Brände in Griechenland Wenn die Glocken läuten

Wenn in Griechenland ein Feuer ausbricht, läuten die Glocken. Seit Tagen läuten sie fast ununterbrochen. stern.de-Autorin Waltraud Sperlich lebt auf der Halbinsel Peloponnes in der Kleinstadt Platsa. In ihrem Augenzeugenbericht schildert sie, wie die Feuersbrunst den Ort und seine Einwohner erfasst hat.

Glocken läuten. Sofort bin ich hellwach, obwohl ich nur eine Stunde geschlafen habe. Glockenläuten ist in Griechenland der Feueralarm. Ich stolpere aus dem Haus. Es morgendämmert gerade und so wie es aussieht, wird es den ganzen Tag über dämmrig sein. Dicke Rauchwolken lassen seit drei Tagen die Sonne nicht durch, tauchen das Land in ein schwefelgelbes Licht. Ich schaue mich um. Eigentlich wohne ich wunderbar im Süden des Peloponnes. Aber seit hier die Feuer wüten, ist aus dem schönen Grün, das mich umgibt, ein gefährliches Grün geworden. Zu lange war es zu heiß. Selbst die Oliven, die einiges aushalten, klappen die Blätter zusammen. Die Macchia, diese üppige Wildnis mit Stecheichen und Zypressen, ist zum Pulverfass geworden. Ich huste, feuchte ein Handtuch an und drücke es vor das Gesicht. Ich suche den Horizont ab, versuche herauszufinden, ob zu dem vielen Rauch ein neuer hinzugekommen ist. Es brennt im Süden. Durch das Städtchen Areopolis ist vorgestern das Feuer gewalzt, hat die Bewohner vertrieben, sechs davon sogar getötet. Es brennt im Norden. In der Stadt Kalamata verfolgen die Menschen besorgt die Flammen, die sich wie Lava die Hänge des Taygetos hinab bewegen. Und im Osten brennt das ganze Hochgebirge, die Tannen- und Pinienwälder auf seinen Höhen. Als Fluchtweg bleibt mir nur der Westen, die Pfade und Sträßlein hinunter zum Meer.

Die Kirchenglocken läuten weiter

Ich greife mir das Handy und erreiche nach mehreren Versuchen – das Netz ist hoffnungslos überlastet - den Freund im Dorf. "Wo brennt es jetzt?" gelle ich. "Wart mal, ich schau nach", höre ich ihn müde antworten. Höre durchs Handy andere Stimmen, höre, wie sie laut und lauter werden. Schreien. Kreischen. Flüche. "Verdammter Pope!" "Vermaledeiter Kirchenmann!". Mein Freund lacht. Ich werde wahnsinnig. "Was ist bei euch da oben los?" überschlägt sich meine Stimme. „Wo ist das Feuer ausgebrochen?" "Kein Feuer!" beruhigt er mich. "Es ist Sonntag! Wir haben ganz vergessen, dass heute Sonntag ist. Der Pfarrer hat schlicht die Kirchenglocken geläutet." Er lacht wieder. "Sie bringen ihn um."

Bei den Dörflern liegen die Nerven blank. Seit es brennt, werden Kirchenglocken nicht mehr mit Kirche, sondern mit Feuer assoziiert. Mit allem, was sie greifen können, kämpfen sie gegen die Flammen an. Gestern Abend ist der Trupp der jüngeren Männer zurückgekommen, die sich an der Kambos-Schlucht dem Feuer entgegenstellt hatten. 36 Stunden haben sie gekämpft, auf die Flammen eingeschlagen. Sie haben nicht geschlafen, sie haben kaum etwas gegessen, non stop versucht, das Feuer zurückzuhalten. Es ist ihnen gelungen, doch jetzt lodert die Wut auf. "Wo sind die Löschflugzeuge geblieben?", wollen sie von ihrem Ortsvorsteher wissen. "Warum kommt uns hier unten keiner zur Hilfe?" "Warum lässt man uns allein?" Der Ortsvorsteher nuschelt etwas von "zu viel Wind" und "zu wenig Flugzeugen", was die freiwilligen Feuerwehrleute explodieren lässt. "Soll ich dir sagen, wo die Flugzeuge sind?", schreit einer. "Die löschen bei den Politikern, damit deren Villen nicht verbrennen!"

Katastrophaler Katastrophenschutz

Sie fühlen sich nicht alleingelassen – man lässt sie tatsächlich allein. Auch der Ortsvorsteher wird gleich seine Amtsstube verschließen, das Weite suchen und ins Wochenende verschwinden. Das Bürgermeisteramt der Großgemeinde Levktron in Kardamili ist seit Freitagmittag geschlossen, eine Gemeinde, in der etwa 5000 Ausländer gerade Urlaub machen. Es gibt keine Anlaufstelle, will man etwas über Evakuierungspläne oder Katastrophenschutz erfahren. Dabei hat uns hier das Feuer eingeschlossen, die Straße nach Kalamata ist gesperrt, die nach Areopolis ebenso, übers Gebirge führt eine Piste, aber da oben wütet auch das Feuer.

Im Dorf rücken die Menschen im Kafeneion zusammen, obwohl es unerträglich heiß ist, denn selbst in der Nacht sinken die Temperaturen nicht unter 33 Grad. Sie sitzen vor dem Fernseher, das einzige Medium, das sie noch zuverlässig informiert, wenn nicht der Strom ausfällt, was im Stundenrhythmus geschieht, denn das Kohlekraftwerk befindet sich in Megalopolis und auch da brennt es seit Samstagfrüh. Die Menschen hier fühlen sich allein von den Reportern und Berichterstattern der Fernsehsender verstanden, die ebenso wütend wie sie auf die Untätigkeit der Verantwortlichen und Politiker sind.

Leise rieselt die Asche

Ich hatte mich erst weit nach Mitternacht auf den Nachhauseweg gemacht. Die Dorfbewohner wollten mich nicht gehen lassen, weil ich allein in der Wildnis wohne und mein Auto erst nach zehn Minuten Fußmarsch erreiche. Mein Notgepäck ist bereits seit zwei Tagen gepackt und steht an der Tür. Wirklich nur das Notwendigste habe ich gepackt, meine Papiere, meine Manuskripte, Erinnerungsfotos. Ich habe Wasser in die Badewanne eingelassen, um darin die Gasflasche, mit der ich wie alle hier meinen Kochherd betreibe, zu versenken, sollte das Feuer näher kommen. Eine explodierende Gasflasche würde meinem Haus den Rest geben, denke ich, und deswegen wird die "Bombe" bei Gefahr in der Badewanne deponiert. Natürlich schlafe ich kaum in der Nacht, ich stehe immer wieder auf, um die Wanderung des Feuerscheins zu verfolgen, falle erst kurz vor dem Morgengrauen in einen erschöpften Schlaf, aus dem mich die Glocken reißen. Jetzt stehe ich vor meinem Haus und wäge ab. Soll ich schon gehen oder doch noch ein bisschen warten? Stille liegt über dem Land. Leise rieselt die Asche. Die Natur ist verstummt. Die Zikaden, die um diese Sommerzeit normalerweise einen Höllenlärm veranstalten, geben keinen Laut von sich. Kein Vogel ist zu hören, kein Esel klagt. Totenstille.

Auf der Suche nach dem Sündenbock

Ich beschließe, noch nicht endgültig, aber doch ins Dorf zu gehen. Um zu hören, wie weit die Feuer vorgedrungen sind. Alle sitzen wieder im Kafeneion, belagern den Fernseher und schreien die Berichterstatter nieder. Waldbrände werden eigentlich von den Menschen hier als naturgegeben hingenommen, brennt es doch alle Sommer im Süden. Aber diesmal ist es anders. Die Feuer sind weitaus gewaltiger und, was es noch nie gab – es sind Häuser verbrannt und es sind Menschen umgekommen. Viele Menschen, 50 sind es bereits an diesem Sonntagmorgen. Man sucht nach den Schuldigen. Es müssen Brandstifter gewesen sein, sagen die einen. Türken, Albaner, Engländer – der Griechen größte Feinde, der Griechen liebste Sündenböcke werden für die Feuer verantwortlich gemacht.

"Bah!", sagt einer. "Wir sind es selbst, die die Feuer möglich gemacht haben." Alle schreien, er lässt sich nicht niederschreien. "Wir werfen unseren Müll überall hin. Spraydosen, zerbrochene Glasflaschen – alles entsorgen wir in der nächsten Schlucht. Und wenn es dann über 40 Grad heiß wird – was passiert dann mit einer Spraydose?" Kurz ist es ganz still im Kafeneion, bis einer "BUMM" sagt, da bricht das Gebrüll wieder los und man einigt sich schließlich darauf, dass es die Politiker sind, die die Schuld an den Bränden tragen. Was denn den Ministerpräsidenten Karamanlis geritten habe, ereifern sie sich, ohne Not Neuwahlen im September anzusetzen. Wo doch jeder weiß, dass der Wahlkampf immer die Gemüter aufheize, ja der eine oder andere nicht davor zurückschrecke, Feuer zu legen, um es der gegnerischen Partei in die Schuhe zu schieben.

"Warum retten sie alte Steine und nicht die Menschen?"

Deutsche Kommentatoren haben Bodenspekulanten als Brandstifter dingfest gemacht. Nur: Es brennt ja auch in vielen Gegenden, wo keiner je ein Haus bauen wird wie im Hochgebirge des Taygetos. Eher ist es hier die Willkür der Ämter, die die Menschen zu Zündlern werden lässt. So kann z.B. das Waldamt entscheiden, was von Stund an Wald ist. Und was Wald ist, gehört fürderhin dem Staat und der eigentliche Besitzer wird enteignet. So mancher Bauer greift dann zur Selbstjustiz und denkt sich: "Da habt ihr euren Wald…"

Der Ventilator beginnt sich wieder zu drehen und auf dem Fernsehapparat zeigt sich ein Bild. Die Reporterin berichtet atemlos, dass jetzt auch die antike Stätte Olympia vom Feuer bedroht wird. Sie verspricht, dass Griechenland alles daransetzen wird, den Geburtsort der olympischen Spiele zu retten. "Warum retten sie alte Steine und nicht die Menschen?" Die alte Frau weint. Sie hat im Fernsehen die Bilder von anderen alten Frauen gesehen, die hilflos durch den Rauch taumelten, keine Retter weit und breit. "Warum hilft man uns nicht?", weint die alte Frau jetzt haltlos. Auf dem Bildschirm erscheint jetzt der griechische Kultusminister, der gesten- und wortreich den Zuschauern erklärt, dass er sich auf den Weg nach Olympia macht, um dort nach dem Rechten zu sehen. "Wir werden alles einsetzen, um die Stätte zu retten." Fassungsloses Kopfschütteln im Kafeneion. Als nämlicher Minister am Abend stolz erklären wird, dass Olympia gerettet ist, interessiert das auf dem Peloponnes keinen. Zu groß ist der Zorn darüber, dass all die Löschflugzeuge und Helikopter eingesetzt wurden, ein paar Steine zu retten.

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