Zehnter Jahrestag "Costa Concordia"-Unglück – Francesco Schettino, der Kapitän, der vieles falsch machte

Francesco Schettino
Francesco Schettino, hier noch in Kapitäns-Uniform, sitzt seit 2015 in Haft.
© DPA
Am 13. Januar 2012 starben 32 Menschen, weil sich die "Costa Concordia" an Felsen vor dem italienischen Giglio aufgeschlitzt hatte. Kapitän war Francesco Schettino. Bis heute sieht er sich als Opfer – und wartet auf sein letztes Urteil. 

Auf den ersten Blick erinnerte das Unglück der "Costa Concordia" an eine der spektakulärsten Schiffshavarien der Geschichte: dem Untergang der "Titanic", ziemlich genau 100 Jahren zuvor. Wie damals in den eisigen Fluten des Nordatlantiks hatten 2012 die Offiziere die Gefahr, die unter der Wasseroberfläche lauerte, unterschätzt. Wie damals wurde der Rumpf des Dampfers aufgeschlitzt, wie damals war die Crew mit der Rettung der Passagiere überfordert und beide Kapitäne trifft zumindest eine nicht unerhebliche Mitschuld an den Katastrophen.

Am Hafen heulen um 21.45 Uhr die Sirenen

Wie viel genau, ist auch zehn Jahre nach der Katastrophe nicht abschließend geklärt. Sicher ist, dass fatale Fehler am 13. Januar 2012 32 Menschen das Leben gekostet haben, darunter waren auch zwölf Deutsche. Zum Jahrestag gedenkt die kleine Insel Giglio des Unglücks. Es wird ein Kranz niedergelegt vor der Marienstatue, die zu Ehren der Opfer im Hafen aufgestellt ist, daneben stehen auf einer Tafel die Namen der Toten. Zum Unglückszeitpunkt am Abend um 21.45 Uhr werden im Hafen Sirenen aufheulen – so wie jedes Jahr an diesem Tag.

Für so gut wie niemanden, der mit dem Fastuntergang der "Costa Concordia" zu tun hatte, sind die Geschehnisse abgeschlossen. Für die Angehörigen der Opfer nicht, für die Besatzung nicht, die Überlebenden nicht und auch nicht für Kapitän Francesco Schettino. Der Spross einer Seefahrerfamilie, damals 51 Jahre alt und das Klischeebild eines Traumschiff-Kapitäns, wurde 2015 zu 16 Jahren Haft verurteilt. Wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung, wegen fahrlässigem Herbeiführen einer Havarie, und wegen vorzeitigem Verlassen des Schiffs. Letzteres ist zwar nicht zwingend eine Straftat, so Willi Wittig vom Verband Deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere, aber "zumindest Teil des Ehrenkodex'". 

Selbst seine eigene Reederei hatte ihrem "Commandante" früh eine Reihe von "menschlichen Fehlentscheidungen" zugeschrieben. Augenzeugen sagten aus, er habe die "Costa Concordia" viel zu nah an der Küste entlang bugsiert, die für den Notfall geltenden Standards ignoriert und eben das Schiff vor Ende der Evakuierung verlassen. Es gab auch eine beinahe romantische Begründung für den Umstand, das Schiff die Felsen vor Giglio rammte: Die italienische Zeitung "Corriere della Sera" schrieb damals, Schettino wollte einem Oberkellner eine Freude bereiten. Der hätte wenige Tage vorher ein paar Tage frei bekommen sollen, die aber wegen Personalproblemen ausgefallen seien. Deshalb wollte der Kapitän mit ihm zusammen nahe an dessen Heimatinsel vorbeifahren. 

Andere behaupteten, die Reederei Costa Crociere habe regelmäßig verlangt, möglichst nahe vor der Küste zu schippern, des Spektakels wegen. Ob aus Prestigegründen, Gutherzigkeit oder Angeberei, was sonst angeblich oft geklappt habe, ging diesmal schief: Das fast 300 Meter lange Schiff schrammte unter Wasser einen Felsvorsprung, der schlitzte den Rumpf rund 70 Meter auf.

Zum Glück wehte der Wind aus der richtigen Richtung

Wasser strömte ein, das Schiff war schnell manövrierunfähig. Nur weil der Wind die "Concordia" gegen die Insel trieb, kam das Schiff dort auf einem Unterwassersockel zum Liegen. Hätte der Wind anders geweht, wäre die "Concordia" aufs offene Meer getrieben und wohl komplett gesunken – mit noch viel schlimmeren Opferzahlen.

Die Passagiere und die Küstenwache wurden eine Dreiviertelstunde lang im Unklaren gelassen. Als Crewmitglieder schon mit Schwimmwesten durch die Gänge liefen, sollten die Reisenden in den Kabinen bleiben und Ruhe bewahren. "Keine Panik" will Schettino durchgesagt haben, in sechs Sprachen.

Erst gegen 22.30 Uhr rief man die Passagiere für die Evakuierung an Deck und meldete den Behörden den Notstand. Das Schiff neigte sich immer mehr, die Lage wurde chaotischer. Manche Passagiere konnten in die Rettungsboote steigen und in den Hafen von Giglio fahren. Andere sprangen ins Wasser und schwammen die etwa 100 Meter an Land. Viele aber waren im Rumpf eingeschlossen.

Und Schettino? Eine britische Überlebende sagte damals aus, der Italiener hätte sich unter Deck vergnügt, statt sich um den Kurs seines Schiffes zu kümmern. Eine Zeitung zitierte sie mit den Worten: "Was mich am meisten schockt, ist, dass der Kapitän fast den ganzen Abend mit einer wunderschönen Frau in den Armen an der Bar saß und getrunken hat." Sicher ist, dass Schettino seine damalige Geliebte an Bord eingeladen hatte, manche warfen deshalb ihm vor, er habe sie mit waghalsigen Manövern beeindrucken wollen.

Schettino selbst weist nach wie vor diese und andere Anschuldigungen zurück. Nach dem Unglück sagte er aus, dass seine Seekarten keine Felsen in unmittelbarer Nähe des Schiffes angezeigt hätten. Außerdem wähnte er sich auch weiter von der Küste weg, als die "Costa Concordia" tatsächlich war. "Wir hätten in tiefem Wasser sein sollen, die Felsen waren noch ungefähr 300 Meter entfernt", so der Kapitän damals. So oder so war eine eklatante Fehleinschätzung eines erfahrenden Seefahrers. Allerdings nicht seine erste. Zwei Jahre vorher hatte er als Kommandant der "AidaBlu" in Warnemünde eine Mole gerammt. 

"Den Schettino machen" ist ein geflügeltes Wort

Damals sagte er der tschechischen Zeitung "Dnes" in einem Interview: Nie wolle er in eine Situation geraten wie die "Titanic" und zwischen Eisbergen navigieren müssen. "Aber ich denke, dass sich dank Vorbereitung jede Situation meistern und möglichen Problemen vorbeugen lässt. Das Wichtigste ist die Sicherheit der Passagiere."

Die Aufzeichnung eines Gesprächs während des Unglücks jedenfalls zementierte das Bild eines Kapitäns, der einerseits Großmaul und Frauenheld war, andererseits ein Feigling. Letztlich war Schettino der einzige, der ins Gefängnis musste. Mehrfach ging er gegen das Urteil in Berufung, scheiterte aber immer. Nun hofft er auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wo er 2018 Beschwerde gegen das Urteil eingelegt hatte. Schettino sei nicht fair behandelt worden, außerdem habe es eine mediale Kampagne gegeben, sagt sein Anwalt dazu. Ein Gerichtssprecher aber rechnet nicht damit, dass der Fall 2022 bearbeitet werde. 

Als Grund, warum er das Schiff früh verlassen hatte, bemühte er in einem Interview die slapstickhafte Ausrede, er sei bei einer Evakuierung "ausgerutscht und ins Rettungsboot gefallen". Fare lo Schettino", den Schettino machen, ist bis heute in Italien ein geflügeltes Wort für Feigheit.

Mitarbeit: Malte Arnsperger

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