Tibet-Aktivist Entkommen aus dem China-Knast

Schläge bei der Festnahme, Schlafentzug im Gefängnis: Nach vier Tagen Haft ist der Stuttgarter Tibet-Aktivist Florian Norbu Gynatshang zurück in Deutschland. Im Gespräch mit stern.de beschreibt der Deutsch-Tibeter, wie es ihm in den Händen der chinesischen Staatsmacht erging.

Herr Gynatshang, Sie sind nach viertägiger Haft und der Freilassung am Sonntag gerade aus Peking in Frankfurt gelandet. Wie geht es Ihnen?

Ich bin auf der Autobahn nach Stuttgart. Ich bin zwar sehr müde, aber froh wieder in Deutschland zurück zu sein. Es ist ein tolles Gefühl und ich bin stolz, dass ich den meinen Landsleuten in Tibet meine Solidarität zeigen konnte.

Was genau wollten Sie in Peking?

Ich bin am vorletzten Freitag nach Peking geflogen. Ursprünglich wollte ich mit drei weiteren Tibet-Aktivisten aus den USA und England dort ein Protest-Banner anbringen. Wir haben uns deshalb nach geeigneten Plätzen dafür in der Stadt umgesehen. Dabei sind wir offenbar zu sehr aufgefallen, denn zwei von uns wurden dann fortlaufend observiert. Ständig sind uns Leute gefolgt.

Familie Gyanatshang

Der 30-jährige Florian Norbu Gyanatshang, dessen Vater Tibeter und dessen Mutter Deutsche ist, wurde in Deutschland geboren und lebt in Stuttgart. Er arbeitet als Software-Entwickler und ist Leiter der deutschen Gruppe des Vereins "Tibeter Jugend Europa". Seine Eltern leben am Bodensee, sein Vater, seit 1957 in Deutschland, war ein Jahr lang Übersetzer des Dalai Lama. Seine Schwester Yuldon ist 27 Jahre alt und studiert in Karlsruhe.

Und dann haben Sie Ihren Plan geändert.

Genau. Wir haben immer wieder gehört, dass Tibet-Aktivisten festgenommen wurden. Die Überwachung in Peking ist extrem. Überall stehen Polizisten und Militärs, an jeder Straßenlaterne ist eine Kamera angebracht. Wir haben eingesehen, dass wir nicht die Zeit haben werden, das Banner aufzuhängen. Deshalb sind wir zu dritt zum Vogelnest, dem Olympiastadion, gefahren und haben am vergangenen Donnerstag um kurz nach Mitternacht unsere Aktion gestartet.

Wie lief das konkret ab?

Ich habe meine Tibetflagge hochgehalten und die anderen beiden haben ihre Fäuste hochgehoben in Anlehnung an die beiden Sportler, die bei den Olympischen Spielen 1968 für die Rechte von Schwarzen protestiert haben. Aber nach wenigen Sekunden wurden wir von rund 30 Leuten angegriffen und festgenommen.

Wie ging die Festnahme vor sich?

Es ging drunter und drüber. Zehn Männer haben mir die Fahne aus der Hand gerissen. Ich habe versucht, meine Faust hoch zustrecken und habe weiter "Free Tibet" gerufen. Die Sicherheitsleute wollten mich niederringen. Das ist ihnen aber nicht geglückt. Daraufhin habe ich einen Faustschlag auf die Schläfe bekommen. Das hatte aber auch nicht die gewünschte Wirkung. Mich hat dann einer an der Gurgel gewürgt und im Würgegriff ins Auto gezerrt. Ich war fast bewusstlos.

Und dann ging es direkt ins Gefängnis?

Meine Kameraden und ich wurden nach der Aktion in ein leerstehendes Universitätsgebäude abgeführt, wo wir achtzehn Stunden lang am Stück verhört wurden. Dann erst wurden wir in ein Gefängnis überführt. In dem Gefängnis wurde ich direkt nach Ankunft auf einem Stahlstuhl festgeschnallt und von abends neun bis morgens acht Uhr wieder verhört.

Ohne die Möglichkeit, zuvor zu schlafen?

So ist es. Erst nach dem zweiten Verhör wurde ich auf die Zelle gebracht. Dort herrschte ganz normaler Gefängnisbetrieb, so dass schlafen fast unmöglich war. Es reichte gerade mal für eineinhalb Stunden. Abends um acht wurde ich wieder zum Verhör abgeholt. Dieses dauerte bis zum nächsten Morgen um 11 Uhr.

Schlafentzug wurde offenbar als Druckmittel eingesetzt, oder?

Ja. Natürlich wurden alle möglichen Tricks ausgeübt, um an Informationen zu kommen. Sie haben versucht, sich unser Vertrauen zu erschleichen. Und uns wurde mit einer längeren Haft gedroht, wenn wir nicht aussagen. Aber wir wussten ja vorher, was auf uns zukommt.

Was wollten die Chinesen von Ihnen wissen?

Wie wir die Aktion geplant haben, wer daran beteiligt war oder auch, was wir davor in Peking gemacht haben.

Haben Sie die Fragen wahrheitsgemäß beantwortet?

Dazu will ich mich nicht äußern.

Können Sie das Gefängnis etwas näher beschreiben?

Es ist, soweit ich es verstanden habe, hauptsächlich für Ausländer vorgesehen. Deshalb waren die Haftbedingungen besser als die, die wohl ein Tibeter erleiden würde. Ich war in einer Zelle mit neun anderen Gefangenen, vier Chinesen, vier Amerikanern und einem Engländer, untergebracht. Die Zelle war sehr klein, rund drei mal acht Meter groß. Die hygienischen Bedingungen waren nicht sehr angenehm, aber man konnte damit klarkommen. Der Zusammenhalt war sehr groß unter den Gefangenen, mir wurde sehr geholfen. Erstaunlich ist, wegen welcher Vergehen Leute dort inhaftiert sind. Wegen eines fehlenden Passes haben manche schon zwei oder drei Monate dort verbracht. Das ist nicht rechtsstaatlich.

Wurden Sie im Gefängnis körperlich misshandelt?

Es gab keine physischen Übergriffe. Die sind aber in anderen chinesischen Gefängnissen üblich, wie ich gehört habe. Dass wir milder behandelt wurde, lag bestimmt daran, dass wir Bürger westlicher Staaten sind.

Wie war die Betreuung durch die deutsche Botschaft?

Ich möchte mich beim Auswärtigen Amt für deren persönlichen Einsatz bedanken. Aber auch bei der Presse für die Berichterstattung. Dies hat der tibetischen Sache sehr geholfen. Insbesondere möchte ich mich aber ausdrücklich bei der amerikanischen Regierung bedanken.

Warum?

Die US-Botschaft hat am Wochenende von der chinesischen Regierung gefordert, alle Tibet-Aktivisten sofort freizulassen und die Menschenrechte zu achten. Ich glaube, dies war einer der Hauptgründe, dass ich schon nach vier Tagen entlassen wurde.

Eine versteckte Kritik an der deutschen Regierung?

Ich möchte das auf keinen Fall als Kritik an der deutschen Botschaft verstanden wissen. Sicher ist nur: Der entscheidende Impuls für meine Freilassung ging von amerikanischer Seite aus.

Warum haben Sie überhaupt dieses Risiko auf sich genommen?

Für mich war es sehr wichtig mit dieser Aktion zu erreichen, dass die Olympischen Spiele nicht kommentarlos von der chinesischen Regierung verwendet werden konnten, ihre illegale Besetzung von Tibet zu legitimieren und ihre Menschenrechtsverletzungen unter den Teppich zu kehren. Meine Festnahme und die Überwachung vor Ort zeigen, dass die Spiele die Menschenrechtssituation in China nicht verbessert sondern sogar verschärft haben. Für mich als Deutsch-Tibeter war es zudem extrem wichtig, den Menschen in Tibet meine Solidarität zu zeigen. Die Tibeter haben mit ihren Aufständen im Frühjahr so viel riskiert und deshalb müssen wir Exil-Tibeter zeigen, dass wir mit ihnen fühlen und auch bereit sind, Risiken einzugehen.

Sie selber waren noch nie in Tibet. Das Land zu besuchen wird jetzt bestimmt ziemlich schwierig für Sie.

Ich hätte Tibet wahnsinnig gerne besucht. Ich habe jetzt ein fünfjähriges Einreiseverbot. Danach kann ich wieder ein Visum beantragen, aber ob ich es wirklich bekomme, ist natürlich sehr zweifelhaft. Es war deshalb ein großes Opfer für mich, aber ich denke, es war es wert.

Sie sind Deutscher, arbeiten in Stuttgart. Haben Sie keine Angst, dass sie wegen dieser Aktion Probleme mit ihrem Arbeitgeber bekommen.

Mein Arbeitgeber weiß von meinem Tibet-Engagement, war aber nicht von der Aktion in Peking informiert, für die ich extra Urlaub genommen habe. Ich glaube aber, mein Arbeitgeber schätzt mich soweit, dass ich keine Probleme wegen dieses Protestes bekommen werde.

Interview: Malte Arnsperger

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