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Urteil im Hells-Angels-Prozess Milde Richter für die Höllenengel

Zoff um Urteil im Rockerprozess in Kaiserslautern: Weil sie einen Outlaw-Rocker getötet haben, müssen zwei Hells Angels für siebeneinhalb und vier Jahre in den Knast. Viel zu wenig - wie Staatsanwaltschaft und Nebenklage meinen.
Von Manuela Pfohl

Kaiserslautern im Ausnahmezustand. Am Landgericht ist das Urteil in einem der spektakulärsten Rocker-Prozesse Deutschlands gefällt worden - und es sorgt schon jetzt für Zoff. Zwei angeklagte Hells Angels müssen wegen Körperverletzung mit Todesfolge für siebeneinhalb Jahre beziehungsweise wegen Beihilfe für vier Jahre in Haft. Sie hatten im vergangenen Jahr ein Mitglied einer verfeindeten Rockergang getötet. Für die Outlaws, zu denen das Opfer gehörte, ist das aus ihrer Sicht zu milde Urteil ein Skandal. Selbst die Staatsanwaltschaft kündigte schon unmittelbar nach der Urteilsverkündung an, Revision einzulegen.

Auch die Nebenklage ist stinksauer. "Das Urteil hat totale Betroffenheit, ja Entsetzen bei der Familie ausgelöst", sagte der Vertreter der Nebenklage, Klaus-Martin Rogg. "Wir lassen uns das Urteil nicht gefallen." Der Grund: das Gericht blieb beim Strafmaß deutlich unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die lebenslange Haft beziehungsweise zwölf Jahre Gefängnis gefordert hatte.

Weil sie schon vor dem Urteil Randale befürchten, sind noch einmal hunderte Polizisten im und um das Landgericht unterwegs. Ihnen gegenüber stehen bis zu vierhundert Anhänger der beiden verfeindeten Motorradclubs Hells Angels und Outlaws. So wie damals, vor vier Monaten, als der Prozess gegen Danny A. und Marcus S. begann.

Wer sind die Hells Angels?

Die in Hamburg seit 1983 und in Düsseldorf seit 2001 verbotenen Hells Angels gelten als einer der mächtigsten Rockerclubs der Welt. Das Durchschnittsalter der Bandenmitglieder liegt deutlich über 30 Jahre. Ein Experte nannte die meist stark tätowierten und oft brutal und gefährlich wirkenden Männer eine Bande aus "modernen Managern im Prostitutionsgewerbe, im Waffen- und Drogenhandel". In Skandinavien lieferten sich die Hells Angel bereits in den 1990er Jahren mit den Rockern Bandidos blutige Schlachten, bei denen auch Bomben und Raketen eingesetzt wurden. Die Revierkämpfe mit 14 Toten in Nordeuropa beschränken sich aber nicht auf Skandinavien.

Zwei Tage vor Weihnachten, als in der Innenstadt eigentlich Christkind-Idylle angesagt war, brach die brutale Wirklichkeit eines lange schwelenden Rockerkrieges über Kaiserslautern herein. Stundenlang belauerten sich rund 1000 Mitglieder der Hells Angels und der Outlaws. Der Grund: Am Landgericht hatte der Prozess gegen zwei Hells Angels begonnen, die ein halbes Jahr zuvor ein führendes Mitglied der konkurrierenden Rockergruppe Outlaws getötet haben. Ermittelt wird außerdem gegen einen noch immer flüchtigen Mann.

Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft geriet der 45-jährige Outlaw Dirk O. am 26. Juni zufällig in das Visier der Beschuldigten. Marcus S., ein damals 42-jähriger Maschinenschlosser aus dem pfälzischen Rockenhausen, war drei Tage zuvor in Bad Kreuznach von einem Mitglied der "Outlaws" verprügelt worden und hatte sich dafür an einem anderen Mitglied des Clubs rächen wollen. Auf dem Rachefeldzug mit dabei sind der 28-jährige Nachtclubbetreiber Danny A. aus Mannheim und Björn Sch., der ebenfalls aus Mannheim kommt.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft beobachteten die drei Hells Angels am Abend des 26. Juni ein Lokal im pfälzischen Marnheim, das als Treffpunkt der Outlaws bekannt ist. Als das spätere Tatopfer das Lokal verließ, sei ihm das Trio in einem Auto gefolgt. Wenig später hätten die Tatverdächtigen bei Stetten das Motorrad des 45-Jährigen mit dem Auto überholt und gestoppt. Danny A. soll mit einem Teleskopschlagstock auf ihn eingeprügelt haben, Björn Sch. wiederum soll ihm mit einem Messer insgesamt sieben Stiche in den Rücken und in die Seite versetzt haben. Anschließend nahm Höllenengel Danny A. dem Schwerverletzten noch seine Lederweste mit den Club- und Rangabzeichen der "Outlaws" ab.

Die brutale Bilanz der "Angels"

26. Mai 2000: Fünf Kieler Hells Angels stoppen an der Autobahnabfahrt in Kiel zwei Autos mit acht süddeutsche Bandidos, die nach Norwegen wollen. Sie prügeln mit Schlagstöcken auf die Motorradfahrer ein - eines ihrer Opfer muss ins Krankenhaus.

29. August 2008: Massenschlägerei vor dem Amtsgericht Kiel mit zwei Schwerverletzten - darunter ein Hells Angel. Er wurde niedergestochen, wenige Minuten bevor er in einem Prozess gegen einen Bandido aussagen konnte. Der Prozess gegen den Bandido platzte.

29. Januar 2009: Zwei Hells Angel schießen auf einem Parkplatz in Kaltenkirchen einen Bandido nieder. Eine 20-Jährige hatte das Opfer im Auftrag ihres Freundes von den Hells Angeln in den Hinterhalt gelockt.

13. September 2009: Hells Angel drängen auf Autobahn 7 in Höhe Harrislee (Kreis Schleswig-Flensburg) mit einem Auto einen Bandidos-Biker von der Fahrbahn. Der Motorradfahrer wurde dabei lebensgefährlich verletzt.

14. Januar 2010: Bandidos überfallen in Neumünster zwei Red Devils - das ist eine Unterstützergruppe der Hells Angels - und stechen sie nieder.

20. Januar 2010: In Preetz (Kreis Plön) schießen zwei Anhänger der Hells Angel auf eine Motorradwerkstatt, die dem Umfeld der Bandidos zugerechnet wird.

19. Februar 2010: Acht Anhänger der Bandidos greifen in der Flensburger Innenstadt mit Äxten und Eisenstangen einen Mann der Hells Angels an und verletzten ihn schwer.

11. März 2010: Ein Unbekannter schießt auf das Haus des Kieler Hells Angels-Anführers.

16. März 2010: Zwei Hells Angels stechen zwei Anhänger der Bandidos vor einem Fitnessstudio in Kiel nieder.

Problematischer Kronzeuge

Die Anklage lautete auf Mord, Raub mit Todesfolge sowie räuberischen Angriff auf einen Kraftfahrer. Dirk O., Präsident einer regionalen Untergliederung der Outlaws und Chef des sogenannten Chapter Donnersberg starb zwei Stunden später. Zu seiner Beerdigung am 30. Juni kamen im pfälzischen Mettenheim rund 1000 Rocker aus ganz Deutschland zusammen. Marcus S. wurde am gleichen Tag in der Pfalz festgenommen, Danny A. am 6. August in Portugal. Björn Sch. hingegen kann flüchten.

80 Zeugen, mehrere Gutachter und wöchentlich zwei Verhandlungstage sollten im Prozess klären, ob sich alles wirklich so zugetragen hatte, wie es die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage behauptete. War es geplant, den Outlaw zu töten? Ja, sagt die Staatsanwaltschaft. Nein, sagen die Verteidiger. Es sei ein Exzess gewesen. Und wer hat überhaupt zugestochen? Danny A. und der noch flüchtige Täter, sagt die Staatsanwaltschaft. Sein Mandant sei unbewaffnet gewesen, behauptet dagegen der Verteidiger von Danny A. Der 29-Jährige selbst schwieg während der gesamten Verhandlung. Mit seiner Kleidung und den Gesten zu den Hells Angels im Zuschauerraum hat er allerdings keinen Zweifel daran gelassen, dass er nach wie vor zu der Gruppe steht, die in den vergangenen Monaten und Wochen wegen krimineller Machenschaften verstärkt ins Visier der Behörden geraten ist. Nach Verbüßung einer möglichen Haftstrafe dürfte er als Held zu den Hells Angels zurückkehren.

Das Hauptproblem im Prozess: Für die Tat gibt es keine unabhängigen Zeugen, keine Spur von den Tatwaffen - die Anklage stützte sich notgedrungen auf die Aussage von Marcus S., der nach der Tat zur Polizei gegangen war und als Kronzeuge auf eine mildere Strafe hoffte. Doch der 43-Jährige ist nicht gerade die Art von Kronzeuge, wie ihn sich die Justiz wünschen würde.

Er sei eine "problematische Persönlichkeit", "wendige Person", "stets auf seinen Vorteil bedacht", räumt die Staatsanwaltschaft ein. Selbst der Verteidiger des 43-Jährigen sagt, dass es in den Angaben seines Klienten "gewisse Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten" gebe. Als Angeber gar haben Zeugen den Mann beschrieben, der bei seinen Äußerungen vor Gericht immer wieder einen extrem fahrigen Eindruck machte.

Nach seiner Aussage fürchtet Marcus S. nun um sein Leben - zur Polizei zu gehen, ist bei Rockergruppen eine Todsünde. Auch im Gerichtssaal wurde der Kronzeuge stets von einer Reihe vermummter Polizisten geschützt. Der 43-Jährige "ist jetzt die Nummer eins auf der Todesliste der Hells Angels", wie es die Nebenklage ausdrückte.

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