Kaiserslautern im Ausnahmezustand. Am Landgericht ist das Urteil in einem der spektakulärsten Rocker-Prozesse Deutschlands gefällt worden - und es sorgt schon jetzt für Zoff. Zwei angeklagte Hells Angels müssen wegen Körperverletzung mit Todesfolge für siebeneinhalb Jahre beziehungsweise wegen Beihilfe für vier Jahre in Haft. Sie hatten im vergangenen Jahr ein Mitglied einer verfeindeten Rockergang getötet. Für die Outlaws, zu denen das Opfer gehörte, ist das aus ihrer Sicht zu milde Urteil ein Skandal. Selbst die Staatsanwaltschaft kündigte schon unmittelbar nach der Urteilsverkündung an, Revision einzulegen.
Auch die Nebenklage ist stinksauer. "Das Urteil hat totale Betroffenheit, ja Entsetzen bei der Familie ausgelöst", sagte der Vertreter der Nebenklage, Klaus-Martin Rogg. "Wir lassen uns das Urteil nicht gefallen." Der Grund: das Gericht blieb beim Strafmaß deutlich unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die lebenslange Haft beziehungsweise zwölf Jahre Gefängnis gefordert hatte.
Weil sie schon vor dem Urteil Randale befürchten, sind noch einmal hunderte Polizisten im und um das Landgericht unterwegs. Ihnen gegenüber stehen bis zu vierhundert Anhänger der beiden verfeindeten Motorradclubs Hells Angels und Outlaws. So wie damals, vor vier Monaten, als der Prozess gegen Danny A. und Marcus S. begann.
Zwei Tage vor Weihnachten, als in der Innenstadt eigentlich Christkind-Idylle angesagt war, brach die brutale Wirklichkeit eines lange schwelenden Rockerkrieges über Kaiserslautern herein. Stundenlang belauerten sich rund 1000 Mitglieder der Hells Angels und der Outlaws. Der Grund: Am Landgericht hatte der Prozess gegen zwei Hells Angels begonnen, die ein halbes Jahr zuvor ein führendes Mitglied der konkurrierenden Rockergruppe Outlaws getötet haben. Ermittelt wird außerdem gegen einen noch immer flüchtigen Mann.
Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft geriet der 45-jährige Outlaw Dirk O. am 26. Juni zufällig in das Visier der Beschuldigten. Marcus S., ein damals 42-jähriger Maschinenschlosser aus dem pfälzischen Rockenhausen, war drei Tage zuvor in Bad Kreuznach von einem Mitglied der "Outlaws" verprügelt worden und hatte sich dafür an einem anderen Mitglied des Clubs rächen wollen. Auf dem Rachefeldzug mit dabei sind der 28-jährige Nachtclubbetreiber Danny A. aus Mannheim und Björn Sch., der ebenfalls aus Mannheim kommt.
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft beobachteten die drei Hells Angels am Abend des 26. Juni ein Lokal im pfälzischen Marnheim, das als Treffpunkt der Outlaws bekannt ist. Als das spätere Tatopfer das Lokal verließ, sei ihm das Trio in einem Auto gefolgt. Wenig später hätten die Tatverdächtigen bei Stetten das Motorrad des 45-Jährigen mit dem Auto überholt und gestoppt. Danny A. soll mit einem Teleskopschlagstock auf ihn eingeprügelt haben, Björn Sch. wiederum soll ihm mit einem Messer insgesamt sieben Stiche in den Rücken und in die Seite versetzt haben. Anschließend nahm Höllenengel Danny A. dem Schwerverletzten noch seine Lederweste mit den Club- und Rangabzeichen der "Outlaws" ab.
Problematischer Kronzeuge
Die Anklage lautete auf Mord, Raub mit Todesfolge sowie räuberischen Angriff auf einen Kraftfahrer. Dirk O., Präsident einer regionalen Untergliederung der Outlaws und Chef des sogenannten Chapter Donnersberg starb zwei Stunden später. Zu seiner Beerdigung am 30. Juni kamen im pfälzischen Mettenheim rund 1000 Rocker aus ganz Deutschland zusammen. Marcus S. wurde am gleichen Tag in der Pfalz festgenommen, Danny A. am 6. August in Portugal. Björn Sch. hingegen kann flüchten.
80 Zeugen, mehrere Gutachter und wöchentlich zwei Verhandlungstage sollten im Prozess klären, ob sich alles wirklich so zugetragen hatte, wie es die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage behauptete. War es geplant, den Outlaw zu töten? Ja, sagt die Staatsanwaltschaft. Nein, sagen die Verteidiger. Es sei ein Exzess gewesen. Und wer hat überhaupt zugestochen? Danny A. und der noch flüchtige Täter, sagt die Staatsanwaltschaft. Sein Mandant sei unbewaffnet gewesen, behauptet dagegen der Verteidiger von Danny A. Der 29-Jährige selbst schwieg während der gesamten Verhandlung. Mit seiner Kleidung und den Gesten zu den Hells Angels im Zuschauerraum hat er allerdings keinen Zweifel daran gelassen, dass er nach wie vor zu der Gruppe steht, die in den vergangenen Monaten und Wochen wegen krimineller Machenschaften verstärkt ins Visier der Behörden geraten ist. Nach Verbüßung einer möglichen Haftstrafe dürfte er als Held zu den Hells Angels zurückkehren.
Das Hauptproblem im Prozess: Für die Tat gibt es keine unabhängigen Zeugen, keine Spur von den Tatwaffen - die Anklage stützte sich notgedrungen auf die Aussage von Marcus S., der nach der Tat zur Polizei gegangen war und als Kronzeuge auf eine mildere Strafe hoffte. Doch der 43-Jährige ist nicht gerade die Art von Kronzeuge, wie ihn sich die Justiz wünschen würde.
Er sei eine "problematische Persönlichkeit", "wendige Person", "stets auf seinen Vorteil bedacht", räumt die Staatsanwaltschaft ein. Selbst der Verteidiger des 43-Jährigen sagt, dass es in den Angaben seines Klienten "gewisse Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten" gebe. Als Angeber gar haben Zeugen den Mann beschrieben, der bei seinen Äußerungen vor Gericht immer wieder einen extrem fahrigen Eindruck machte.
Nach seiner Aussage fürchtet Marcus S. nun um sein Leben - zur Polizei zu gehen, ist bei Rockergruppen eine Todsünde. Auch im Gerichtssaal wurde der Kronzeuge stets von einer Reihe vermummter Polizisten geschützt. Der 43-Jährige "ist jetzt die Nummer eins auf der Todesliste der Hells Angels", wie es die Nebenklage ausdrückte.