DDR-Geheimdienst Die Paparazzi der Stasi

Ob Ausreisewillige, Künstler oder Rocker - DDR-Bürger, die sich den Vorstellungen der SED von einem sozialistischen Leben entzogen, weckten das Interesse der Stasi-Fotografen. Dabei ging Mielkes Fototruppe nicht nur heimlich vor.

"Die Fotografie in der Hand eines Tschekisten ist eine wirksame Waffe gegen den Feind", hieß es in einem Lehrbuch der Staatssicherheit. Und diese Waffe nutzten die Mitglieder der SED-Spitzelorganisation ausgiebig, die sich intern nach dem Vorbild der sowjetischen Geheimpolizei "Tscheka" benannten. Mehr als 1,4 Millionen Fotos aus den Stasi-Kameras lagern in der Birthler-Behörde. Die Historikerin Karin Hartewig hat sich durch die Fotoflut gekämpft und viele der Aufnahmen ausgewertet.

"Dieser Bilderberg entstand vor allem ab Anfang der siebziger Jahre", erläutert Hartewig. Noch in den fünfziger Jahren hatte die Stasi auf Denunziationen, schnelle Verhaftungen, erpresste Geständnisse und geheime Prozesse gesetzt. "Die Spezialisten brachialer Gewalt mussten das mühselige Handwerk der geheimen Beobachtung und Dokumentation erst lernen", schreibt die Historikerin in ihrem Buch "Das Auge der Partei".

Knipsen in allen möglichen Situationen

Schon in den sechziger Jahren hatten die "Paparazzi der Stasi" diese Techniken aber perfektioniert. Geknipst wurde in allen möglichen Situationen. Die Kameras waren in Damenhandtaschen, künstlichen Bäuchen, Kanistern, Gießkannen auf dem Friedhof oder Autotüren eingebaut. Zur Bespitzelung westlicher Politiker und Geschäftsleute scheuten sich die Spanner im offiziellen Auftrag nicht, Wände in Hotelzimmern zu durchbohren und Objektive auf die Transitverbindungen nach Westberlin sowie auf die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin zu richten.

Im Fokus der heimlichen Fotografen standen aber vor allem diejenigen DDR-Bürger, die sich den engen Vorstellungen der SED von einem "sozialistischen Leben" entzogen. "Rocker, unangepasste Künstler und Intellektuelle, die Jugendszenen der Punks und Skinheads zogen das Interesse der Spitzel auf sich", beschreibt Historikerin Hartewig das Ausmaß. Im Archiv der Birthler-Behörde stieß sie auf ganze Fotomappen von Oppositionellen, die wegen ihrer Bekanntheit nicht einfach eingesperrt werden konnten.

Prominentestes Beispiel ist der Regimekritiker Robert Havemann. "Er führte ein Leben unter Aufsicht", sagt Hartewig. Von den Nachbargrundstücken aus observierte die Stasi ständig sein Haus in Grünheide bei Berlin, jeden Besucher hielt sie auf Film fest, bei Fahrten in die Stadt folgten Honeckers Bilderjäger Havemann ebenso. Die Historikerin fand eine Mappe mit mehr als 50 entsprechenden Aufnahmen. "Sogar sein Begräbnis geriet zur Überwachungsorgie", erklärt sie.

West-Journalisten extra markiert

Schon auf dem Bahnhof und an den Bushaltestellen wurden an jenem 17. April 1982 die eintreffenden Trauergäste fotografiert. Auf diese Weise verschaffte sich die Geheimpolizei einen Überblick über die DDR-Oppositionskreise der frühen achtziger Jahre, West-Journalisten wurden auf den Bildern extra markiert. Und Havemann hielt seine Bewacher weit über seine Beisetzung hinaus auf Trab. Alljährlich an seinen Geburts- und Todestagen fanden sich die Spitzel erneut ein, weil sie zu diesen Anlässen Protestaktionen fürchteten.

Dabei ging die Stasi nicht unbedingt nur heimlich vor. Zuweilen zückten die "Tschekisten" ganz offen ihre Kameras, um das Opfer einzuschüchtern. Neben den kritischen Intellektuellen und der unangepassten Jugend rückten die Ausreisewilligen immer wieder ins Blickfeld der Stasi. Prominente wie der Schauspieler Manfred Krug wurden heimlich an Grenzübergängen fotografiert, wenn sie offiziell die DDR verließen. Wurden dagegen Flüchtlinge bei dem Versuch erwischt, den Todesstreifen zu überqueren, so hatten diese oft auf demütigende Weise ihren Fluchtversuch für die Kameras nochmals nachzustellen.

Einblicke in das Alltagsleben

Aus heutiger Sicht bietet die Fotowut der Stasi immerhin den Historikern Vorteile, die sich mit der jüngsten Zeitgeschichte Ostdeutschlands befassen. Denn die Hinterlassenschaften gestatten nicht nur Einblicke in die Oppositionellenszene, sondern auch in das Alltagsleben der DDR. Nicht zuletzt gewähren sie auch einen Blick hinter die Deckung des Geheimdienstes. Regelmäßig hielt Mielkes Fototruppe steife Ordensübergaben im eigenen Kreis und Betriebsfeiern der Stasi fest. Historikerin Hartewig: "Diese Kleinbürgerlichkeit und Miefigkeit der Feiern, die nicht selten in kollektiven Besäufnissen endeten, haben mich besonders irritiert."

(Karin Hartewig: Das Auge der Partei. Fotografie und Staatssicherheit. Ch. Links Verlag Berlin)

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Sven Kästner/AP

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