Flammentod in Polizeizelle Die wahre Tragödie hinter dem Tatort - und warum sie weiter Rätsel birgt

Von Kerstin Herrnkind
Im Tatort "Verbrannt" siegt die Gerechtigkeit. Ganz anders als im wahren Fall. Am Urteil zum Tod des Schwarzafrikaners Oury Jalloh, der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle starb, gibt es weiter Zweifel.

Dessau, 7. Januar 2005, morgens um kurz nach acht. Zwei Putzfrauen rufen die Polizei. Sie seien im Park von einem Schwarzen belästigt worden. Eine Streife fährt los und stellt den Mann. Es ist der 36-Jährige Oury Jalloh, ein abgelehnter Asylbewerber aus Sierra Leone, der kurz zuvor wegen Drogenhandels zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden ist.

Oury Jalloh ist betrunken und steht unter Drogen. Die Beamten stecken ihn in die Gewahrsamszelle im Keller der Polizeiwache. Angeblich, so heißt es später im Protokoll, randaliert er. Die Beamten fesseln ihn mit Handschellen an Händen und Füßen und legen ihn auf die Pritsche. Was dann geschieht, ist noch heute ein Rätsel. Fest steht nur, dass Oury Jalloh an diesem Tag zwischen 12.04 Uhr und 12.09 Uhr in der Gewahrsamszelle verbrennt. Bei lebendigem Leibe. Unter Aufsicht der Polizei.

Beweismittel verschwinden

Die Ermittlungen gestalten sich als schwierig - wie auch im Tatort "Verbrannt". Doch im Gegensatz zum Sonntagabend-Krimi ist die wahre Tragödie bis heute noch nicht restlos aufgeklärt. Bei dem Toten werden die geschmolzenen Überreste eines roten Plastikfeuerzeugs sichergestellt. Der Afrikaner, so das Ermittlungsergebnis, soll sich selbst angezündet haben. Doch wie soll das möglich gewesen sein? Oury Jalloh war an Händen und Füßen gefesselt. Und warum hatte er ein Feuerzeug bei sich? Häftlinge werden durchsucht, bevor sie in die Gewahrsamszelle gesperrt werden. Außerdem war der Mann im Vollrausch. Gerichtsmediziner weisen 2,98 Promille Alkohol sowie Spuren von Kokain und Cannabis in seinem Blut nach.

Wichtige Beweismittel wie Videoaufnahmen und eine Handfessel verschwinden. Es kommt heraus, dass der Feuermelder Alarm geschlagen hatte. Und abgeschaltet wurde. Zwei Mal. Von Polizeibeamten, die an einen Fehlalarm geglaubt hatten. Dabei war der Feuermelder erst kurz vorher repariert worden. Auch die Sprechanlage, mit der die Zelle abgehört wurde, war um kurz vor zwölf Uhr leiser gestellt worden. Angeblich, weil ein Polizist in Ruhe telefonieren wollte. War es Mord? Oury Jalloh war nicht der erste Tote auf der Dessauer Polizeiwache. 2002 starb ein Mann in der Arrestzelle an einem Schädelbruch.

Viereinhalb Monate nach dem rätselhaften Tod von Oury Jalloh erhebt die Staatsanwaltschaft Dessau im Mai 2005 Anklage gegen zwei Polizeibeamte. Doch es dauert fast zwei Jahre, bevor im März 2007 vor dem Landgericht Magdeburg zum Prozess kommt. Nach 60 Verhandlungstagen fällt im Dezember 2008 das Urteil: Die beiden Polizeibeamten werden freigesprochen. Nicht, weil die Richter an ihre Unschuld glauben. Die Kammer kann ihnen nichts nachweisen. Weil die Polizei mauert. "Das Verfahren gescheitert", sagt der Richter sichtlich frustriert in seiner Urteilsbegründung. "Wir hatten nicht die Chance auf ein rechtsstaatliches Verfahren, auf die Aufklärung des Sachverhalts“. Der Richter kritisiert die Polizei scharf, wirft ihr "Schlamperei" vor, bezichtigt die Beamten der "Falschaussage". Der Freispruch sei "einfach nur ein Ende, das formal sein muss".

Staatsanwaltschaft bleibt hartnäckig

Damit will sich die Staatsanwaltschaft Dessau nicht abfinden. Sie legt Revision ein. Der BGH hebt das Urteil im Januar 2010 auf. Es kommt zum zweiten Prozess vor dem Landgericht Magdeburg. Auch diesmal gelingt es den Richtern nicht, die Todesumstände aufzuklären. Trotzdem verurteilen sie den Dienstgruppenleiter Andreas S. wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro, weil er es versäumt hatte, den betrunkenen Häftling zu überwachen. 2014 wird der BGH dieses Urteil bestätigen. "Der tragische Tod bewegt die Öffentlichkeit ganz zu Recht und hinterlässt Fassungslosigkeit und Ratlosigkeit", sagt der Vorsitzende Richter bei Bekanntgabe dieser Entscheidung.

Doch die Akte Oury Jalloh ist noch nicht geschlossen. Die Initiative "In Gedenken an Oury Jalloh“ glaubt noch immer an Mord. Sie hat ein Brandgutachten vorgelegt, das ihre These nährt. Die Staatsanwaltschaft Dessau ermittelt deshalb weiter. "Es kann nicht gesagt werden, wann wir zum Abschluss kommen", sagt ein Sprecher zum stern. Die Frage, warum Oury Jalloh starb, ist also noch immer offen.

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