Amokfahrer von Berlin Staatsanwaltschaft wirft ihm Mord und versuchten Mord vor, beantragt Unterbringung in Psychiatrie

Kerzen und ein Blumenstrauß liegen auf dem Bürgersteig an der Tauentzienstraße
Kerzen und ein Blumenstrauß liegen auf dem Bürgersteig an der Tauentzienstraße. Am Vortag war ein 29-jähriger hier mit seinem Auto in der Nähe der Berliner Gedächtniskirche in eine Schülergruppe aus Hessen gefahren, deren Lehrerin ums Leben kam. 
© Fabian Sommer / DPA
Der Fahrer eines Kleinwagens, der am Mittwoch in der Berliner Innenstadt in eine Schulklasse gefahren ist und dabei eine Lehrerin getötet hat, soll in eine Psychiatrie eingewiesen werden. Das beantragt die Staatsanwaltschaft.

Nach der Todesfahrt in Berlin beantragt die Staatsanwaltschaft die Unterbringung des Fahrers in einer psychiatrischen Anstalt. Das teilte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Sebastian Büchner, am Donnerstag mit. Der sogenannte Unterbringungsbefehl sei in Arbeit. Die Entscheidung eines Ermittlungsrichters werde noch am selben Tag erwartet. Es gebe Anhaltspunkte dafür, dass der festgenommene 29-Jährige an einer paranoiden Schizophrenie leide. Es gebe keine Anhaltspunkte für einen terroristischen Hintergrund. "Aber auch ein Unfall wird sich vor diesem Hintergrund ausschließen lassen", so Büchner.

Die Berliner Staatsanwaltschaft geht bei der Todesfahrt am Ku'damm in der Hauptstadt von einer vorsätzlichen Tat aus. Der Täter ist demnach in zwei Menschengruppen gefahren. Der Mann sei "bewusst mit einem Fahrzeug" in eine erste Gruppe von Menschen an der Ecke Ku'damm und Rankestraße sowie dann auf der Tauentzienstraße in eine Gruppe von Schülern und Lehrern gefahren. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm einen Mord sowie 31 Fälle von versuchtem Mord vor und außerdem einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Die Mordmerkmale seien Heimtücke und Begehung mit gemeingefährlichen Mitteln.

Die Einsatzkräfte ermitteln weiter intensiv. "Die Ermittlungen werden von der Mordkommission geführt und laufen auf Hochtouren. Die Maßnahmen vor Ort sind abgeschlossen", sagte Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) am Donnerstag im Abgeordnetenhaus, dem Landesparlament Berlins. Der Todesfahrer befinde sich im Polizeigewahrsam und werde am Donnerstag einem Richter vorgeführt, sagte Spranger. Der Richter kann einen Haftbefehl ausstellen, so dass der Mann in Untersuchungshaft kommt.

Mutmaßlicher Amokfahrer hatte offenbar psychische Probleme

Am Mittwochvormittag war der Autofahrer an der Gedächtniskirche über Gehwege des Ku'damms und der Tauentzienstraße gerast und hatte eine Menschengruppe erfasst. Dabei wurde eine Lehrerin getötet, mehrere Schüler:innen wurden teils lebensgefährlich verletzt.

Noch am Abend hatte die Polizei die Wohnung des Fahrers durchsucht. Spranger sagte: "Zurzeit wird sowohl das Mobiltelefon als auch der Computer sehr intensiv untersucht." Bei der Durchsuchung der Wohnung seien Medikamente zudem gefunden worden. Der Beschuldigte habe seine Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. 

Nach jüngstem Kenntnisstand habe der 29-Jährige in der Vergangenheit psychische Probleme gehabt, führte Spranger aus. "Die genauen Umstände müssen im Rahmen der laufenden Ermittlungen noch geklärt werden." Der Mann armenischer Herkunft sei 2015 eingebürgert worden. Polizeilich sei er öfter aufgefallen, es habe Ermittlungen gegeben wegen Körperverletzung, Hausfriedensbruchs und Beleidigung.

Berlin-Breitscheideplatz: Fahrzeug fährt in Menschenmenge – ein Toter
Berlin-Breitscheideplatz: Fahrzeug fährt in Menschenmenge – ein Toter
Fahrzeug fährt am Berliner Breitscheidplatz in Menschenmenge – ein Toter und mehrere Verletzte

Kein Bekennerschreiben gefunden

Über politische und extremistische Taten sei aber nichts bekannt. "Auch im Zusammenhang mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen ist der Tatverdächtige bisher nicht aufgefallen." Im Auto sei kein Bekennerschreiben gefunden worden, so Spranger. "Im Auto wurden Plakate gefunden. Ob und inwieweit diese im Zusammenhang mit der Tat stehen, ist auch Gegenstand der Ermittlungen." Spranger betonte: "Deshalb bewerte ich nach derzeitigem Stand das gestrige Geschehen als einen Amoklauf einer psychisch beeinträchtigten Person."

Auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sprach inzwischen von einer Amokfahrt eines psychisch gestörten Menschen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich am Mittwochabend via Twitter geäußert: "Die grausame Amoktat an der Tauentzienstraße macht mich tief betroffen." Die Polizei nutzte den Begriff "Amoktat" zunächst bewusst nicht. "Es gibt Tendenzen in diese Richtung, wir legen uns da aber noch nicht fest", hieß es dazu am Donnerstag.

Am Tatort am Ku'damm und der Tauentzienstraße arbeitete auch am Tag nach dem Vorfall erneut die Spurensicherung der Kriminalpolizei. Auch das sichergestellte Auto sollte noch einmal "intensiv durchsucht" werden. Die Polizei bat Zeugen, sich zu melden und auch mögliche Videos und Fotos der Tat an eine Internetseite der Polizei zu schicken.

Eine Tote, 29 Verletzte, sechs davon lebensgefährlich

Die Polizei sah weiterhin keinen politisch-extremistischen Hintergrund der Tat. Der Polizei zufolge stehen die gefundenen Plakate mit Äußerungen zur Türkei "inhaltlich nicht im Zusammenhang mit der Tat". Unklar war auch, wem sie gehören. Besitzerin des Autos ist die Schwester des Fahrers.

Neue Informationen gab es zur Zahl der Verletzten: Neben der getöteten Lehrerin aus Hessen wurden nach aktuellem Stand 29 Menschen verletzt, sechs von ihnen lebensgefährlich und drei schwer. Unter den Verletzten waren viele Schüler einer 10. Klasse aus Hessen, mit der die Lehrerin unterwegs gewesen war.

Am Mittag verschaffte sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Ku'damm einen Eindruck von der Situation. Mit Polizeipräsidentin Barbara Slowik besuchte sie das Areal am Breitscheidplatz und sprach mit Polizeibeamten.

Diskussionen über Sicherheit in Innenstädten

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein und Kultusminister Alexander Lorz (beide CDU) besuchten derweil im nordhessischen Bad Arolsen die Schule der betroffenen Abschlussklasse. "Es ist für uns ein ganz schwerer Tag, und wir haben ganz schwere Herzen", sagte Rhein.

Der tödliche Vorfall entfachte auch eine neue Debatte über Sicherheitsmaßnahmen in Innenstädten. Zu möglichen Schutzmaßnahmen durch Poller an Straßen sagte Giffey im RBB-Inforadio, zur Wahrheit gehöre auch, "dass wir nicht die ganze Stadt abpollern können und auch nicht den ganzen Ku'damm abpollern können". Es werde aber von den Behörden untersucht, was zur Sicherheit zusätzlich möglich sei. Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), einen hundertprozentigen Schutz vor derartige Amokfahrten, bei denen Autos als Waffe eingesetzt werden, könne es nicht geben.

DPA
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