aus den Sommerferien sah, schmerzte das schon."
Doch für ihn zähle etwas anderes. "Ich bin eine kreative Person. Ich vermisse nichts", sagt er. "Noch habe ich keine Kinder, keinen Hund. Und irgendwann will ich vielleicht nicht mehr ins Flugzeug steigen. Aber gerade jetzt kann ich mir nicht vorstellen, wie mein Leben anders sein könnte."
So pendelt er zwischen seinem Apartment in Tribeca, New York, und einem Luxushotel im 16. Arrondissement. Eine eigene Wohnung in Paris traut er sich nicht zu, er spricht kein Französisch. Bei Balenciaga redet er Englisch mit seinen Mitarbeitern.
Hier wird der andere Wang sichtbar: der harte und unerbittliche. Dessen enge Deadlines gefürchtet sind. "Ich höre nie auf zu denken", sagt er. "Mir fällt immer etwas ein. Auf dem Weg ins Bett, zur Tür, auf der Straße. Ich bin unglaublich schnell." Um nichts zu vergessen, schreibt er auf seinem iPhone seinen Mitarbeitern eine Nachricht nach der anderen. "Die letzte nachts um drei oder vier Uhr", sagt Wang.
Als er bei Balenciaga die Macht übernahm, sorgten sich viele, dass Köpfe rollen würden. Wang aber lief durch die Büros und schüttelte Hände. Für eine Revolution hatte er keine Zeit, denn ihm blieben nur acht Wochen, um die erste Kollektion fertigzustellen. Wang zog sich in die Archive des Unternehmens zurück. "Es ging darum, die DNA zu verstehen und die Mentalität zu begreifen." Schließlich gelang ihm das Kunststück, die scharfe Linienführung des Markengründers respektvoll beizubehalten, aber durch eine Prise amerikanischer Lässigkeit zu ergänzen. Die Kritiker nannten ihn einen mutigen Modernisierer.
String-Tanga für die Cousine
Wang ist ein Einwandererkind. Die Eltern kamen aus Taiwan, begannen als Tellerwäscher, bauten ein Unternehmen zur Plastikherstellung auf. Die Mutter zog zurück nach Shanghai, um von dort die Geschäfte zu führen. Alexander blieb zunächst in einem Internat in Kalifornien. Später lebte er bei seinem älteren Bruder. China kennt er kaum, es ist nicht seine Welt.
Als Fünfjähriger saß er mit seinen Eltern oft im Restaurant und zeichnete High Heels auf Servietten. Die Mutter förderte sein Talent, kaufte ihm eine Nähmaschine. Als Teenager schwänzte er die Schule, weil er im Fernsehen die "Vogue Fashion Awards" schauen wollte. Er brachte sich alles selbst bei. Mit 15 Jahren überzeugte er seinen Bruder Dennis, bei dessen Hochzeit eine Modenschau mit eigenen Kreationen aufführen zu dürfen. Als seine Cousine im von Alexander geschneiderten String-Tanga durch den Saal stolzierte, klatschte die Verwandtschaft Beifall.
Die Show in New York ist vorbei. Nach den Models betritt Alexander Wang die Bühne. Gelöst wirkt er, geradezu erlöst. Er rennt winkend über den Laufsteg. Hinter der Bühne beginnt der Vorverkauf seiner Kollektion für die Gäste der Modenschau. Es wird geschubst und geschoben, jeder will ein Stück ergattern. Der Designer fällt einem Freund um den Hals. Jetzt wird er zum ersten Mal laut an diesem Abend. Es bricht aus ihm heraus: "Ich bin so happy." Bei Alexander Wang heißt das: Ich bin so erfolgreich. Das ist, was für ihn zählt.