Bootsunglück in Griechenland "Diese Menschen wurden 'gestapelt', sie lagen übereinander " – schockierende Berichte von Überlebenden

Drei Männer hocken nebeneinander auf dem Boden. Es sind Überlebende des Bootsunglücks in Griechenland
Drei der überlebenden Migranten wirken nach dem Bootsunglück in Griechenland sichtlich mitgenommen
© AA | Costas Baltas / Picture Alliance
Nach dem schweren Bootsunglück in Griechenland mit mutmaßlich hunderten Toten herrscht Trauer und Entsetzen. Laut Berichten von Überlebenden galten schlimme Zustände an Bord. Der Sprecher des Teams zur Identifizierung von Katastrophenopfern, sagte, die Migranten seien 'gestapelt' worden, sie lagen übereinander".

Die Überlebenden des Bootsunglücks sind völlig erschöpft, schockiert, einige von ihnen werden in einem Krankenhaus etwa wegen einer Lungenentzündung behandelt. Zwei Tage nach der Katastrophe im Mittelmeer können sie offenbar noch gar nicht realisieren, was in den vergangenen Tagen passiert ist – und, dass ihre Angehörigen womöglich nicht mehr leben.

"Meine Frau ist auf dem Boot", sagte ein ägyptischer Migrant gegenüber "Peloponnisos", der auf rund 40 Jahre alt geschätzt wird. Ein anderer Überlebender, ebenfalls aus Ägypten, sagte der regionalen Tageszeitung mit zitternder Stimme: "Unten gibt es über 100 Kinder. Und eine Menge Frauen." Damit meint er jene Menschen, die sich im unteren Teil des Fischkutters aufhielten. "Sie sind alle weg. Sie sind tot...", sagte er weiter. Die 104 Überlebenden (darunter neun mutmaßliche Schleuser) leiden nicht nur unter dem Erlebten. Hinzu kommt, dass die meisten kaum oder kein Englisch sprechen.

Deshalb kam an ihrer Stelle die Krankenpflegerin Katerina Tsata vom griechischen Roten Kreuz, welche am Hafen von Kalamata an der Versorgung der Überlebenden beteiligt ist, zu Wort. Sie schilderte gegenüber dem TV-Sender Mega, was die Migranten laut ihren Berichten auf der tagelangen Bootsfahrt auf dem Meer erlebt hätten: "Unsere Kommunikation mit den Personen erfolgt überwiegend im Zusammenhang mit ihrer Gesundheit [...] Sie haben uns gesagt, dass sie sehr erschöpft sind, sie Angst hatten, dass sie im Grunde mit angewinkelten Knien nebeneinander lagen. Und wer es schaffte, seine Beine ein wenig zu bewegen, für den war das sehr wichtig. Sie lehnten sich an die Schulter des anderen und schliefen dort – ohne Platz zu haben, sich zu bewegen." 

Auch der Sprecher des Teams zur Identifizierung von Katastrophenopfern, Vassilis Makris, berichtete gegenüber der griechischen Nachrichtenagentur APE-MPE von derartigen Szenen. "Diese Menschen waren 'gepackt', sie lagen übereinander und waren tagelang unterwegs. Niemand weiß genau, wie viele Tage sie unterwegs waren", sagte er. (Mehr zum Unglück hier) Das lässt sich auch beim Anblick der veröffentlichten Fotos des Bootes vor dem Kentern erahnen.

Einem Bericht des TV-Senders Skai zufolge hätten die Migranten acht Tage nichts gegessen und vier Tage nichts getrunken. Dies hätten Überlebenden gegenüber Ärzten und Krankenpflegern berichtet. Die Umstände auf dem Boot dürften also unzumutbar gewesen sein. Dass die Schleuser offenbar keinen ausreichenden Wert auf die Sicherheit der Migranten legten, legt auch die Meldung der griechischen Küstenwache nahe. Demnach trug keiner der 104 Überlebenden zum Zeitpunkt ihres Auffindens eine Rettungsweste.

Dramatische Suche nach Angehörigen

Indes haben Angehörige die Suche nach ihnen nahestehenden Personen begonnen. Etwa Mohamed, der mit seinem Bruder auf dem Fischerkutter war und ihn seitdem vermisst. "Vielleicht ist er ertrunken, vielleicht hat er überlebt, ich weiß es noch nicht. Ich hoffe wirklich, dass er lebt", sagte er gegenüber "Peloponnisos". Auch von einem Freund seines Bruders, welcher mit ihnen auf dem Boot war, gibt es kein Lebenszeichen. "Sie haben ihnen die Handys abgenommen, sie hatten kein Internet. Sie haben ihnen die Handys abgenommen und abgeschaltet, das weiß ich", erzählt Mohamed von seinen Erlebnissen.

Angehörige aus dem Ausland sind ebenso nach Griechenland gereist, weil sie jemanden vermissen, der an Bord des Unglücksboots war. Unter ihnen sind viele syrische Flüchtlinge, wie Fedi, der in inzwischen in den Niederlanden lebt. Er hatte Glück, denn er hat seinen Bruder lebend am Hafen von Kalamata antreffen können. Ein Video, das die beiden beim Wiedersehen zeigt, geht gerade in Griechenland durchs Internet. Auch die beiden Cousins von Tarek aus Syrien sind unter den Überlebenden. "Sie haben mir eine Nachricht geschickt, dass sie leben. Ich bin aus Deutschland gekommen, um sie zu treffen und ihnen Klamotten und Geld zu bringen", sagte er. 

In den meisten Fällen erfährt die Suche wohl aber ein trauriges Ende. Malek, ein syrischer Flüchtling, der mit einem Freund  ebenfalls aus Deutschland angereist ist, um seine Frau zu suchen, sagte: "Ich habe das letzte Mal vor sieben Tagen mit ihr gesprochen. Sie hatte 4000 Euro bezahlt, um auf das Boot zu steigen. Ich weiß nicht, wo sie ist." Dann brach er in Tränen aus.

Der Syrer Ayoub, der laut Schätzungen der Tageszeitung "Kathimerini" etwa 20 Jahre alt ist, ist nach dem Bekanntwerden des Bootsunglücks aus den Niederlanden angereist. Acht Tage zuvor hatte er mit seinem jüngeren Bruder gesprochen, der mit einem Boot nach Italien übersetzen wollte. Über die verzweifelte Suche, seinen Bruder am Hafen von Kalamata vorzufinden, sagte er gegenüber der "Kathimerini": "Sie erlauben mir weder, die Überlebenden zu treffen noch die Leichen zu sehen. Ich weiß nicht, was ich tun soll, aber mittlerweile habe ich keine Hoffnung, ihn nochmal zu treffen."

Ein syrischer Mann, nach eigenen Angaben arbeitet er in Belgien und ist Schätzungen zufolge um die 45 Jahre alt, suchte seinen 17-jährigen Sohn. Er ist jedoch nicht unter den Überlebenden.

Griechenland: Keine Hoffnung auf weitere Überlebende

Aus diversen europäischen Ländern wie auch Großbritannien, Italien und Zypern unternehmen Angehörige dieser Tage eine Suche. Die Auflistung verzweifelter Angehöriger ließe sich wohl noch lange fortsetzen. Und in den meisten Fällen tritt die schlimmste Befürchtung ein. Zwar geht die großangelegte Suchaktion der Kriegsmarine und Luftwaffe weiter, die Hoffnung, noch Überlebende zu finden, wurde allerdings schon am Donnerstag auf Null herabgesetzt. Hunderte Vermisste, darunter laut übereinstimmenden Medienberichten Frauen und etwa 100 Kinder, die im Inneren des Bootes waren, wurden vermutlich mit dem sinkenden Boot in die Meerestiefe gerissen. Bisher wurden 78 Leichen geborgen, während die Zahl der Todesopfer vermutlich bei bis zu 500 liegt.

71 der überlebenden Migranten wurden hingegen am Freitag in eine Flüchtlingsunterkunft in Malakasa nördlich von Athen gebracht. Die neun mutmaßlichen Schleuser mit ägyptischer Staatsbürgerschaft wurden festgenommen. Sie sollen wegen Menschenhandels und fahrlässiger Tötung angeklagt werden.

Quellen: PeloponnisosSkai, Mega, Kathimerini, APE-MPE

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