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Ursachenforschung Was hat zum Fischsterben an der Oder geführt? Und was hat eine Alge damit zu tun? Eine Spurensuche

Ursachenforschung: Was hat zum Fischsterben an der Oder geführt? Und was hat eine Alge damit zu tun? Eine Spurensuche
Sehen Sie im Video: Giftige Alge könnte Fischsterben in der Oder ausgelöst haben.




Noch immer ist nicht klar, was das massenhafte Fischsterben in der Oder ausgelöst hat. Theoretisch kommen Tausende Substanzen infrage. Das macht die Suche für die Fachleute so schwierig. Nun haben Forscher des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei eine giftige Algenart ins Spiel gebracht. Damit würde sich auch der hohe Sauerstoffgehalt des Wassers trotz der hohen Temperaturen erklären. Christian Wolter, Süßwasserexperte vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei: "Prymesium parvum. Diese Brackwasserart, die ist schon bekannt dafür, dass sie Fischsterben ausgelöst hat. Aber uns fehlt noch der Nachweis und da arbeiten die Kollegen jetzt dran. Sie haben Wasserproben genommen, ob sie in der Oder tatsächlich auch dieses Toxin gebildet hat." Welche Umstände die vermutete Algenblüte ausgelöst haben könnte, ist unklar. Wolter geht davon aus, dass die Einleitung von Salzen dahinter steckt: "Aber ganz wichtig in dem Zusammenhang ist, es handelt sich jetzt eben auch nicht einfach um eine Naturkatastrophe, dass irgendeine Alge dort rebellisch geworden ist, sondern es ist ganz klar die Folge einer Einleitung, einer Salzeinleitung, offenbar auch kein Unfall, weil die hat 14 Tage angedauert. Wir messen jetzt gerade ein Abklingen des Salzgehalts. Und das ist schon ein relativ fahrlässiger Umgang mit dem Fluss." Andere Experten halten die Algen-These für möglich, wollen aber auch andere Ursachen nicht ausschließen. Auf deutscher Seite untersuchen die Behörden das Wasser bei der Suche nach der möglichen Verursacher-Substanz. Die polnischen Behörden analysieren dagegen die Fischkadaver. Sie untersuchen also, wie das Gift im Organismus der Fische gewirkt hat.

Warum ist die Suche nach der Ursache für das große Fischsterben in der Oder so kompliziert? Der Verursacher ist schwer auszumachen. Inzwischen scheint klar: Eine giftige Algenart könnte der Schlüssel sein.

Mehr als eine Woche nach Bekanntwerden des massenhaften Fischsterbens in der Oder ist die Ursache für die größte Umweltkatastrophe in Brandenburg seit Jahrzehnten noch unklar. Das Landesamt für Umwelt und Forschungsinstitute untersuchen mit Hochdruck Wasser und Fische. Ganz im Dunkeln tappen Behörden und Wissenschaftler nicht mehr. Mittlerweile gibt es verschiedene Erklärungen zum Sterben der vielen Fische. 

Algen als eine Ursache des Fischsterbens?

Eine giftige Algenart könnte Wissenschaftlern zufolge ein entscheidender Faktor für das Fischsterben sein. Ein Forscher des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei identifizierte die toxische Art als Mikroalge mit dem Namen Prymnesium parvum. Nach Worten des Gewässerökologen Christian Wolter ist sie bekannt dafür, dass sie gelegentlich zu Fischsterben führt. Das bestätigt auch Jörg Oehlmann, Leiter der Abteilung Aquatische Ökotoxikologie an der Goethe-Universität Frankfurt. Nachgewiesen ist aber noch nicht, dass das Gift der Alge Grund für das Fischsterben ist, nur ihre Massenentwicklung ist bewiesen.

Warum gibt es plötzlich so viele Algen in der Oder?

Die Algenart Prymnesium parvum kommt laut der Forscher eigentlich ausschließlich im Brackwasser vor. Sie benötigt erhöhte Salzgehalte, die es auf der betroffenen Oderstrecke normalerweise nicht gibt. An der offiziellen Messstation des Landesamts für Umwelt in Frankfurt an der Oder wurden aber rund zwei Wochen massiv erhöhte, unnatürliche Salzfrachten gemessen, die nach Aussage der Forscher ihren Ursprung stromaufwärts haben müssen. Das Massenwachstum der Algen bewirkte den Wissenschaftlern zufolge auch deutlich erhöhte Messwerte bei Sauerstoff, PH und Chlorophyll. Im oberen Teil der Oder befinden sich viele Staustufen. Dort gibt es wegen des Niedrigwassers momentan kaum Wasseraustausch.

Welche andere Umwelteinflüsse kommen infrage?

Der Klimawandel stresst das sensible Ökosystem. Für die Forscher des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei kommen dabei mehrere schädliche Faktoren zusammen: Dürrephasen und viel zu niedrige Pegel, geringe Sauerstoffwerte und viel zu hohe Wassertemperaturen erhöhen als "menschengemachte" Probleme das Risiko für Umweltkatastrophen, sagen sie. Bei Niedrigwasser etwa würden schädliche Substanzen in viel geringerem Wasservolumen transportiert. Dieser Extremzustand stresst die Fische. Kommen zur bestehenden Belastung weitere Gefahren wie toxische Algenblüten oder chemische Verunreinigungen hinzu, kann das ganze Ökosysteme in Gewässern vernichten, sagt etwa der Forscher Jörg Oehlmann.

Was macht die Ursachenforschung so schwierig?

Das Landeslabor Berlin-Brandenburg (LLBB) untersucht weiterhin Wasserproben verschiedener Tage und Messpunkte sowie Fische. Nach Angaben des Brandenburger Umweltministeriums gestaltet sich die Suche nach der Ursache für das Fischsterben auch schwierig, weil Informationen von polnischer Seite fehlen, etwa zu eventuellen Einleitungen oder konkreten Anlässen für die Umweltkatastrophe. Forscher sagen, die Ursachenforschung zu der Katastrophe durch Analyse der Stoffe in der Oder sei eine wahre Sisyphusarbeit, da etwa 350.000 Substanzen potenziell in einer Wasserprobe vorhanden sein könnten — und auch eine ausführliche Diagnostik nie alle abdecke. Die Untersuchung könne Wochen dauern, so der Ökotoxikologe Oehlmann.

Erste Ergebnisse aus Polen

Polens Umweltministerin Anna Moskwa gab am Donnerstagabend bekannt, dass in Wasserproben toxische Algen entdeckt worden seien. Es handele sich um sogenannte Goldalgen, die für Fische und Muscheln tödlich seien. Ob es sich um Prymnesium parvum handelt, war zunächst beim polnischen Umweltministerium und dem zuständigen Institut nicht zu erfahren.

Suche nach Verantwortlichen

Die polnische Regierung geht von einem Umweltsünder aus. "Es ist wahrscheinlich, dass eine riesige Menge an chemischen Abfällen in den Fluss gekippt wurde, und das in voller Kenntnis der Risiken und Folgen", sagte Regierungschef Mateusz Morawiecki am vergangenen Freitag (12.08.). Die polnische Polizei hat eine Belohnung von umgerechnet 210.000 Euro für Hinweise auf den Täter ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft hat mittlerweile mehr als 200 Zeugen gehört und zwölf Ortstermine an der Oder absolviert — eine heiße Spur war bislang nicht dabei.

Industrie im Visier

Ermittler überprüfen derzeit auch Industriebetriebe, die in der Nähe des Flusses liegen. In den Tagen nach den ersten Hinweisen auf das Fischsterben wurde in sozialen Medien in Polen eine Papierfabrik im niederschlesischen Olawa südlich von Breslau beschuldigt. Das Unternehmen dementiert. Das Werk habe "weder etwas mit der Umweltkatastrophe an der Oder zu tun noch in irgendeiner Weise dazu beigetragen", hieß es in einer Erklärung vergangenen Woche.

Experten wie der Chemie-Professor Marcin Drag von der Fachhochschule in Wroclaw (Breslau) vermuten aufgrund des hohen Salzgehaltes, dass der Fluss mit Einleitungen aus dem schlesischen Bergbau verseucht wurde. Nach Angaben des oppositionellen Parlamentsabgeordneten Piotr Borys leitet ein staatliches Bergbau-Unternehmen bei Glogow regelmäßig salzhaltiges Abwasser aus einem riesigen Rückhaltebecken in die Oder ein — es hat dafür allerdings auch die Genehmigung der Wasserbehörde.

kng DPA

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