Zwei Kampfjets der Bundeswehr kollidieren über der Ferienregion Mecklenburgische Seenplatte, einer der zwei Piloten stirbt (der stern berichtete). Soldaten durchkämmen das Gebiet nach Wrackteilen. Noch ungelöst ist die Frage: Was war die Ursache?
"Das reicht vom technischen Defekt über außergewöhnliche Umstände bis zu menschlichem Versagen", meint Thomas Wassmann im Gespräch mit dem stern. Der ehemalige Kampfpilot und Bundesvorsitzender des Verbandes der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge (VBSK) hält eine Frage für entscheidend.
Thomas Wassmann: "Eurofighter"-Maschinen waren wahrscheinlich "vollkommen in Ordnung"
Herr Wassmann, lässt sich zu diesem Zeitpunkt etwas über mögliche Ursachen sagen, die zum Absturz zweier "Eurofighter" in Mecklenburg-Vorpommern geführt haben?
Thomas Wassmann: Nein, da sind die Möglichkeiten sehr vielfältig. Das reicht vom technischen Defekt über außergewöhnliche Umstände bis zu menschlichem Versagen. Es ist viel zu früh, darüber zu spekulieren.
Haben sie Informationen darüber, wie der zweite Pilot ums Leben gekommen sein könnte, obwohl er den Schleudersitz betätigte?
Nein. Es gibt nur das Gerücht, dass man Leichenteile gefunden hat. Das spricht dagegen, dass er unversehrt aus dem Flugzeug herausgekommen ist. Die große Frage lautet, welche Position die Flugzeuge zum Zeitpunkt der Kollision zueinander hatten. Es gab vor längerer Zeit einen Unfall über der Nordsee, da flog die eine Maschine unter der anderen. Die Piloten haben sich per Schleudersitz rausgeschossen, und für den unteren war logischerweise kein Platz da. Wenn Körperteile wie beim aktuellen Vorfall abgetrennt werden, dann muss irgendetwas im Weg gewesen sein. Also haben möglicherweise Teile mit hoher Geschwindigkeit den Piloten tödlich getroffen.

Was passiert in dem Moment, wenn der Pilot den Schleudersitz betätigt?
In dem Moment, in dem der Pilot den Schleudersitz auslöst, läuft ein Automatismus ab. Er sorgt dafür, dass das Kabinendach weggesprengt wird und zündet den Ausschuss-Mechanismus. Der Pilot wird in eine große Höhe katapultiert, weil der Schleudersitz auch am Boden betätigt werden kann und dann brauchen sie eine gewisse Höhe, damit sich der Fallschirm noch öffnet. In der Regel werden sie kurz ohnmächtig, weil die auftretenden Kräfte extrem stark sind. Die meisten Piloten, die den Schleudersitz benutzt haben, haben berichtet, dass sie wieder aufgewacht sind, als sie im Sinkflug waren. Die Trennung vom Sitz läuft ebenfalls automatisch ab. Wie schnell, ist abhängig von der Höhe, in der sie sich befinden. Der Sitz gibt sie erst automatisch ab einer bestimmten Höhe frei, damit der Pilot genug Sauerstoff zum Atmen hat. Es bleiben nur der Fallschirm, das Backup-System und das Survival Kit übrig. Auch der Fallschirm öffnet sich automatisch, sie können ihn zur Not auch manuell auslösen.
Was lässt sich über das Manöver sagen, das die Piloten offenbar geflogen sind?
Das sind Luftkampfübungen. Da gibt es die Basis-Übungen, den Basic Fight, die man zu zweit fliegt. Die verunglückten Kampfjets haben aber ein sogenanntes Air Combat Training geflogen, an dem drei oder vier Flugzeuge teilnehmen.
Wie zuverlässig ist der "Eurofighter"?
Sehr zuverlässig. Es gibt lediglich Probleme beim Klarstand, also wie viele Flugzeuge tatsächlich einsatzbereit sind. Wir können aber davon ausgehen, dass die Maschinen, die zum Flug freigegeben werden, vollkommen in Ordnung sind und sich so verhalten, wie sie sich verhalten sollen.
Warum sind viele "Eurofighter" oft nicht einsatzbereit?
Der niedrige Klarstand bei den "Eurofightern" hat seinen Grund in der schleppenden Ersatzteilversorgung am Boden oder an der Tatsache, dass viele Wartungen und Untersuchungen bei den Flugzeugen anstehen. Um ein Bild zu bemühen: Wenn alle plötzlich Winterreifen haben wollen, kann es in der Werkstatt mit nur drei Hebebühnen schwierig werden. Da kann es zu einem gewaltigen Stau kommen, und das ist in der Vergangenheit passiert. Mittlerweile hat man Wege gefunden, den Wartungsstau grundsätzlich zu beschleunigen. Um es nochmal zu betonen: Bei der Luftwaffe wird nichts zum Fliegen freigegeben, was nicht vollkommen in Ordnung ist.
Beeinträchtigt der niedrige Klarstand nicht die Zahl der Übungsflüge?
Das ist selbstverständlich. Sie planen mit einer gewissen Anzahl von Flugzeugen, und wenn die nicht zur Verfügung stehen, leidet die Ausbildungsfrequenz. Zusätzlich mangelt es an Übungen, für die sie eine Mindestanzahl an Flugzeugen brauchen. Sie können die Ausbildung nicht optimal gewährleisten, wenn sie größere Manöver mit vier oder sechs Maschinen nicht oder nur in zu geringer Zahl ausführen können.
Was bedeutet der Verlust zweier Flugzeuge für die Bundeswehr?
Von den rund 140 Eurofightern der Luftwaffe waren lange nur 30 einsatzbereit, mittlerweile sind es wieder um die 40. Wenn sie zwei abziehen, dann hat es selbstverständlich Auswirkungen auf die Ausbildung und die Zahl der Übungsflüge.
Nach dem aktuellen Absturz ist Kritik daran aufgekommen, dass Übungsflüge über dichtbesiedeltem Gebiet stattfinden. Ist das überhaupt notwendig?
Das ist selbstverständlich nötig. Man hält solche Trainingsflüge nicht ab, um die Bevölkerung zu drangsalieren. Sie haben zwar die Möglichkeit, über See auszuweichen, was sehr häufig passiert, aber das allein reicht nicht aus. Wir sind nun mal ein kleines, dichtbesiedeltes Land und sie brauchen riesige Übungsräume, um mit den aktuellen Waffensystemen sinnvoll zu üben. Sie können das nicht mit einem Panzerbataillon vergleichen, dass sich ausschließlich auf die Lüneburger Heide beschränkt.