Die 24-jährige Luise Morgeneyer ist Autorin und Influencerin und setzt sich auf ihrem Instagram-Account mit Nachhaltigkeit, Gefühlsthemen und politischer Bildung auseinander. Geboren in Freital, Sachsen, hat sie das Ergebnis der Wahlen in Sachsen sehr berührt: Dort war die AfD mit über 25 Prozent bei der Europawahl die stärkste Partei. NEON hat mit Luise über Deutschland, Heimatgefühle und politische Verantwortung gesprochen.
Wie fühlt sich das an, wenn eine so wichtige Wahl einen so eindrucksvollen Ausgang - nämlich die AfD als stärkste Partei – hat?
Mich hat das Ergebnis einfach nur umgehauen. Ich komme aus Freital, was vielen sicherlich ein Begriff ist, weil es einer der rechtsradikalsten Orte Deutschlands ist. Und für mich ist es natürlich verdammt hart, mir vorzustellen, dass der Ort, an dem ich einen großen Teil meiner Kindheit verbracht habe - die eigentlich ganz schön war -im Stadtrat jetzt AfDler sitzen hat. Nun stellt sich natürlich die Frage: Womit müssen wir bei den Landtagswahlen in Sachsen rechnen? Bundesweit hat die AfD ja eher Stimmen verloren, in Sachsen eben leider nicht. Das war aber keine große Überraschung für mich – ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit den politischen Ereignissen dort und hab eigentlich mit genau diesem Ergebnis gerechnet.
Du wohnst mittlerweile in Berlin. Hat dich diese Rechtsradikalität dazu gebracht, aus Sachsen wegzuziehen?
Sie war definitiv einer der Hauptgründe. Erstmal hab ich noch in Dresden studiert und bin dann 2017 weggezogen, das hatte aber auch noch andere Gründe. Ich habe mich zu dem Zeitpunkt nämlich schon politisch verhalten und hatte tatsächlich das ein oder andere Problem mit Pegida-Anhängern. Stell dir mal vor, du wohnst da. Und gehst jeden Montag auf irgendwelche Demos – wie ich vor drei Jahren - und hast das Gefühl, du tust wirklich etwas dagegen. Und dann siehst du Umfragen und Wahlergebnisse wie dieses jetzt: Das ist pure Frustration. Dann sitzt du da und denkst: "Krass, irgendwie bringt alles, was ich mache, überhaupt nichts." Das ist ein großer Teil des Problems, dieses Gefühl von Ohnmacht. Und natürlich, dass die Rechten in Sachsen unwahrscheinlich laut sind.
Ich komme aus Süddeutschland. Für mich war Rechtspopulismus ganz lange etwas weit Entferntes. War es schwer, mit so einer Allgegenwärtigkeit von Rechtsradikalismus einen gesunden Umgang zu finden?
Mir ist total wichtig, dass das alles auch auf nationaler Ebene Aufmerksamkeit bekommt. Das Phänomen, was du da gerade beschrieben hast, begegnet mir sehr häufig - gerade seitdem ich im toleranten Berlin wohne. In politischen Diskussionen und Gesprächen merke ich oft, dass viele Leute gar nichts damit anfangen können und Sachsen ganz oft als "der braune Mob" abgeschrieben wird. So nach dem Motto: "Wir haben da keinen Bock drauf". Dann wird ein Haken drunter gemacht und das war‘s dann. Da werde ich persönlich und politisch aktiv. Einfach, weil ich es nicht fassen kann, dass viele Menschen dazu so eine krasse Distanz haben und sogar halten. Dass es schwer ist, das alles nachzuvollziehen, ist mir völlig klar. Was wir aber nicht vergessen dürfen: Wir sind immer noch ein Deutschland. Und mal angenommen, der sächsische Landtag würde jetzt von der AfD überrannt werden – was den Werten von gestern nach echt kein Ding der Unmöglichkeit ist - dann hätte das ja nicht nur Folgen für Sachsen. Der sächsische Landtag könnte dann unfassbar viele Dinge auf nationaler Ebene ausbremsen. Und das ist viel zu vielen Menschen einfach nicht bewusst. Rechtsradikalismus geht uns alle etwas an.
Welche Vorurteile gibt es denn sonst noch?
Was ich mir auch ganz oft anhören muss ist: "Tja mit den Rechten kann man eh nicht reden." Was ist das bitte für ein Ansatz? Außerdem haben diese Menschen auch Kinder! Und wir können doch diese Kinder nicht alleine lassen. Der Ort, an dem du aufwächst, prägt dich. Und das, was dir deine Eltern erzählen, das glaubst du. Das ist bei uns allen so. Und kein Kind kann etwas dafür, wenn es, sagen wir mal im härtesten Fall, bei Nazis aufwächst. Selbst wenn es nur Mitläufer oder Protestwähler sind. Man orientiert sich an seinen Eltern. Und das macht mich traurig. Dass da so wenig differenziert wird und dass man einfach sagt: Ist nicht unser Problem. Es heißt immer, Sachsen sei so braun, dabei stimmt das im Ganzen gar nicht. Es gibt unwahrscheinlich viele Menschen, die seit Jahren jede Woche gegen Pegida und Co. demonstrieren gehen und sich sogar körperlichen Auseinandersetzungen stellen müssen. Vergangenes Wochenende erst war ich unterwegs mit den Leuten von Mission Lifeline. Das sind Leute aus Dresden, die ehrenamtlich Geflüchtete im Mittelmeer retten. Und die müssen sich tagtäglich mit irgendeiner Scheiße auseinandersetzen und kriegen nicht im Entferntesten die Anerkennung, die sie für ihre Arbeit eigentlich verdient hätten.
Fühlt sich Freital, bzw. Sachsen für dich immer noch nach Heimat an?
Dresden auf jeden Fall. Jedes Mal, wenn ich mit dem Zug in die Stadt rein fahre, geht mir aufs Neue das Herz auf. Ich habe dort einen Großteil meiner Jugend verbracht und auch dort studiert. Dresden bedeutet für mich Familie und ist und bleibt definitiv meine Heimat. Ich bin froh, dass das immer noch so ist. Seit ich weggezogen bin, habe ich eine gewisse Distanz zum Rechtsradikalismus dort bekommen. Schon allein dadurch, dass ich nicht mehr jeden Montag damit konfrontiert bin, dass irgendwelche Leute irgendwelchen Mist auf wichtigen Plätzen in rufen.
Mit Freital hab ich gar nichts mehr am Hut. Niemand aus meiner Familie wohnt noch dort, demnach bin ich dort auch nie. Trotzdem bleibt es der Ort, an dem ich groß geworden bin. Und irgendwie - auch wenn viele das nicht nachvollziehen können - fühle ich mich ein Stück weit verantwortlich dafür. Ich möchte nicht, dass solche Sachen die Erinnerungen an den Ort überlagern.
Meine Mama war alleinerziehend und hatte täglich dafür zu kämpfen, dass wir irgendwie über die Runden kommen. Wir waren also genau diese sozial und wirtschaftlich Schwachen irgendwo im Osten. Und genau denen sagt man ja immer nach, dass sie schnell in den Radikalismus abrutschen. Wären meine Schwester und ich mit den falschen Leuten in Kontakt gekommen und hätten nicht den Rückhalt und die Bildung meiner Mutter gehabt: Wir hätten da ganz genauso reinrutschen können. Wir hatten einfach verdammt großes Glück, was viele Kinder aus meiner Grundschulklasse vermutlich nicht hatten.
Was kann man deiner Meinung nach dagegen tun?
Ich versuche jetzt, herauszufinden, was ich persönlich machen kann - gerade im Hinblick auf die Landtagswahlen. Deshalb will ich mein gesamtes Netzwerk aktivieren. Ich habe mich heute mit einem meiner früheren Lehrer aus Freital in Verbindung gesetzt, der ganz viel im Bereich Geflüchtetenhilfe macht. Mit ihm telefoniere ich später nochmal, um mir ein Bild von seiner Gefühlslage zu machen. Ich hoffe einfach sehr, dass ich durch die Verknüpfung der ganzen Anlaufstellen, die ich habe, alle ein bisschen aus dieser Lähmung rausholen kann. Mir fällt das allein schon durch die örtliche Distanz leichter. Wir dürfen jetzt nicht aufgeben. Und dann eben schauen, was die Landtagswahl sagt. Wie es mir danach geht und was ich dann denke: Werden wir sehen. Aber bis dahin sind es jetzt ja noch ein paar Monate. Und ich glaube, dass wir gerade diese Monate jetzt noch sinnvoll nutzen müssen.
