Prozess in Stuttgart Tochter betäubt, verschleppt und verheiratet: Eltern und Onkel droht Haft

Auf der Anklagebank im Landgericht Stuttgart sitzen die angeklagten Eltern und der Onkel zwischen Anwälten und Dolmetscher
Die angeklagten Eltern (2. v.l. und 4. v.l) und der angeklagte Onkel (r.) sitzen zum Prozessauftakt im Landgericht in Stuttgart neben einem Dolmetscher (M.) und ihren Anwälten
© Roland Böhm/DPA
Der Freund und der Lebenswandel einer 22-Jährigen waren ihrer Familie wohl ein Dorn im Auge. Deshalb sollen die Eltern und der Onkel der jungen Frau sie betäubt und in die Türkei entführt haben. Nun stehen sie in Stuttgart vor Gericht.

Nachdem sie ihre Tochter vor knapp sieben Jahren zum Heiraten in die Türkei verschleppt haben sollen, stehen die Eltern und ein Onkel wegen Geiselnahme vor Gericht. 2011 soll der Onkel die damals 22-Jährige in Stuttgart abgepasst, ihr einen Eiskaffee mit einem Schlafmittel gegeben und im Auto nach Ostanatolien verschleppt haben. Als sie aufwachte, befand sich das Auto laut Anklage schon in Bulgarien. Neben ihr saß ihr Vater. Die Frau wurde in der Türkei im Haus ihrer Großmutter festgehalten und später gegen ihren Willen verheiratet.

Der Prozess startete am Montag mit etlichen Unterbrechungen. Die Eltern und auch der Onkel lehnten einen Verständigungsvorschlag des Gerichts ab. Mit diesem wären sie bei einem Geständnis jeweils mit Bewährungsstrafen davongekommen. Insbesondere die Verabreichung eines Schlafmittels bei der Verschleppung 2011 Richtung Türkei könne nicht eingestanden werden, sagte einer der Anwälte.

Freund und Lebenswandel störten die Familie

Hintergrund der Tat soll sein, dass die Familie den neuen Freund und den westlichen Lebenswandel der jungen Frau strikt ablehnte. 2011, die Tochter war gerade 22 Jahre alt, eskalierte der Streit. "Ich wollte meinen Weg gehen", sagte die heute 28-Jährige am Montag. Laut Anklage drohte die Familie, ihr "sämtliche Knochen zu brechen". Die Frau erinnerte sich: "Ich hatte Angst." Sie floh nach Essen und fand in einem Frauenhaus in Stuttgart Unterschlupf.

Im Mai 2011 holte ihr Onkel sie an ihrer Arbeitsstätte in der Stuttgarter Innenstadt unter dem Vorwand ab, er habe etwas zu besprechen. Auf einem Parkplatz reichte er ihr einen Eiskaffee, in den er zuvor Schlaf- und Betäubungsmittel gerührt hatte. "Alles um mich wurde plötzlich schwer", erinnerte sie sich. Als die 22-Jährige aufwachte, befand sich das Auto laut Anklage schon irgendwo kurz vor der türkischen Grenze.

Entführte war bei Heirat nicht einmal dabei

Um ohne Gegenwehr über die nächste Grenze zu kommen, erzählten Onkel und Vater der jungen Frau, ihr Bruder liege in der Türkei im Sterben. Nach 3500 Kilometern und sechs Staatsgrenzen in Bingöl tief in Ostanatolien angekommen, nahm die Familie ihr die Papiere ab. Sie musste im Haus ihrer Oma bleiben. Man habe für sie einen Ehemann ausgesucht, den sie nach türkischem Brauch heiraten sollte, wurde ihr eröffnet. Bei ihrer Hochzeit Ende 2011 war die junge Frau schließlich nicht mal dabei - das ist in Anatolien möglich.

Im Januar 2013 gelang ihr über Izmir die Flucht nach Hannover. Auch die jeweils 52 Jahre alten Eltern und der 45 Jahre alte Onkel leben wieder Deutschland. Vater und Mutter in Friedberg (Wetteraukreis), der Onkel in Frankfurt. Die heute 28-Jährige lebe an einem gesicherten Ort, der nicht genannt wurde. Eltern und Onkel sind nicht in Haft, nichtsdestotrotz droht ihnen jetzt aber eine Haftstrafe.

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"Lieber tot als verheiratet"
DPA
tkr

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