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Orthodoxe jüdische Glaubensgemeinschaft Eine verschlossene Welt – mitten in New York

Eine verschlossene Welt – mitten in New York
Zwei Gemeindemitglieder in der New Yorker U-Bahn-Linie Eastern Parkway. Offen ist die multikulturelle Szenerie nur auf den ersten Blick: Die Chassidim leben abgeschottet
© Benjamin Petit
Mitten im pulsierenden Brooklyn lebt eine orthodoxe jüdische Glaubensgemeinschaft, die sich dem weltlichen Leben Amerikas entzieht – auch seinen Gesetzen und den Werten von Freiheit und Gleichheit: die Chassidim. Einblicke in eine Parallelwelt.

Bassy Schmukler sagt, sie habe ihr Haar nie gemocht. In wenigen Stunden wird die hübsche 24-Jährige es abschneiden. Für immer. Bassy Schmuklers Haar ist dunkel, gelockt, und es glänzt. Fortan wird sie eine Perücke tragen. So verlangt es ihre Religion, so verlangt es die Sittsamkeit. Viele in ihrer Gemeinde lassen nur ein paar Stoppeln auf der Kopfhaut stehen. Denn dann hält die Perücke am besten. Bassy sagt: "Ich wollte schon immer eine Perücke. Ist doch viel praktischer."

Heute ist Bassys Hochzeit. Sie steht in ihrem weißen Brautkleid mitten in New York, in einem riesigen Ballsaal in Brooklyn, der geteilt ist durch einen langen Vorhang. Auf der rechten Seite feiert Bassy mit den Frauen, auf der linken ihr Bräutigam Chaim mit den Männern. Die Männer tragen lange Bärte und schwarze Hüte. Am Ende des Vorhangs steht eine Band, die spielt jetzt die Beatles – mit jiddischen Texten. Getanzt wird auch getrennt, man hält sich an den Händen und dreht sich im Kreis.

Eine sorgsam arrangierte Ehe

Bassy entstammt einer chassidischen Familie. Die "Chassidim" sind ultraorthodoxe Juden, deren Bräuche ins 18. Jahrhundert zurückreichen. In New York leben die meisten Chassidim außerhalb Israels, an die 250.000. Es gibt verschiedene Gemeinden, von denen manche so streng sind, dass sie Fernsehen und Internet verbieten und ihre Kinder in Schulen schicken, die nicht einmal Englisch unterrichten, nur Tora und Talmud, oft 14 Stunden am Tag. Einige verbieten jegliche Art von Frauenbildern. Chassidische Zeitungen retuschierten gar Fotos, auf denen Hillary Clinton zu sehen war.

Bassy und Chaim gehören zur Chabad-Gemeinde, die als eher aufgeschlossen gilt. Sie ist Tora-Lehrerin für Siebtklässler und stammt aus Los Angeles, er betreut in New York die Chabad-Website. Chabad gestattet Internet und Smartphones. "Sie haben einen göttlichen Zweck, wenn man sie für das Gute nutzt", erklärt Chaim. Auch eine weltliche Bildung ist bei Chabad üblich, Frauen dürfen fotografiert werden und Make-up tragen. Doch Geschlechtertrennung ist für alle Chassidim ein Dogma.

Bassy Schmukler tanzt ausgelassen im Kreis von Freundinnen und Familienmitgliedern in einem Teil des Festsaals. In dem anderen, durch einen Vorhang abgetrennten, amüsieren sich die Männer. Viel später erst kommen sie zusammen
Bassy Schmukler tanzt ausgelassen im Kreis von Freundinnen und Familienmitgliedern in einem Teil des Festsaals. In dem anderen, durch einen Vorhang abgetrennten, amüsieren sich die Männer. Viel später erst kommen sie zusammen
© Benjamin Petit

Gegen 22 Uhr sitzt das Brautpaar vom Tanzen erschöpft links und rechts von einer Plastikwand, an der rosafarbene und hellblaue, koschere, schmalzlose Donuts hängen. Chaim möchte mit einem Schnaps auf seine Frau anstoßen. Auf die Frage, ob Alkohol erlaubt sei, sagt ein Freund: "Wir sind doch keine Muslime." Chaim nickt und schaut misstrauisch durch seine große Brille. Er glaubt, Fremde aus der säkularen Welt würden die Chassidim oft wie eine seltene Spezies betrachten.

Bassy und er wirken glücklich an diesem Abend, aber auch unsicher. Eigentlich kennen sie sich gar nicht richtig. Begegnet sind sie sich zum ersten Mal vor vier Monaten in einer Hotellobby in L. A. Arrangiert hatte das Treffen ein Heiratsvermittler, der von beiden Familien konsultiert worden war. So kommen fast alle chassidischen Ehen zustande.

Zuvor hatten ihre Eltern recherchiert, ob die jeweils andere Familie einen guten Leumund hat. "Sie haben Freunde und Verwandte angerufen", erklärt Chaim. Außerdem haben er und Bassy ihr Blut bei einem jüdischen Gen-Institut testen lassen. Da orthodoxe Juden nur unter sich heiraten, ist die Gefahr von Erbkrankheiten groß.

New Yorks Chassidim gelten als die strengsten der Welt

Bis zur bevorstehenden Nacht waren Bassy und Chaim noch nie miteinander allein. Nur im Beisein von Freunden durften sie sich treffen. Sie haben sich nie geküsst und hatten niemals Sex. Die Nervosität vor dem Moment, wenn sie gemeinsam ihren Weg gehen, ist in ihren Familien spürbar. Bassys Mutter, eine sympathische Frau mit wogendem Busen, erkundigt sich immer wieder bei den Hochzeitsgästen, ob sie glauben, dass Chaim eine gute Wahl für ihre Tochter sei. Irgendwann raunt sie: "Wenn nicht, trete ich ihm in den Hintern."

Bassy sagt, dass es ihr nichts ausmache, keine Beziehungserfahrung zu haben. "Es ist ein Segen, dass uns die Teenagerdramen der säkularen Welt erspart geblieben sind." Stattdessen haben die beiden vor ihrer Hochzeit getrennt voneinander ein Braut-und-Bräutigam-Seminar besucht. Dort lernen chassidische Paare, dass Verhütung verboten ist, dass Frauen keine Angst vor dem ersten Mal haben sollten und dass sich die Männer beherrschen mögen.

Als die Hochzeit gegen Mitternacht zu Ende geht und sich alle Gäste verabschiedet haben, umarmt Bassy ihre Eltern. Die Mutter hält sie lange fest, als wolle sie ihre Tochter niemals gehen lassen.

Der Bräutigam streift Bassy den Ehering über den rechten Zeigefinger
Der Bräutigam streift Bassy den Ehering über den rechten Zeigefinger
© Benjamin Petit

New Yorks Chassidim gelten als die strengsten der Welt. Ihre Gebräuche wirken wie ein Panzer gegen die Verlockungen dieser Stadt. Die drei großen Dynastien sind Chabad, Satmar und Bobov. Alle haben ihre Wurzeln in Osteuropa, vor allem in Polen und der Ukraine. Nach Amerika kamen sie auf der Flucht vor den Nazis und den Kommunisten. Zahllose Vorfahren starben im Konzentrationslager. Die Chassidim leben vor allem in Brooklyn. Jede Familie hat durchschnittlich sechs Kinder, die meisten kommen im Maimonides-Krankenhaus zur Welt. Dort liegt der Geburtenrekord bei 74 Babys in 48 Stunden.

Im Straßenbild kann man die Gruppierungen am Äußeren der Männer unterscheiden. Bei Chabad durch die italienischen Borsalino-Hüte und Bärte ohne Schläfenlocken. Chabad hat seine Zentrale am Eastern Parkway 770. Das Haus mit seinen spitzen Giebeln ist Welthauptquartier und wird in anderen Ländern exakt so nachgebaut.

Normalerweise wählen Chassidim republikanisch

Das Satmar-Viertel liegt in Williamsburg und wirkt wie aus einer anderen Epoche. Man sieht Männer in knielangen seidenen Mänteln über weißen Strumpfhosen und mit riesigen radförmigen Fellhüten aus Zobel auf den Köpfen, selbst im Sommer bei 35 Grad. Die Chassidim hinterfragen nicht, ob ihre Traditionen in die Zeit oder ins Klima passen. Sie sind Teil ihrer Identität.

Satmar-Frauen tragen Perücken, die wie uniformierte Pagenfrisuren aussehen. Zeitweise wurden sie durch Kopftücher ersetzt. Weil viele Perücken aus Indien stammen, befürchteten die Rabbis, das Haar könnte Hindu-Frauen gehört haben. Daraufhin wurden indische Perücken für "unkoscher" erklärt und in den Straßen verbrannt.

Chaims Familie, sie stammt aus St. Louis, Missouri
Chaims Familie, sie stammt aus St. Louis, Missouri
© Benjamin Petit

Satmar gilt als reich. Da sich Williamsburg zum angesagtesten Viertel in Brooklyn entwickelt hat, sind auch die Werte der Satmar-Immobilien astronomisch gestiegen, und obwohl der Gebrauch von Smartphones in den meisten Familien geächtet ist, kontrolliert Satmar einen großen Elektronikversand.

Im Bobov-Viertel ist die Armut groß, es liegt im Westen Brooklyns. Bobov-Männer tragen zylinderförmige Hüte aus Biberpelz. Viele Mitglieder sprechen ausschließlich Jiddisch. In den Schulen werden Fächer wie Mathematik oder Englisch nur rudimentär gelehrt. Das verstößt zwar gegen die Schulgesetze, doch die Chassidim sind ein mächtiger Wählerblock.

Normalerweise wählen Chassidim republikanisch, auch für Trump haben sie gestimmt, doch bei den Stadtwahlen steht Bobov hinter New Yorks liberalem Bürgermeister Bill de Blasio, der das umstrittene Schulsystem unterstützt.

"Sei nicht homosexuell"

Es ist Mittag in der Chabad-Lubawitsch-Synagoge. Die Luft riecht verbraucht und nach altem Papier. Lange Regale sind vollgestopft mit Büchern in Hebräisch, die ausnahmslos religiöse Themen behandeln. Manche werden nur noch von ein paar Fäden zusammengehalten. Hunderte Männer murmeln Gebete vor sich hin, wiegen den Oberkörper im Takt ihrer Worte. Dabei tragen sie um ihre Arme gewickelte Lederriemen und ein kleines Kästchen, das auf der Stirn befestigt ist. Darin befinden sich winzige Papierrollen mit Tora-Texten. Der Gebetsriemen mahnt zur Disziplin beim Zwiegespräch mit Gott.

Neben dem Brautstrauß liegt die Perücke, die Bassy Schmukler fortan tragen wird. Sie wird sich ihre dunkel gelockten Haare abschneiden – das fordert die Sittsamkeit
Neben dem Brautstrauß liegt die Perücke, die Bassy Schmukler fortan tragen wird. Sie wird sich ihre dunkel gelockten Haare abschneiden – das fordert die Sittsamkeit

Yasha hat sein Gebet beendet. Zur Begrüßung überreicht er ein Kärtchen: "Die sieben universellen Gesetze" steht drauf. Punkt drei: "Du sollst nicht töten." Punkt vier: "Sei nicht homosexuell."

Das Bärtchen des 21-Jährigen ist nur ein dünner Flaum. Yasha studiert an der Jeschiwa, der jüdischen Hochschule, und will Rabbiner werden. Er teilt sich mit drei Studenten ein Zimmer und steht jeden Morgen um sechs Uhr auf, um den ganzen Tag den Talmud zu lesen. "Wir lernen alles über die 613 Gesetze, nach denen ein Jude leben soll."

Immer freitags ziehen Chabad-Studenten durch New York, um moderne Juden für ihren Glauben zu missionieren. Die anderen Gemeinden lehnen das ab. Satmar und Bobov halten sich für auserwählt durch Geburt. Überhaupt gibt es zwischen den Gemeinden viel Unbill. Der größte Konflikt herrscht darüber, dass Chabad seit Jahren keinen spirituellen Führer hat. Bei den Chassidim geben die Oberrabbiner in der Regel ihre Macht an die Söhne weiter, doch der letzte große Chabad-Rabbi Menachem Mendel Schneerson blieb kinderlos. Er war ein charismatischer kleiner Mann mit mächtigem Bart. Präsident Carter schrieb sich mit ihm viele Briefe. Immer sonntags verteilte Rabbi Schneerson vor seiner Synagoge Dollarnoten. Seine Beliebtheit war so groß, dass seine Jünger seit seinem Tod 1994 glauben, er würde wieder auferstehen. "Die Vorstellung eines Messias entstammt eher dem Christentum", erklärt der jüdische Theologe Jack Wertheimer. "Daher der Streit."

Die Chabad-Männer lassen Bräutigam Chaim Landa hochleben. Der seidene Mantel wurde vor der Hochzeit extra angefertigt. Er wird ihn künftig an Schabbat und an Feiertagen tragen
Die Chabad-Männer lassen Bräutigam Chaim Landa hochleben. Der seidene Mantel wurde vor der Hochzeit extra angefertigt. Er wird ihn künftig an Schabbat und an Feiertagen tragen
© Benjamin Petit

Doch im Zusammenleben unterscheiden sich die Regeln bei den Chassidim kaum. Sie haben in New York eine Parallelwelt aufgebaut, mit eigenen Bussen, in denen Männer und Frauen getrennt sitzen, eigenem Rettungsdienst und eigener Polizei: "Schomrim", übersetzt: Hüter. Deren Männer haben zwar keine offiziellen Befugnisse, aber sie werden von den US-Behörden geduldet. Das Grundrecht auf Religionsfreiheit genießt in den USA so hohen Stellenwert, dass die weltliche Exekutive nur bei schweren Straftaten eingreift. Etwa als aufflog, dass sich Schomrim gegen Schmiergeld illegal Waffenlizenzen besorgte. Oder 2013, nachdem Schomrim-Männer einen schwulen Schwarzen krankenhausreif geschlagen hatten.

"Ich habe Cousins mit mehr als 20 Kindern"

Auch ein chassidisches Gericht gibt es. Vorsitzende sind drei Rabbiner. Ihre Urteile basieren auf dem Talmud. Jüngst urteilte das Rabbiner-Gericht im sogenannten Koscher-Pizza-Krieg. Der Wirt einer Pizzeria im Chabad-Viertel Crown Heights hatte dagegen geklagt, dass im Restaurant gegenüber ein Pizzateig nach ähnlichem Rezept gebacken wird. In New York, wo fast an jeder Ecke Pizza verkauft wird, ein absurder Vorwurf. Doch ein altes jüdisches Gesetz verbietet es, seinem Nachbarn Konkurrenz zu machen. Der Beklagte musste seine Rezeptur ändern.

Die Eröffnung einer Vernissage in Manhattan wirkt wie ein normaler New Yorker Event. In den Räumen drängen sich junge Menschen in Jeans, kurzen Röcken, manche mit Tätowierungen. Doch sie alle gehörten einst zu chassidischen Gemeinden und sind "ausgestiegen". Die Bilder an den Wänden sind ihre Werke: Frauen mit verbundenen Augen, herumirrende Gestalten im Stadtgewimmel, jedes strahlt erdrückende Einsamkeit aus. Die Ausstellung wurde von der Organisation Footsteps organisiert. Sie hilft Aussteigern, ein Heim zu finden, Freunde, Arbeit – und psychischen Halt.

Ein Blick in das aufgeschlagene Gebetbuch. Der Lederriemen "Tefillin" wird dabei um Arm und Hand getragen
Ein Blick in das aufgeschlagene Gebetbuch. Der Lederriemen "Tefillin" wird dabei um Arm und Hand getragen
© Benjamin Petit

Yoseph, 27, steht vor einem Bild mit tanzenden Skeletten. Er ist groß, hat ein wenig Gel im Haar. Ein jiddischer Akzent färbt sein Englisch. 2012 verließ er die Bobov-Gemeinde. "Den ersten Konflikt hatte ich mit 14. Meine Eltern erwischten mich mit einem Taschenfernseher. So ein Ding mit Antenne, auf dem habe ich US-Serien geschaut. Meine Eltern heulten nur. Für sie war es das Schlimmste, was passieren konnte."

Von da an, erzählt Yoseph, sei ihm klar gewesen, dass er aussteigen werde. Er las immer mehr englische Bücher, um die Sprache besser zu lernen. Mit 18 begann der Druck auf ihn zu heiraten. "Ich habe Cousins mit mehr als 20 Kindern. Das wollte ich nicht." 2011 beim Purim-Fest, dem jüdischen "Karneval", setzte er zum ersten Mal seinen Hut in der Öffentlichkeit ab und zog einen normalen Anzug an. "Wenn einer fragte: 'Was ist das für ein Kostüm?', sagte ich: 'Ich gehe als normaler Mensch.' Danach zog ich den Anzug einfach nicht mehr aus."

Wer aussteigt, verliert alles

Die äußere Veränderung, so Yoseph, sei aber nicht entscheidend. "Du verlierst mit einem Mal Familie, Freunde, dein ganzes Leben. Alles, was dich in der anderen Welt erwartet, ist fremd. Ich wusste nicht, wie ich eine Frau ansehen soll. Oder welche Kleidung kaufen. Natürlich wollte ich eine Jeans. Denn eine Jeans ist der Inbegriff der säkularen Kleidung. Aber für eine blaue fehlte mir der Mut. Deshalb nahm ich erst mal eine schwarze."

Dass Yosephs Eltern heute wieder mit ihm reden, ist eine Ausnahme. "Mein Glück war, dass ich ihr jüngstes Kind bin. Meine Geschwister waren alle schon verheiratet. Viele Aussteiger werden verstoßen, denn sie ruinieren den Ruf der Familie. Die Eltern können dann kaum Partner für andere Kinder finden."

Devorah Bukiet mit dreien ihrer vier Söhne in Brooklyns Viertel Crown Heights. Die Frauen der Chabad kleiden sich modern. Aber auch sie tragen, wie alle anderen Chassidim-Frauen, Perücken. In den Bussen der Gemeinde sitzen die Menschen nach Geschlecht getrennt
Devorah Bukiet mit dreien ihrer vier Söhne in Brooklyns Viertel Crown Heights. Die Frauen der Chabad kleiden sich modern. Aber auch sie tragen, wie alle anderen Chassidim-Frauen, Perücken. In den Bussen der Gemeinde sitzen die Menschen nach Geschlecht getrennt
© Benjamin Petit

Lani Santo, die Footsteps-Vorsitzende, sagt: "Fast alle Aussteiger haben schon an Selbstmord gedacht." 2015 stürzte sich eine 30-Jährige von einer Rooftop-Bar auf die 5th Avenue. Weltweit wurden die Zustände durch Deborah Feldman bekannt, die ein Buch über das Leben bei Satmar schrieb und dann nach Berlin flüchtete. Auch kommen viele zu Footsteps, die Opfer von sexuellem Missbrauch wurden. Es gibt so viele Fälle, dass sich ein Privatdetektiv darauf spezialisiert hat.

Joe Levin, kräftig, Anfang 40, wartet in einem Starbucks, seine Kippa versteckt er unter einer Baseballkappe. "Missbrauch aufzuklären ist deshalb so schwer, weil die Opfer nicht wissen, wem sie vertrauen können", sagt er. Stattdessen könnten viele Täter darauf zählen, dass die Gemeinde hilft, ihre Tat zu vertuschen, um die Schande abzuwenden. "Ich hatte schon den Fall, da hat ein Rabbi Zeugen bestochen."

Zwei Jungs vertreiben sich während der Hochzeitsfeier von Bassy Schmukler und Chaim Landa die Zeit mit elektronischen Geräten. Bei Chabad sind sie erlaubt, in der Glaubensgemeinschaft Satmar dagegen verpönt
Zwei Jungs vertreiben sich während der Hochzeitsfeier von Bassy Schmukler und Chaim Landa die Zeit mit elektronischen Geräten. Bei Chabad sind sie erlaubt, in der Glaubensgemeinschaft Satmar dagegen verpönt
© Benjamin Petit

Auf die Frage, ob er eigentlich selbst zu den Chassidim gehöre, zögert Levin, dann nickt er. "Wer in diese Welt geboren wurde, kann ihr nie völlig entfliehen. Doch die Verlogenheit werde ich nie ertragen."

Ein kleiner Resopaltisch ist das einzige Möbel im Wohnzimmer

Inzwischen sind vier Wochen vergangen, seit Chaim und Bassy verheiratet sind. Sie haben in ihre gemeinsame Wohnung eingeladen. Bassy trägt ein elegantes graues Kostüm. Ihre brünette Perücke hat weniger Locken als ihr eigenes Haar. Sie sieht elegant aus. Ein kleiner Resopaltisch ist das einzige Möbel im Wohnzimmer. Darauf stehen Plastikbecher und Instantkaffee. Chaim bringt einen Teller Obst, Bassy erzählt, dass er ihr freitags immer Blumen schenke. "Unser Ritual."

Sie sprechen viel darüber, wie sie ihre Vorstellung vom Judentum verbreiten wollen. "Um die Welt besser zu machen", sagt Chaim. Dass sich ihre Gebräuche eines Tages überleben, glauben sie nicht. Es sei eine Erleichterung, dem Druck und der Konkurrenz der globalen Welt auf diese Art zu trotzen. "Unsere Regeln, unsere Sittsamkeit, die Geschlechtertrennung, das macht alles einfacher", sagt Bassy. Ob sie miteinander glücklich sind? "Natürlich", beteuert Bassy. Sehr bald wollen sie Kinder haben. Viele Kinder. Söhne, die sich eines Tages Bärte wachsen lassen und Töchter, die nach ihrer Hochzeit ihr Haar opfern.

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