Flugzeugunglück in Sao Paulo Die angekündigte Katastrophe

Fluglotsen, die kaum Englisch können, stottern oder sogar schwerhörig sind, dazu eine zu kurze Landebahn. Brasilianische Experten sind sich einig: Das Unglück am Congonhas-Airport mit 200 Toten war nur eine Frage der Zeit. Jetzt gerät auch die Regierung des Landes unter Druck.

Nach der Flugzeugkatastrophe von São Paulo, bei der rund 200 Menschen ums Leben kamen, ist Brasiliens Regierung in die Schusslinie der Experten geraten. Das Unglück sehen viele als vorläufigen Höhepunkt einer schweren Krise. Sie hatte Ende September 2006 mit einem anderen schweren Flugzeugunfall begonnen. 155 Menschen waren damals gestorben. "Seitdem haben wir uns doch alle gefragt, wann kommt denn der nächste Unfall?", schreibt die Kolumnistin Eliane Cantanhede in der der Zeitung "Folha de São Paulo".

Die Hölle, davon waren die Brasilianer seit Monaten überzeugt, befindet sich im größten Land Lateinamerikas nicht unter der Erde, sondern in der Luft. Seit Monaten die gleichen chaotischen Bilder auf den Flughäfen: Menschen kippen in langen Warteschlangen ohnmächtig um. Andere Passagiere protestieren mit Trillerpfeifen und Clownsnasen, während die Zornigsten sogar Landebahnen besetzen. Von Verspätungen von mehreren Stunden und von Streichungen waren bis zu 50 Prozent aller Flüge betroffen. Unzählige Entschädigungsklagen wurden eingereicht und Untersuchungskommissionen eingerichtet.

Mit Dienst nach Vorschrift in die Offensive

Fluglotsen, die nach dem ersten Unfall an den Pranger geraten waren, gingen mit Arbeitsniederlegungen und Dienst nach Vorschrift in die Offensive. Sie erzählten haarsträubende Geschichten. So versicherte Carlos Trifilio, Präsident der Fluglotsen-Gewerkschaft, es gebe unter den Kontrolleuren des Luftraums "Stotterer und Schwerhörige". Über dem Amazonas-Regenwald solle es außerdem ein riesiges "blindes Gebiet" geben, in dem Flugzeuge vom Boden aus überhaupt nicht kontrolliert werden könnten.

Die einflussreiche Journalistin Cantanhede kommentierte, mit dem TAM-Airbus sei auch das letzte Stück Glaubwürdigkeit des brasilianischen Luftverkehrs explodiert. "Congonhas ist der am meisten überlastete Flughafen Brasiliens und seit Jahrzehnten nicht wirklich betriebsfähig. Regierung, Luftwaffe, Infraero, Airlines, alle wussten das, aber alle haben auf das Schlimmste gewartet. Nun ist es eingetreten". Luftfahrtexperte Gianfranco Betting meinte gar, der staatliche Flughafenbetreiber Infraero habe sich des "Massenmordes" schuldig gemacht.

Der Congonhas-Airport liegt mitten in der Stadt und birgt wie so viele City-Flughäfen ständiges Risikopotenzial in sich. Wegen seiner kurzen Landebahnen gilt Congonhas unter Luftfahrtkennern seit langem als Sicherheitsproblem. Landeunfälle in dort keine Seltenheit. Inmitten dichtbebauter Wohngebiete gelegen, wirkt der Flughafen wie ein Flugzeugträger. Auf einem Hochplateau gelegen, landen und starten jeden Tag hunderte Flugzeuge dicht über die Köpfe der Einwohner hinweg. Nur einen Tag vor dem Unglück der TAM-Maschine rutschte eine Propellermaschine der Panatal von der Landebahn und bleib im Morast stecken. In den letzten 16 Jahren kam es in Congonhas zu mehreren Unfälle die allesamt auf das Konto des zu klein dimensionierten Flughafens gehen. Bis heute blieb es meist bei Sachschäden.

Flughafen 50 Kilometer weit weg verlagern

Der Luftfahrtexperte Ivan Sant’Anna fordert daher, ein neuer Flughafen in São Paulo müsse etwa 50 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt gebaut werden. "Der Luftverkehr wächst vier Mal so schnell wie die Wirtschaft, und die Regierung investiert kaum", klagt derweil der Präsident des Verbandes der Beschäftigten im Luftransport, Uébio da Silva. Kritisiert wird auch, dass die Landebahn in Congonhas sei nach 45-tägigen Ausbesserungsarbeiten ohne die "lebenswichtigen Rillen", die zum Wasserabfluss beitragen, freigegeben worden seien. Anwohner in der Umgebung kündigten unterdessen eine Initiative zur Schließung von Congonhas an.

Die Fluglotsen, deren Ausbildung jüngst verkürzt wurde, und von denen nur jeder Zehnte einigermaßen gut Englisch spricht, beklagen Überforderung. "Sie brechen oft inmitten der Arbeit in Tränen aus", erzählte ein Luftwaffenangehöriger. Viele fordern eine Loslösung von der Kontrolle durch das Militär, wie das in den meisten Ländern der Fall ist. Die Unzufriedenheit der Lotsen wurde bislang in den Kasernen unterdrückt, heißt es. Radargeräte und Radiotürme seien veraltet, lautet eine weitere Kritik. Es werde in die Schönheit der Flughäfen investiert, aber Lande- und Startbahnen würden vernachlässigt.

Airbus untersucht Unglück

Der europäische Flugzeugbauer Airbus wird nach dem Unglück fünf Experten nach Brasilien schicken, um die Unfall-Ursache zu untersuchen. In einer Pressemitteilung teilte das Unternehmen mit, dass Airbus den brasilianischen Behörden jede technische Unterstützung zukommen lassen werde. Die Unglücksmaschine war ein Airbus A320.

Bei dem bisher wahrscheinlich schwersten Flugzeugunglück in Brasilien sind nach Schätzungen der Feuerwehr in São Paulo etwa 200 Menschen ums Leben gekommen. Ein Flugzeug der brasilianischen Fluggesellschaft TAM war bei der Landung in Congonhas über die regennasse Landebahn hinausgeschossen, über eine Hauptstraße gerutscht und in eine Tankstelle und ein Geschäftsgebäude gerast. Die Maschine und mehrere Häuser gingen in Flammen auf. Die Rettungskräfte gehen nicht davon aus, dass es unter den 176 Menschen an Bord der Maschine Überlebende gibt. Auch in den Gebäuden seien Menschen umgekommen.

Die 1961 gegründete TAM ist auf Expansionskurs und mit einem Marktanteil von mehr als 50 Prozent die größte Fluggesellschaft Brasiliens. Sie beschäftigt 10.500 Menschen und fliegt die Nachbarländer, die USA

Flugunfälle in Sao Paulo-Congonhas

DatumTypAirlineInsassen
22.03.2006Boeing 737-400BRA115
Die Landung bei Regen geriet zu lang und die 737 rutschte von der Bahn. Glücklicherweise blieb man wenige Meter vor dem Abhang stehen.
04.01.2003Cessna CitationTJS?
Der Geschäftsreisejet rollte über das Bahnende hinaus und fiel einen Abhang hinunter. Beide Piloten und ein Mensch am Boden wurden verletzt.
01.12.1992Cessna CitationTaxi Aerea Marilia4
Das Flugzeug rutschte bei Regen über die Bahn, fiel einen Abhang hinunter und brannte aus. Alle vier Insassen konnten sich retten.
21.04.1991Fokker 100TAM0
Beim Schleppen am Boden brach die Schleppstange und die Maschine rollte einen Abhang hinunter und wurde stark beschädigt. ´

Die schwersten Unfälle der TAM

DatumTypOrtTote
17.07.2007Airbus A320Sao Paulo-Congonhas Flughafen, Brasilien176 + 15
Die Maschine rutschte bei starkem Regen über das Ende der Landebahn und fiel einen Abhang hinunter.Der Airbus streifte eine Tankstelle und ging in Flammen auf.Unter den 176 Insassen gab es keine Überlebenden.
30.10.1996Fokker 100Sao Paulo, Brasilien95 + 4
Durch einen technischen Defekt fuhr kurz nach dem Abheben vom Flughafen Congonhas fuhr die Schubumkehr des rechten Triebwerks aus und die Maschine stürzte in ein Wohngebiet. Neben den 95 Insassen, sterben weitere vier am Boden.
15.09.2001Fokker 100Nahe Belo Horizonte, Brasilien0 + 1
AP · Reuters
jr mit DPA/AP/Reuters

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