Mafia-Organisation Erpressung, Mord, Drogenhandel: Wie die 'Ndrangheta Geld verdient

In einem Gerichtssaal stehen Männer in Anzügen, die der 'Ndrangheta angehören sollen
In Italien läuft ein Prozess gegen 350 mutmaßliche 'Ndrangheta-Mitglieder
Weithin bekannt wurde die 'Ndrangheta in den 1980er und 90er Jahren durch eine Serie von Entführungen in ganz Italien. Wie die Mafia-Organisation ihr Geld macht und sich trotzdem von anderen unterscheidet. 

In Italien hat ein Gericht in Kalabrien beim größten Mafia-Prozess seit mehr als drei Jahrzehnten Haftstrafen von vielen Hundert Jahren verhängt (mehr dazu lesen Sie hier). Das XXL-Verfahren in Lamezia Terme richtete sich gegen die kalabrische 'Ndrangheta, Italiens mächtigste Mafia-Organisation, die weder vor Erpressung noch vor Mord zurückschreckt und hinter Drogenhandel, Geldwäsche und illegaler Müllentsorgung steckt. Ein Überblick:

Wo liegen die Ursprünge der 'Ndrangheta?

Der Name der 'Ndrangheta soll aus dem Griechischen stammen. Das griechische Wort "andranghateia" steht für eine Gruppe von "Ehrenmännern", das Wort "andrangatho" für militärisches Kämpfen.

Die Wurzeln der Gruppe, die in Italien erst seit 2010 offiziell als Mafia-Organisation eingestuft ist, reichen bis zur Gründung des italienischen Nationalstaats 1861 zurück.

Weithin bekannt wurde die 'Ndrangheta in den 1980er und 90er Jahren durch eine Serie von Entführungen in ganz Italien. Auch die Entführung eines Enkels von US-Ölmilliardär John Paul Getty in den 70er Jahren soll auf das Konto der 'Ndrangheta gehen. Über die Jahre hat sich die 'Ndrangheta zur mächtigsten und reichsten Mafia-Organisation Italiens entwickelt – vor der sizilianischen Cosa Nostra und der neapolitanischen Camorra.

Was sind ihre Betätigungsfelder?

Der Richter Roberto Di Bella, der sich seit rund drei Jahrzehnten mit der kalabrischen Mafia beschäftigt, nannte die 'Ndrangheta einmal "die vielleicht mächtigste kriminelle Vereinigung der Welt". Mit Sicherheit aber sei sie am weitesten verbreitet – bis in alle fünf Kontinente. Zu ihren Betätigungsfeldern gehören Drogenhandel, Erpressung, Geldwäsche und illegale Müllentsorgung.

Die mehr als tausend Zeugen im Prozess in Lamezia Terme schilderten unter anderem Angriffe aus dem Hinterhalt, Erpressungen von Geschäftsinhabern, Manipulationen bei öffentlichen Ausschreibungen, Stimmenkauf und Bestechung von Menschen in Machtpositionen.

Die 'Ndrangheta stützt sich – stärker als andere Mafia-Organisationen – auf Familienstrukturen und Blutsverwandtschaft. Diese Struktur sorgt laut Di Bella für starken Zusammenhalt, "weil es nur wenige Abtrünnige gibt". Die daraus resultierende Verlässlichkeit macht die 'Ndrangheta zu einem beliebten Geschäftspartner für kolumbianische oder mexikanische Kartelle, die beim Drogenhandel in Europa mit ihr zusammenarbeiten.

Wie sehen Strukturen und Vermögen aus?

Die italienischen Behörden schätzen, dass die 'Ndrangheta aus rund 150 Clans und deren Helfern besteht und weltweit mindestens 20.000 Mitglieder hat. Anti-Mafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri geht von einem weltweiten Jahresumsatz der 'Ndrangheta von mehr als 50 Milliarden Euro aus. Ein Großteil davon stammt demnach aus dem Kokainhandel. Die Gewinne aus illegalen Aktivitäten wäscht die 'Ndrangheta mit Investitionen in die legale Wirtschaft.

In Kalabrien hat die Mafia-Organisation fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens unterwandert, von den Stadtverwaltungen über Krankenhäuser bis hin zu den Gerichten.

Staatsanwalt Gratteri, der wegen seiner Ermittlungen seit mehr als 30 Jahren unter Polizeischutz steht, sagte bei der der Eröffnung des Maxi-Prozesses in Lamezia Terme im Januar 2021, die 'Ndrangheta sei "nicht mehr eine Mafia aus Schäfern, die sich auf Entführungen verlegt haben, sondern ein großes kriminelles Unternehmen".

Ist die 'Ndrangheta auch in Deutschland aktiv?

Der Kampf gegen die 'Ndrangheta beschäftigt auch die deutsche Polizei. Sie beteiligte sich im Mai an einer europaweiten Großrazzia gegen die kalabrische Mafia. Deutschland war nach Italien das Land mit den zweitmeisten der insgesamt 132 Festnahmen. Die Ermittler in mehreren Bundesländern durchsuchten Wohn- und Geschäftsräume an zahlreichen Orten und vollstreckten mehr als 30 Haftbefehle.

Italien: Polizei gelingt schwerer Schlag gegen die Mafia
Maxi-Operation: Polizei gelingt schwerer Schlag gegen die Mafia

Im Juni meldete Europol einen weiteren internationalen Großeinsatz gegen die 'Ndrangheta mit insgesamt 31 Festnahmen, davon fünf in Deutschland. Sie sollen ein Netzwerk aufgebaut haben, um hauptsächlich Kokain von Südamerika über mehrere europäische Häfen nach Deutschland und Italien zu schmuggeln. Zu diesem Zweck hatte die Gruppe laut Europol "in Deutschland Unternehmen gegründet, um den Drogenschmuggel zu erleichtern".

Für Schlagzeilen in Deutschland hatte die 'Ndrangheta bereits im August 2007 gesorgt. Damals wurden in Duisburg vor dem italienischen Restaurant "Da Bruno" sechs Männer im Alter zwischen 16 und 39 Jahren erschossen, die Täter richteten ihre Opfer mit 54 Schüssen hin. Nach Erkenntnissen der Ermittler war der Sechsfachmord blutiger Höhepunkt einer jahrelangen Fehde zwischen verfeindeten Clans der 'Ndrangheta aus dem kalabrischen Ort San Luca.

AFP
tkr/Alexandria Sage

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