Bei der Verleihung des Friedensnobelpreises an Narges Mohammadi hat sich die iranische Menschenrechtsaktivistin mit einer kämpferischen Botschaft aus der Haft in Teheran zu Wort gemeldet. In ihrer Preisrede, die am Sonntag bei der Zeremonie in Oslo von ihren beiden Kindern vorgelesen wurde, ging Mohammadi mit dem "tyrannischen und frauenfeindlichen Regime" in ihrem Land hart ins Gericht. Die internationale Gemeinschaft forderte sie auf, sich stärker für die Menschenrechte einzusetzen.
Sie sei eine iranische Frau, die stolz darauf sei, das reiche zivilisatorische Erbe ihres Landes weiterzutragen, "das heute von einem tyrannischen und frauenfeindlichen religiösen Regime unterdrückt wird", erklärte die 51-Jährige in ihrer vor der norwegischen Königsfamilie verlesenen Botschaft, die sie nach eigenen Angaben "hinter den hohen Mauern eines Gefängnisses geschrieben" hat.
Das iranische Volk aber "wird durch seine Beharrlichkeit allen Widerstand und Despotismus beseitigen", gab sie sich zuversichtlich. "Habt keine Zweifel – das ist sicher."
Narges Mohammadis Familie steht hinter hier
Bei der Zeremonie im Rathaus der norwegischen Hauptstadt blieb ihr Stuhl leer, an der Wand hing ein großes Porträt von ihr. Die 51-Jährige konnte nicht selbst zur Verleihung nach Oslo kommen und musste ihre Rede im berüchtigten Evin-Gefängnis verfassen. In Oslo stand für Mohammadi ein leerer Stuhl auf der Bühne. Dahinter hing ein Porträt der Preisträgerin mit offenem Haar – eine Anspielung auf den Kopftuchzwang im Iran. An ihrer Stelle nahmen ihre in Frankreich im Exil lebenden Kinder, die 17-jährige Kiana Rahmani und ihr Zwillingsbruder Ali, den Friedensnobelpreis entgegen. Die Rede ihrer Mutter hielten sie auf Französisch. Auch Mohammadis Mann Taghi Rahmani und weitere Angehörige waren in Oslo.
Mohammadi bekannte in ihrer Nobelpreisrede, sie sei eine von Millionen stolzer und widerstandsfähiger iranischer Frauen, die sich gegen Unterdrückung, Diskriminierung und Tyrannei erhoben hätten. Unter einer Tyrannei zu leben, gleiche dem Leben eines unbewaffneten, wehrlosen Menschen unter Raketenbeschuss und Kugelhagel.
Im Iran gebe es keine unabhängige Justiz, Günstlingswirtschaft und Korruption hätten die Gesellschaft in Armut und tiefe Ungleichheit gestürzt, kritisierte Mohammadi. Auf Proteste antworte die Regierung mit Gewalt und Festnahmen. Der Kopftuchzwang für Frauen sei ein Versuch, die Gesellschaft zu unterwerfen
Mohammadi kämpft im Iran für Frauenrechte und Meinungsfreiheit
Narges Mohammadi spielt eine zentrale Rolle im Kampf für Frauenrechte und Meinungsfreiheit in ihrem Land. Sie setzt sich gegen den Kopftuchzwang sowie gegen die Todesstrafe im Iran ein. Dafür wurde sie seit 1998 wiederholt inhaftiert und auch ausgepeitscht.
Seit November 2021 sitzt sie wegen "Propaganda gegen den Staat" erneut in Haft. Derzeit ist sie im Hungerstreik, um auf das Schicksal der religiösen Minderheit der Bahai aufmerksam zu machen, die im Iran massiv diskriminiert wird. Mohammadi wurde nach Angaben des norwegischen Nobelkomitees 13-mal verhaftet und fünfmal verurteilt – zu insgesamt 31 Jahren Gefängnis und 154 Peitschenhieben. Sie hat wiederholt über sexuelle Gewalt und andere Misshandlungen im Evin-Gefängnis berichtet.
Das norwegische Nobelkomitee hatte Mohammadi den Friedensnobelpreis Anfang Oktober "für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und ihren Kampf für die Förderung der Menschenrechte und der Freiheit für alle" zuerkannt.
Die 51-Jährige unterstützt zudem die Protestbewegung "Frau, Leben, Freiheit", die den Iran nach dem Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini erfasst hat. Die 22-jährige Amini war im September 2022 nach ihrer Festnahme wegen eines angeblich zu locker getragenen Kopftuchs gestorben. Nach Angaben ihrer Familie starb sie nach Misshandlungen durch die Sittenpolizei.
Fünfte Nobelpreisträgerin in Haft
Mohammadi mahnte, damit die Bewegung Erfolg habe, brauche es eine starke iranische Zivilgesellschaft und internationale Unterstützung. Sie sei sicher, dass der Friedensnobelpreis die Bewegung stärken werde. "Ich bin davon überzeugt, dass die Globalisierung des Friedens und der Menschenrechte grundlegender und wirksamer ist als die Globalisierung von irgendetwas anderem", betonte sie.
"Heute hat die iranische Jugend die Straßen und öffentlichen Räume in eine Arena des zivilen Widerstands verwandelt", konstatierte Mohammadi. "Ich bin zuversichtlich, dass das Licht der Freiheit und der Gerechtigkeit hell auf das Land Iran scheinen wird."
Mohammadi hat ihre Kinder seit bald neun Jahren nicht mehr gesehen. Auf die Frage, ob sie ihre Mutter überhaupt eines Tages wiedersehen werden, antwortete Kiana am Samstag vor Reportern, sie persönlich sei "eher pessimistisch". Ihr Bruder Ali versicherte hingegen, er bleibe "sehr, sehr optimistisch".
Mohammadi ist die fünfte Preisträgerin in der mehr als 120-jährigen Geschichte des Friedensnobelpreises, die während ihrer Haft die Auszeichnung erhält. Sie folgt auf den deutschen Journalisten und Pazifisten Carl von Ossietzky, Aung San Suu Kyi aus Myanmar, Liu Xiaobo aus China und Ales Beliatski aus Belarus.