J. Engelmann: "Jede Woche, Baby!" Ankommen und aufbrechen

An einem Bahngleis strömen Menschen - verzerrt unkenntlich gemacht - hin und her, auf die Rolltreppe, in einen Zug hinein.
Ankommen und aufbrechen - ständig sind wir in Bewegung
© Kay Nietfeld/DPA
In dieser schnelllebigen Zeit sind wir ständig unterwegs. Wir haben Verpflichtungen, Pläne und Ziele und irren ständig umher. Auch Julia Engelmann ist rastlos.

Und schon wieder bin ich irgendwo angekommen, wo ich nicht lange bleiben kann. Ich laufe immer umher, um endlich irgendwo anzukommen, aber eigentlich will ich nie irgendwo lange sein, weil das auch gar nicht geht. Und trotzdem will ich immer auf dem Weg sein zu irgendeinem Ort und mir vorstellen wie ich in ihm mein lang ersehntes Zuhause finde.

Ich gehe zur Schule und will das Abi, ich gehe zur Uni und will den Abschluss, ich lerne dich kennen und will, dass wir uns verlieben und zusammen kommen, ich bin im Dezember und will endlich Weihnachten, dann Silvester, dann Geburtstag, und dann endlich Dezember und dann endlich Weihnachten.

Es ist jetzt 22:54 und endlich bin ich hier, an diesem Platz, an den ich so lange gedacht habe, endlich, fertig mit dieser Sache, die so lange fertig werden sollte. 

Ich kann nicht lange bleiben

Und schon wieder weiß ich, ich kann nicht lange bleiben, weil ich absolut nicht bleiben will, weil es hier gar nichts zu holen gibt, außer das Ankommen, weil das hier kein Moment zum bleiben ist. Kein Moment ist einer zum bleiben, das ist die Wahrheit – sonst gäbe es auch nicht viele davon, sondern nur einen einzigen. Vielleicht ist alles nur ein einziger, langer Moment, aber irgendwie brauche ich ja Orientierung, deshalb versuche ich so viele kleine Einheiten wie möglich zu finden.

Schon wieder geht es um den neuen Weg, den neuen Ort, das neue Ziel, die neue Vorstellung von etwas, was vielleicht ein bisschen Zuhause sein könnte. Und schon wieder stellt sich die Frage: Was kommt als nächstes?

Wir reden immer darüber, wo wir herkommen und wo wir hingehen und viel zu selten darüber, wo wir sind. Es ist, als ob unsere Identität nicht mit der Gegenwart klarkommt, als ob sie ihr nicht genug ist. Es ist, als ob wir immer eine Sicherung brauchen, rückwärts und vorwärts, und damit erklären wir dann das jetzt. Aber müsste nicht eigentlich die größte Sicherheit aus der Gegenwart entstehen, wäre das nicht am Schönsten?

Immer auf der Suche und unterwegs

Es ist jetzt 23:02 und ich frage mich, ob das irgendwann aufhört, also ob ich irgendwann ein erreichtes Ziel zu einem Zuhause machen werde. Ich frage mich, ob ein Ort irgendwann den Vorstellungen entsprechen kann, die ich mir auf dem Weg dahin mache oder sie vielleicht noch übertrifft, so dass ich dort meine Zelte aufschlagen will.

Vielleicht will ich meine Zelte auch gar nicht aufschlagen, vielleicht ist das nur ein guter Grund, um immer auf der Suche und unterwegs zu sein. Ja, vielleicht ist gute Ziele zu haben einfach der beste Grund, den besten Weg zu gehen. Und das mache ich, weil ich nämlich gerne unterwegs bin.

Ich muss nirgends sesshaft werden, weil der Weg schon lange mein Zuhause ist. Weil mein Zuhause nicht da ist, wo meine Zelte stehen, sondern da, wo ich mich am wohlsten fühle.

Ich will den Oktober mögen und das Resteessen nach Weihnachten und das Aufräumen nach Silvester. Ich will den Februar schätzen und die Vorfreude auf meinen Geburtstag feiern, an 364 Tagen im Jahr. Ich will die Unsicherheiten beim Kennenlernen genießen und die ungesagten Dinge beim Abschied und daraus lernen, wenn etwas schief geht und immer wissen, dass ich lebendig bin.

Es ist 23:09 und ich kann es nicht abwarten, endlich wieder aufzubrechen und dann anzukommen und dann aufzubrechen. Und anzukommen. Und aufzubrechen.

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