"Ich will dieses Jahr nicht fliegen." Bäääm! Diese Aussage einer guten Freundin traf mich wie ein Schlag. "Ich habe letztes Jahr zwei Langstreckenflüge gemacht, daher will ich dieses Jahr aufs Fliegen verzichten." An sich ein wirklich nachhaltiger Ansatz – wäre da nicht unser Plan gewesen, an der Algarve einen Surfkurs zu machen. Gefühlte hundert Stunden mit dem Zug von Deutschland nach Portugal? Klar, beim Einkaufen auf Plastik zu verzichten, regionale Produkte zu kaufen und mit dem Fahrrad zu fahren, ist das eine – aber zwei Tage An- und Abreise bei zwei Wochen Urlaub? Da verschwand meine Klimamoral leider doch schneller, als mir lieb und bewusst war.
175 Millionen Passagiere
Nicht, dass ich nicht schon hunderttausende Kilometer in Zügen zurückgelegt hätte – zu Fernbeziehungen, zur Familie, beim Interrailtrip oder auch zwischen Shanghai und Peking. Wo es geht, ist Zug- oder Busfahren oft günstiger und man kann nebenbei noch arbeiten. Aber wenn es dann mal in ferne Länder geht, greift man doch oft immer noch aufs Fliegen zurück. Und damit bin ich scheinbar nicht allein: In Deutschland steigen heute 119 Millionen Menschen in den Flieger – das sind fast doppelt so viele wie noch 1997. Bis 2030 prognostiziert das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum einen Zuwachs auf 175 Millionen Passagiere. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Klimaschutz das bestimmende Thema der Europawahlen im Mai war. Laut einer aktuellen Studie des Bundesumweltministeriums hält mehr als zwei Drittel der Befragten Umwelt- und Klimaschutz für eine sehr wichtige Herausforderung. Der eigene Urlaub ist davon aber oft ausgenommen.
Das will die 25- jährige Moon ändern. "Ich bin eigentlich ein ziemlich optimistischer Mensch, aber in Sachen Klima ist die Lage gerade wirklich ernst", sagt die Niederländerin. Deswegen will sie handeln: Zusammen mit anderen Klimaaktivisten wird sie im Dezember diesen Jahres die Politiker der Welt auf der UN-Klimakonferenz in Santiago de Chile auf die Umweltbelastung durch Flugverkehr aufmerksam machen – und zwar, indem sie beweisen, dass es auch anders geht. "Vor einem Jahr sind einige meiner Mitstreiter nach Katowice in Polen zur Weltklimakonferenz gereist. Damals sind sie mit dem Zug gefahren und wollten unbedingt auch an der nächsten Konferenz teilnehmen. Doch dann haben wir gesehen, dass sie, wie zum damaligen Zeitpunkt noch geplant, in Brasilien stattfinden soll. Also quasi am anderen Ende der Welt." Also gründete Moon zusammen mit Lena, Mara und Jeppe das Projekt "Sail tot he COP": Zusammen mit einer Gruppe freiwilliger Unterstützer werden sie nach Chile segeln, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen.

Für den Klimaschutz nach Chile
Klingt erst einmal nach einem Traumtrip – man denkt an Sonnenuntergänge und Abenteuer. Aber sechs bis acht Wochen auf dem Wasser, nur, um überhaupt anzukommen? "Wir werden nicht einfach nur rübersegeln, sondern sind quasi ein reisender ThinkTank. Wir wollen die Route dokumentieren, damit andere Schiffe später auch diesen Weg nehmen können", erklärt die Studentin, die Internationales Land- und Wassermanagement in Wageningen studiert. Los geht es zwischen dem 15. September und dem 5. Oktober in Spanien oder den Niederlanden bis nach Uruguay und von dort mit dem Bus bis zur Konferenz in Santiago de Chile. Zudem wollen die 26 Teilnehmer, die sich online für die Teilnahme bewerben könnten, auf der Fahrt ein Manifest für die Politiker auf der "United Nations Framework Convention on Climate Change, 25th Conference of the Parties", kurz COP 25, schreiben.
Finanziert wird das gesamte Projekt über Stiftungen und ein Crowdfunding, zudem zahlen die Teilnehmer einen Anteil. Über 60 Schüler, Studenten, junge Arbeitnehmer und Klimaaktivisten haben sich beworben. Aber ist es wirklich nachhaltig und sinnvoll mit über 20 Leuten nach Chile zu segeln? "Einige der Teilnehmer waren schon bei der COP angemeldet und würden sonst dorthin fliegen. Zudem ist es einfach wichtig, der Welt zu zeigen, dass junge Menschen bereit sind, die Zeit und die Umstände auf sich zu nehmen, um an der Weltklimakonferenz teilzunehmen; dass ihnen die Klimakrise wirklich wichtig ist", sagt Moon.
Die unbekannte Gefahr
Fest steht: Schätzungen zufolge liegt der Anteil der Luftfahrt an den globalen CO2-Emissionen zwischen zwei und drei Prozent – das macht ungefähr eine Milliarde Tonne CO2 pro Jahr aus. Eine Zahl, die auch die Luftfahrtbranche weitestgehend anerkennt. Der Straßenverkehr trägt mit 17 Prozent fast sechsmal so viel zur Emission von Treibhausgasen bei. Wird also die Gefahr durch den Flugverkehr überschätzt? Nein, sagen viele Klimaexperten: Denn neben weltweit steigenden Passagierzahlen (die Internationale Luftverkehrsvereinigung geht bis 2035 von einer Verdopplung der Flugreisenden aus) ist der CO2 Ausstoß beim Fliegen nicht das einzige Problem – denn Flugzeuge verbrennen als Treibstoff Kerosin und dabei entstehen neben Kohlenstoffdioxid auch andere Stoffe wie Feinstaub. Welche effektiven Auswirkungen diese Stoffe in den Höhen der Atmosphäre auf das Klima haben, kann man bisher nicht abschätzen.
"Flugreisen haben einen enormen Einfluss auf das Klima", sagt Moon. Ihr Team hat ausgerechnet, dass ein Flug von Amsterdam nach Chile 4700kg CO2 verursacht. "Um diesen Wert einzusparen, müsste man 12 Jahre als Vegetarier leben." Ähnliches hat auch der Ökologe Joseph Poore von der britischen Universität Oxford für das Magazin "Spiegel" berechnet. Nach seinen Angaben produziert jeder Deutsche durchschnittlich elf Tonnen Treibhausgase – wer vegan lebt, kann seinen CO2-Fußabdruck immerhin um zwei Tonnen verkleinern. Zum Vergleich: Klimaexperten schätzen dass jeder Mensch auf der Welt nur 2,3 Tonnen CO2 verursachen dürfte, damit die Ziele des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, eingehalten werden könnten; und das beinhaltet alles vom Pupsen bis zum Heizen der Wohnung. Im besagten Klimaabkommen wird das Thema Luftverschmutzung durch Fliegen jedoch nicht thematisiert.
Die Lösung: Höhere Preise?
Doch gerade einmal drei Prozent der Weltbevölkerung sind im vergangenen Jahr geflogen, nur 18 Prozent der Weltbevölkerung haben jemals ein Flugzeug betreten. Trotz steigender Passagierzahlen also ein Widerspruch? Nein, findet Moon: "Aus Bangladesch, einem Land das existenziell vom steigenden Meeresspiegel betroffen ist, ist fast noch niemand jemals geflogen. Da stimmen die Verhältnisse einfach nicht." Was also tun? Darüber sind sich Wissenschaft und viele Klimaexperten weitgehend einig: Fliegen müsste teurer werden. Derzeit gibt es keine Mehrwertsteuer auf Auslandsflüge – aber auf Bahntickets. Auch Kerosin wird im Gegensatz zum Mineralöl nicht besteuert. Ein Flug von Hamburg an die Algarve kostet somit unter der Woche gerade einmal 30 Euro. Die jungen Klimaaktivisten sehen aber nicht nur den Staat in der Verantwortung: "Ich denke, jeder sollte bei seinen eigenen Reisegewohnheiten anfangen", sagt Moon. Es gehe jedoch nicht darum Leute bloßzustellen, sondern Alternativen aufzuzeigen.
Denn das ist ein weiteres Problem – bisher mangelt es an Alternativen. Innerhalb Europas lässt sich gut mit dem Auto, dem Bus oder dem Zug verreisen. Doch darüber hinaus wird es schwierig oder zumindest zeitaufwändig. Diese Erfahrung musste auch der 24-jährige Alessandro aus Bologna machen. Nach seiner Ausbildung wollte er um die Welt reisen – jedoch ohne zu Fliegen. "Leider ist Reisen ohne Fliegen viel teurer. Es ist zwar romantisch, ein Boot zu nehmen, aber die gesamte Reise dauert viel länger. Zudem gibt es nicht immer feste Routen und man muss als Reisender auf Containerschiffe umsteigen. Für einzelne Reisende berechnen sie jedoch oft hohe Preise", erzählte er im Interview mit NEON.
Greta segelt auch
Daher wollen die Klimaaktivisten von "Sail to the COP" ihren Weg aufzeichnen, um für spätere Fahrten Grundlagen zu schaffen. "Unser Co-Gründer Jeppe hat zum Beispiel ein Pendant zum Flugvergleichsportal "Sky-Scanner" gegründet: "Sailingscanner". Dort kann man schauen, ob es auch alternative Reiserouten mit dem Schiff gibt, sodass man zu Beispiel Teile seiner Reise auf dem Wasser zurücklegen kann", erzählt Moon. Und vielleicht bekommt das Team dabei sogar prominente Unterstützung: Denn auch Klimaaktivistin Greta Thunberg wird zur Klimakonferenz nach Chile reisen, wie sie letzten bekannt gab. "Wir haben Greta eingeladen, bei uns mitzureisen", erzählt Moon. "Aber sie wird wahrscheinlich vorher bei der Klimakonferenz in New York und nicht in Europa sein und versucht dann, von dort anzureisen." Trotzdem wäre sie an Bord natürlich immer willkommen.
