Rund um den Flughafen In Hamburg zerstechen Unbekannte Hunderte Autoreifen - eine Spurensuche

Jennifer Pesch wohnt mehrer Kilometer vom Flughafen entfernt und ist auch keine Urlauberin. Ihre Reifen wurden trotzdem zerstochen
Jennifer Pesch wohnt mehrer Kilometer vom Flughafen entfernt und ist auch keine Urlauberin. Ihre Reifen wurden trotzdem zerstochen
© Thomas Krause / stern.de
In der Umgebung des Hamburger Flughafens wurden über 200 Autos mit auswärtigen Kennzeichen die Reifen zerstochen oder der Lack zerkratzt. Wer steckt hinter dem Vandalismus, der vor allem Urlauber zu treffen scheint? Und was sagen Betroffene?

Eine halbe Stunde nach der Landung von "Norwegian"-Flug D8 6500 strömen sie aus dem Ankunftsbereich von Terminal 2: Teneriffa-Urlauber. Sie sehen gut erholt aus. In Hamburg ist das Wetter kühl-grau, aber die braungebrannten Urlauber tragen Shorts und Sandalen. Ein schwarzhaariges Mädchen, vielleicht sechs Jahre alt, läuft mit einem Bodyboard in den Armen durch Terminal 2 des Hamburger Flughafens. Doch die Urlaubserholung einiger Fluggäste könnte sehr schnell dahin sein - zumindest, wenn sie ihr Auto während des Urlaubs in der Nähe des Airports geparkt haben.

Denn Unbekannte zerstechen in Hamburg nahe des Flughafens Reifen von Autos oder zerkratzen ganze Fahrzeuge. Montag meldete die Hamburger Polizei 130 Fälle, am Donnerstag waren schon 210 Fälle bekannt. "Aktuell wissen wir von 219 Fällen", sagte ein Polizeisprecher dem stern am Freitagvormittag. Die Zahl dürfte wohl noch steigen, wenn am Wochenende viele Urlauber in Hamburg landen und dann erst entdecken, dass die Reifen ihrer Autos platt sind.

Für die neuen Reifen an ihrem Wagen rechnet Pesch mit Kosten von etwa 500 Euro
Für die neuen Reifen an ihrem Wagen rechnet Pesch mit Kosten von etwa 500 Euro
© privat / stern.de

Jennifer Pesch kommt nicht aus dem Urlaub. Sauer und geschockt ist sie trotzdem: "Wieso vergreifen sich Leute einfach an fremdem Eigentum?" Die 32-Jährige hatte ihren Alfa Romeo Giulietta am Montag gegen 17.30 Uhr nahe ihrer Wohnung in Hamburg-Winterhude geparkt. Als sie mit ihrem Freund am nächsten Morgen in den Wagen steigt, fällt ihnen zunächst nichts auf. Sie fahren los und merken dann, dass etwas nicht stimmt. Alle vier Reifen sind platt. "Wir haben erst versucht, die Reifen wieder aufzupumpen. Dann haben wir die Einstiche bemerkt", sagt die Frau mit den langen, dunkelblonden Haaren. Obwohl sie in Hamburg lebt, ist der Wagen auf ihre Mutter gemeldet und hat deshalb kein "HH"-Kennzeichen.

Fast nur Autos mit auswärtigen Kennzeichen betroffen

Damit passt ihr Wagen ins Schema des oder der Reifenstecher. Die Polizei weiß nur von zwei Autos mit Hamburger Kennzeichen, die beschädigt wurden. Der Großteil kommt aus Dänemark, der Rest hat auswärtige Kennzeichen.

"Wir haben mehrere Arbeitshypothesen, denen wir nachgehen", sagte ein Polizeisprecher dem stern. Es könnten genervte Anwohner sein oder Angestellte der Firmen im betroffenen Gewerbegebiet, die die Autos beschädigen, weil sie selbst keine Parkplätze finden. Vielleicht sei auch ein psychisch Kranker für die platten Reifen verantwortlich.

Sind verärgerte Anwohner die Täter?

Gegen die Täterschaft von Anwohnern spricht, dass sich laut "Abendblatt" alle bisher bekannten Fälle außerhalb der rund um den Flughafen ausgewiesenen Anwohner-Parkzonen ereignet haben. Daher geht die Polizei laut der Zeitung auch einem anderen Verdacht nach: Steckt ein Konkurrenzkampf zwischen unterschiedlichen Park-Services am Hamburger Flughafen hinter den Taten?

Die Preise für einen Parkplatz am Hamburger Flughafen hängen an den Kassenautomaten aus
Die Preise für einen Parkplatz am Hamburger Flughafen hängen an den Kassenautomaten aus
© Thomas Krause / stern.de

Sein Auto in einem Parkhaus nahe der Terminals zu parken, kostet für eine Woche 85 Euro, für zwei Wochen 105 und bei drei Wochen Urlaub schlägt das Parken mit 125 Euro zu Buche. Daneben konkurrieren diverse Anbieter um die Wagen der Fluggäste. "Es ist schon komisch, dass Dänen, die ja keine Ortskenntnis haben dürften, geballt in einem Gewerbegebiet ihre Fahrzeuge abstellen", sagte ein Polizeibeamter laut "Hamburger Abendblatt".

Streit unter Parkservice-Anbietern?

Laut der Zeitung geht die Polizei auch der These nach, dass die dänischen Autofahrer einem unseriösen Anbieter in die Fänge gegangen sein könnten: Statt die Autos auf einem abgesicherten Gelände abzustellen, kassiert womöglich jemand Geld dafür, die Wagen einfach am Straßenrand abzustellen. "Die Konkurrenz ist groß, jeder kann diesen Service anbieten. Das ist natürlich ein Tummelplatz für schwarze Schafe", zitiert das "Abendblatt" den Mitarbeiter eines Parkservices. "In der Branche wird mit harten Bandagen gekämpft."

Pesch sitzt am Esstisch in einer Ecke ihres Wohnzimmers, während sie erzählt. Ihr Baby nutzt währenddessen den braunen Couchtisch als Gehhilfe und schiebt ihn bis zur Tür. Als das Kind mit Tisch nicht mehr weiterkommt, krabbelt es in den Flur. 

Mit 500 Euro für neue Reifen rechnet die Mutter. Vandalismus ist nur bei teureren Vollkasko-Versicherungen mit abgesichert. Peschs Versicherung zahlt nicht. "Unsere Reifen waren nicht neu, aber gerade erst aufgezogen", sagt Pesch. Weil sie ihr Auto brauchen, fahren sie erst einmal wieder auf Winterreifen.

Gibt es schon Nachahmer?

Ein Ford mit platten Reifen steht auf einer Straße mit Kopfsteinpflaster
An diesem in Hamburg-Winterhude geparkten Ford sind drei Reifen platt
© Thomas Krause / stern.de

"Eigentlich ist der Flughafen zu weit weg", sagt Pesch. Ihre Wohnung liegt gut fünf Kilometer von Hamburg-Fuhlsbüttel entfernt. Mit einem Taxi braucht man etwa zwölf, mit Bus und Bahn fast zwanzig Minuten bis zu den Terminals. "Vielleicht gibt es ja auch Nachahmer", sagt Pesch. "Andererseits hatten wir noch gar nichts von den anderen Fällen gehört, als unsere Reifen kaputt waren."

Pesch kann weder das Familienauto schützen, noch großartig etwas anders machen. "Miet-Parkplätze sind in unserer Gegend selten und teuer." Also parkt sie weiterhin, wo eben ein Parkplatz frei ist. In der Straße, in der ihre Reifen aufgestochen wurden, steht ein Ford mit Mannheimer Kennzeichen. Nur im rechten Hinterreifen ist noch Luft.

Quellen: Eigene Recherchen, Polizei HamburgHamburger Abendblatt, Hamburger Morgenpost.

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