Anzeige
Anzeige

Kopilot brachte Maschine zum Absturz Was wussten die Germanwings-Opfer vor dem Crash? Streit über die letzten Minuten des Flugs

Trümmer der Germanwings-Maschine
Am 24. März 2015 riss Germanwings-Kopilot Andreas Lubitz 149 Menschen mit in den Tod – was haben sie an Bord mitbekommen?
© Sebastien Nogier / EPA / DPA
Was haben die Passagiere des Germanwings-Flugs 9525 mitbekommen, bevor der Kopilot den Airbus in den Alpen zerschellen ließ? Eine Stellungnahme des Lufthansa-Konzerns sorgt nun für Empörung der Opferfamilien.

Viereinhalb Jahre ist es her, dass Kopilot Andreas Lubitz den Airbus A320 in die Felsen der französischen Alpen steuerte, sich so das Leben nahm und 149 Menschen ermordete. Das Ende des Flugs 4U 9525 markierte den schwärzesten Tag – im Leben der Angehörigen und in der Geschichte der Deutschen Lufthansa, der Konzernmutter von Germanwings.

Beide Seiten – die Familien der Toten und die Fluggesellschaft – haben sich auch viereinhalb Jahre, nachdem die Maschine zerschellte, noch nicht abschließend darauf geeinigt, wie das Leid zumindest etwas gelindert werden kann. Schon lange streiten sie sich um die Zahlung von Schmerzensgeld, in Essen steht bald eine weitere Gerichtsverhandlung an. Eine Stellungnahme der Lufthansa im Vorfeld des Prozesses sorgt nun für Empörung bei den Familien der Opfer, wie zunächst die "Bild"-Zeitung berichtete und der Luftfahrtrechtler Elmar Giemulla im Gespräch mit dem stern bestätigte. Der Jurist aus Berlin vertritt nach eigenen Angaben rund 200 Angehörige von etwa 40 Opfern.

Animation des Germanwings-Absturzes

Was geschah an Bord von Germanwings-Flug 9525?

Im Kern geht es darum, was die Passagiere an Bord des Airbus in den Minuten vor dem Aufprall erlebt haben. Ahnten Sie, dass sie sich in höchster Gefahr befanden und ihrem Tod entgegen rasten? Oder haben Sie während des Sinkflugs nichts Außergewöhnliches mitbekommen?

Germanwings-Flug 9525

An 24. März 2015 zerschellte ein Airbus A320 der Lufthansa-Tochter Germanwings in den französischen Alpen. 150 Menschen starben, darunter auch der Kopilot Andreas Lubitz. Flugunfallunteruschungen ergaben, dass Lubitz den Kapitän der Maschine aus dem Cockpit aussperrte und das Flugzeug absichtlich in suizidaler Absicht zum Absturz brachte. Als Motiv für die Tat werden psychische Probleme des 27-Jährigen angenommen. Laut Untersuchungsbericht hat er zum Zeitpunkt des Absturzes Anti-Depressiva eingenommen und unter einem psychotischen Schub gelitten, ein Arzt habe zwei Wochen zuvor die Einweisung in eine psychiatrische Klinik empfohlen und Lubitz krankgeschrieben. Inwiefern Verantwortliche der Lufthansa das Ausmaß der gesundheitlichen Problemen ihres Mitarbeiters kannten, ist immer noch nicht abschließend geklärt. Die Fluggesellschaft zahlte für jedes Todesopfer bereits bereits 25.000 Euro Schmerzensgeld, hinzu kamen weitere Ausgleichs- und Sonderzahlungen.

Elmar Giemulla geht davon aus, dass die Passagiere wussten, was auf sie zukommt: "Aufnahmen des Stimmrekorders belegen, dass der ausgesperrte Pilot mehrfach durch Schlagen an die Cockpittür Einlass verlangt hat", sagte der Anwalt dem stern. Auch sei der von Kopilot Lubitz eingeleitete Sinkflug mit rund 90 Stundenkilometern mehr als dreimal so schnell wie üblich gewesen. "Das spürt man an Bord deutlich."

Beides gehe auch aus dem Abschlussbericht der französischen Behörde für die Untersuchung von Flugunfällen (BEA) hervor. Darin heißt es unter anderem: Es "wurden (...) sechs Mal Geräusche, ähnlich dem Klopfen einer Person gegen die Cockpittür, aufgezeichnet", und: "Um 09.37.13 Uhr bat eine dumpfe Stimme darum, dass die Tür geöffnet wird."

Giemulla ist sich sicher: Die Menschen an Bord haben all dies mitbekommen und über Minuten hinweg "unvorstellbare Todesängste" durchlebt.

Lufthansa bestreitet Todesängste

Das sieht die Lufthansa anders, wie ein Sprecher dem stern mitteilte. Die Kranich-Airline zieht in ihrer Stellungsnahme als Beleg dafür ebenfalls den Abschlussbericht der BEA heran, der den Familien der Toten im Jahr 2016 in Paris und Köln präsentiert worden sei. Anschließend hätten Angehörige einem Bericht der "Aachener Nachrichten" zufolge von "beruhigenden" Erkenntnissen gesprochen. Die BEA habe dargestellt, dass die Passagiere den Sinkflug als "normal" empfunden hätten. Auch das Klopfen an die Cockpittür sei demnach "gar nicht oder nicht sehr laut" zu hören gewesen, geschrien habe der ausgesperrte Kapitän nicht.

Hilfe bei suizidalen Gedanken

Haben Sie suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym und rund um die Uhr kostenlos erreichbar unter: (0800) 111 0 111 und (0800) 111 0 222. Auch ein Austausch per Chat oder E-Mail ist möglich.

Weiter wollte der Konzern-Sprecher sich mit Blick auf das laufende Verfahren nicht äußern. Nach stern-Informationen plant die Lufthansa, vor Gericht unter anderem ein Gutachten zu präsentieren. Es soll belegen, dass die Passagiere den Flugverlauf als unauffällig wahrgenommen hätten.

Anwalt Giemulla hält die Argumentation der Airline für "pietätlos". Er glaubt, dass sich die Lufthansa schlicht die Zahlung eines zusätzlichen Schmerzensgeldes sparen möchte. Es soll um rund eine Million Euro gehen. Die Airline hatte den Hinterbliebenen bereits 25.000 Euro pro Todesopfer überwiesen, hinzu kommen weitere Zahlungen.

Nun muss das Landgericht Essen die schwierige Aufgabe übernehmen: Es muss herausfinden, was die Passagiere an Bord von 4U 9525 in den Minuten vor dem Crash erlebt haben dürften. Wann das Zivilverfahren startet, steht nach Angaben eines Gerichtssprechers noch nicht fest.

Quellen:"Bild"-Zeitung, "Aachener Nachrichten" vom 14. März 2016, Abschlussbericht der französischen Behörde für Flugunfalluntersuchungen

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel